Ein Lächeln

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Noch immer musste ich an Kisaki denken. Genau heute vor drei Wochen hatte ich ihn zu letzt in der Therme gesehen. Seine Worte hallten immer noch nach. In dem Moment hatte ich es nicht begriffen, doch irgendwann wurde es mir bewusst. Die ganze Zeit über hatte er in der Vergangenheit gesprochen, nur dieses eine Mal sprach er in der Gegenwart. "Das ich in dich verknallt bin.", sagte ich leise nach und merkte nicht wie ein Barkeeper mich sofort irritiert ansah. "Ähm, ich meine, ich nehme noch so einen." Ich hatte mich heute Abend mit Naoto getroffen, er hatte mich eingeladen ein paar Cocktails zu trinken. Wir waren bereits einige Stunden hier, als er sich entschied zu gehen. Ich hingegen wollte noch bleiben und noch ein wenig trinken. "Mach nicht so lange.", ermahnte er mich fast schon, doch ich nickte es nur ab. Ich war alt genug um zu wissen wie lang ich in einer Bar abhängen konnte und in Ruhe etwas trinken konnte. Ich wollte in Ruhe nachdenken, nicht mehr reden, einfach nur trinken und darüber nachdenken welche Gefühle mein Wiedersehen mit Kisaki in der Gegenwart in mir auslöste.

Mit der Zeit wurde es ein Cocktail nach dem anderen, ich hatte irgendwann den Moment verpasst in dem ich nur angetrunken war und hätte aufhören können. Ich trank weiter, hatte mich vergessen und irgendwann wusste ich nicht mehr wo vorne oder hinten war. Die Kellner begannen die Stühle hoch zu stellen und man hatte mich mehrfach dazu aufgefordert zu zahlen, ich hörte die Worte des Mannes, der es mir immer und immer wieder sagte, doch ich schien nicht mehr entsprechend reagieren zu können. Irgendwann stand ich auf, taumelnd und unsicheren Schrittes. Ich musste es irgendwie doch noch geschafft haben zu zahlen, denn einer der Kellner setzte mich auf einer Parkbank vor der Bar ab. "Hey, das --- ähm, also ich...", stammelte ich sinnbefreit vor mir her. Der Mann ignorierte mich nur noch und schloss lieber seine Bar ab, während ich müde und volltrunken auf der Bank zurück blieb.


Die Doppeltvorstellung im Kino hatte sich gelohnt, noch bevor der dritte Teil einer bekannten Filmreihe heraus kommen würde, hatte ich mich wieder auf den neusten Stand gebracht. Ich verließ das Kino, humpelte die Straße entlang und hoffte ein Taxi zu sehen und es so abgreifen zu können. Natürlich hätte ich mir auch eines rufen können, aber manchmal ging es schneller, gerade in der Nacht, vor einer der vielen Bars und Kneipen, die sich rund um das Kino tummelten, fand man immer einen wartenden Fahrer der einen gerne nach Hause brachte. Ich hielt ausschau nach einen entsprechenden Wagen, als mir ein Mann auf einer Bank auffiel. Uff, der war ja mal ziemlich besoffen, konnte kaum ein Wort mehr formen, es war unklar ob er etwas sagen wollte oder etwas sang. Die Leute gingen nur an ihm vorbei und auch ich wollte eigentlich nur weiter gehen. Doch als ich nah genug an ihn heran trat erkannte ich den Betrunken. Es war Takemichi!

Warum hatte er sich denn nur so abgeschossen? Keine sonderlich schöne Eigenschaft. Doch es sollte mir egal sein. Mir egal. Ja, es war egal! So ging ich direkt an ihm vorbei. Sollte er doch hier sitzen, sich überfallen lassen, vielleicht würde man ihn verprügeln und vielleicht sonst was schreckliches antun. Es sollte mir egal sein, so wie es ihm damals egal war. Stur ging ich weiter, doch irgendwann erinnerte ich mich an einen meiner Klienten. Ein junger Mann, ein bisschen Jünger als ich, er wurde eines Nachts vergewaltigt, während er im volltrunkenen Zustand sich nicht zu wehren wusste. Takemichi. Sollte ihn auch so etwas passieren? Sollte man ihm weh tun? Selbst wenn man ihn "nur" ausrauben wollte, würde ich das wollen? Ich seufzte, fasste mir ans Herz, drehte wieder um und ging zielgerichtet auf ihn zu. "Takemichi! Takemichi!", sprach ich grob und schüttelte an ihm, doch dieser konnte kaum die Augen offen halten, lächelte mich nur debil an. Er schien mich irgendwie erkannt zu haben, oder auch nicht? Würde er gerade jeden so anlächeln? Sein Lächeln. Ich hatte es vermisst.

Tief holte ich Luft. "Wo wohnst du?", fragte ich und versuchte wieder ein Wort aus ihn heraus zu bekommen. Aber nein, da passierte wohl nicht mehr viel. Was sollte ich mit ihm machen? Ich konnte ihn doch nicht allein lassen?! Seufzend rief ich ein Taxi, bezahlte den Fahrer dafür mit den Trunkenbold hoch in die Wohnung zu bringen, wo ich ihn lieblos auf das Sofa schubste und eine Decke über ihn warf. "Wehe du kotzt!"

Am nächsten Morgen wachte ich wie gewohnt auf und ging ins Wohnzimmer um zunächst nach meinen Übernachtungsgast zu schauen. Der schlief noch immer und hatte sich zum Glück auch nicht übergeben. Entspannt ging ich entsprechend meiner Morgenroutine nach, ehe ich mich an das Frühstück setzte und Kaffee kochte. Ich entschied mich dazu ihn zu wecken, immerhin wollte ich irgendwann auch mal wieder meine Wohnung für mich haben. Dazu war es mir unangenehm Takemichi in meinen vier Wänden zu haben. Er gehörte nicht hier her.


"Guten Morgen.", hörte ich Jemanden sagen und roch den Duft von Kaffee. Nur schwerfällig erhob ich mich, mein Schädel dröhnte, mein Hals war trocken und ich fühlte mich wie als hätten dreißig Männer auf mich eingeschlagen. "Scheiße, wo bin ich?", murmelte ich, während ich mich aufs Sofa setzte. Was war gestern passiert? Wie kam ich hier her? Ich hatte einen ordentlichen Filmriss. "Du bist bei mir. Ich habe dich total besoffen auf einer Bank gefunden. Du konntest weder noch richtig reden geschweige denn gehen oder stehen.", erklärte die Person neben mir, der ich bisher kaum Beachtung schenkte. Moment, ich war bei Kisaki?! Erschrocken sah ich ihn an. Ich hatte bei ihm geschlafen, befand mich in einer hilflosen Situation und ich lebe noch?! Okay, in dieser Gegenwart war Kisaki anscheinend wirklich harmlos!

"Und du hast mich freiwillig mitgenommen?" "Was hätte ich denn tun sollen? Ich wollte nur ungern am nächsten Tag in den Nachrichten hören das ein Besoffener abgestochen wurde." Sorgte er sich um mich? Ich war ihm offensichtlich nicht egal und das machte mich gerade sogar so glücklich das ich die Kopfschmerzen für einen Moment vergaß. "Hier, ich habe einen Kaffee. Oder willst du lieber Wasser und eine Schmerztablette?" Er grinste mich fast schon ein bisschen gehässig an. Na ja, ein bisschen Spaß schien er doch zu haben mich leiden zu sehen. Aber das war ihm gegönnt. "Kann ich auch beides haben?" Ein Lächeln. Ein echtes, nettes Lächeln. Ich tat natürlich so als würde ich mich über den Kaffee und das Wasser freuen, aber tatsächlich freute ich mich mehr darüber ein Lächeln von ihm bekommen zu haben. So langsam fing ich an zu begreifen warum er mir nicht mehr aus dem Kopf ging.

"Ich denke die Tablette wirkt so langsam. Ich mache mich dann mal auf den Weg.", sagte ich und stand langsam auf. Ich merkte noch immer die Nachwirkungen des Alkohols, doch ich wollte die Gastfreundschaft Kisakis nicht überstrapazieren. Allein die Tatsache das er das überhaupt für mich tat war schon ein Wunder für sich. "Danke, für alles." Ich lächelte ihm zu, hoffte das er es noch einmal erwidern würde, doch er nickte nur. "Schaffst du es denn nach Hause, oder soll ich dir ein Taxi rufen?" "Nein, ich laufe lieber, die frische Luft wird mir bestimmt gut tun." Somit verabschiedeten wir uns von einander und ich verließ das Haus. Ich musste mich erst orientieren wo genau ich mich befand, doch nachdem ich es heraus fand, wurde mir auch klar, das ich die Adresse Kisakis so schnell nicht vergessen würde.

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