27

61 3 2
                                    

Der nächste Tag kam schneller als erwartet. Missmutig verließ ich nach einer letzten Kontrolle das Krankenhaus und steuerte gezielt meinem Untergang entgegen. Schon als ich das altbekannte Gebäude aus der Ferne sah, sank meine Stimmung noch mehr in den Keller, wobei sie ihren Tiefpunkt erst erreicht hatte, als ich durch die Türen schritt.
Ich riss mich zusammen und ging auf meinen Raum zu.
"Du bist wieder da!", hörte ich plötzlich eine fröhliche feminine Stimme, die mich zum Anhalten brachte.
"Ja. Wurde auch Zeit, nicht?", meinte ich aufgesetzt lächelnd zu Yumi.
Ich fröhliches Gesicht wandelte sich augenblicklich in ein besorgtes, als sie direkt vor mir stand.
"Geht's dir besser? Hobi hat mir erzählt, was passiert ist. Weißt du, die Jungs haben sich wirklich Sorgen gemacht. Tae ist ausgerastet.", meinte sie, wobei sie den letzten Satz mehr flüsterte als sagte.
Ich legte den Kopf in den Nacken und rieb mie die Schläfen. Er sollte mich doch vergessen. Nicht... sowas.
"Ich weiß nicht, was ich machen soll", gestand ich Yumi.
"Muss ich ihn nicht vergessen? Muss er mich nicht vergessen? Oder dürfen wir uns noch eine Chance geben? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit?"
Ich spürte Yumis besorgten Blick auf mir.
"Nevermind. Ich geh arbeiten.", sagte ich nach einer gefühlten Unendlichkeit und wandte mich ab.

Durst. Ich brauchte dringend was zu Trinken. Ich erhob mich schwerfällig von meinem Stuhl und verließ den Raum.
Langsam schlenderte ich den Gang entlang in Richtung Getränkeautomat.
Ich kam vor dem Gerät zum Stehen und las mir die Auswahl durch. Ich hatte auf nichts davon Lust. Aber mir jetzt einen Kaffee zu holen, darauf hatte ich genauso wenig Lust.
Ich schmiss etwas Kleingeld in den Automaten und drückte wahllos auf einen der Knöpfe.
Ein Geräusch war aus der Maschine zu vernehmen, dass jedoch nicht lange andauerte. Genervt verdrehte ich meine Augen und ließ meinen Kopf ein paar Mal gegen die Wand fallen. Der Automat klämmte.

"Du musst draufhauen", vernahm ich eine nur allzu bekannte Stimme.
Sofort nahm ich meinen Kopf von der Wand und drehte ihn zu Taehyung, der soeben mit seiner Faust auf die Seite des Getränkeautomaten schlug.
Es klapperte erneut und keine Sekunde später hielt er mir die Flasche unter die Nase.
"Warum bist du hier?", fragte ich leise, das Getränk ignorierend.
Er seufzte kurz. "Ich arbeite hier. Und ich hab Durst. Also nimm, ich will auch noch was."
Er schüttelte die Flasche leicht vor mir hin und her.
Ich schluckte. Seine Stimme war leise. Es fiel ihm genauso schwer wie mir, nur konnte er es besser unterdrücken.
Ich schüttelte den Kopf.
"Ich will's nicht. Nimm du", meinte ich und schob seinen Arm mit meinem Getränk zu ihm zurück. Die Berührung ließ mich kurz innehalten. Mein Atem stockte, als sich unsere Augen trafen. Die Welt um uns herum blieb plötzlich stehen. Die Gespräche der Mitarbeiter verstummten und die Umgebung um uns herum rückte in die Ferne. "Ich hab dich vermisst.", flüsterte Tae. "Ich dich auch", murmelte ich.
In seinem Blick spiegelte sich die verschiedensten Emotionen wieder. Sehnsucht. Freude. Angst. Selbsthass.
Dasselbe, das auch ich empfand.
"Weißt du, es ist nicht deine Schuld.", flüsterte ich. Sein Blick glitt kurz zu Boden, bevor er wieder aufsah und leicht nickte.
"Vielleicht ist es falsch, das jetzt zu sagen. Aber ich will, dass du weißt, dass ich dich immernoch..."

"Tae!"
Wir beide wurden aus unserer Starre gerissen, als Tae durch Hobis Stimme unterbrochen wurde.
Tae schloss kurz seine Augen, bevor er sanft seinen Arm losriss und mit dem Getränk in die Richtung zurückging, aus der er gekommen war.
"Wo warst du?", hörte ich Hobi.
"Trinken holen", meinte Tae monoton.
Dann verschwanden ihre Schritte in der Ferne.

Benebelt ging ich zurück. Was war das eben? Und viel wichtiger noch: was wäre passiert, wenn Hobi nicht dazwischen gekommen wäre?
Ich drückte die Türe auf und ließ sie scheppernd wieder zufallen, während ich mich in meinen Drehstuhl kuschelte. Wie sollte das hier nur enden!?

In den nächsten Tagen geschah nicht viel. Ich saß in meinem Arbeitszimmer und verließ den Raum nur unter den nötigsten Umständen.
Yumi quatschte mich voll, wann immer ich sie sah. Aber ich hörte ihr nicht zu. Ein paar wenige Male traf ich mich mit ihr im Café. Ich spürte förmlich, wie sie versuchte, mich auf alle nur erdenklichen Arten von alledem hier abzulenken. Und so sehr ich es mir teils auch wünschte, sie hatte keinen Erfolg.

Tae... ich traf ihn oft auf dem Gang. Das Glück war ganz sicher nicht auf meiner Seite. So selten wie ich draußen war, war es eigentlich unmöglich, dass wir uns ständig über den Weg liefen. Aber es geschah trotzdem.
Wenn wir aneinander vorbeiliefen, war die Stimmung angespannter als normal. Wir tauschten nicht ein Wort aus und vermieden Blickkontakt.
Ein paar Male hatte ich überlegt, ihn anzusprechen. Aber ehe ich mich zu ihm wandte, war er schon wieder verschwunden. Außerdem hätte ich sowieso nicht gewusst, was ich sagen sollte.

Die Tage verstrichen, meine Zeit hier neigte sich dem Ende zu. Ich dachte, ich würde Tae mit der Zeit tatsächlich etwas vergessen, aber je länger sich die "Situation" hier zog, desto mehr vermisste ich ihn. Yoongi besuchte mich öfters in meinem Arbeitszimmer. Die meiste Zeit saßen wir schweigend nebeneinander. Manchmal versuchte er, aus mir herauszupressen, wie ich von Tae dachte. Er versuchte zwar, es unauffällig zu gestalten, aber das funktionierte nicht so ganz.

Ich erhob mich von meinem Stuhl. Gähnend ging ich auf die Türe zu. Die letzte Zeit hatte ich so ziemlich ohne Schlaf verbracht. Mich machte das alles irgendwie immer noch völlig fertig. Ich schritt auf den Gang hinaus. Wie immer war niemand zu sehen. Das Geräusch meiner Schuhsohlen auf dem Boden hallte von den Wänden wieder und ich musste ein erneutes Gähnen unterdrücken. Mein Weg führte mich nach draußen. Etwas frische Luft würde meinem Kreislauf im Moment sicherlich nicht schaden. Ich verließ das Gebäude und ging ein Stück, bis ich zu meiner Bank kam. Ich ließ mich darauf fallen und atmete tief durch, während ich meine Augen schloss.
Ich hörte dem Gezwitscher der Vögel zu und spürte den Wind, der in meinen Haaren zerrte.
Schön... Ich hatte diese Art von Alleinsein vermisst. Nur eine ganz kurze Pause hier draußen , dann sollte ich wieder...
"Wenn du noch länger so sitzt, garantiere ich dafür, dass du jede Sekunde einschläfst".
Erschrocken sprang ich von der Bank auf und drehte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam.
Tae.
"Wie lange stehst du schon da?", fragte ich leise. Es war unsere erste Unterhaltung seit Tagen.
"Ich war schon da, bevor du überhaupt gekommen bist. Also bitte...", er schwenkte mit seinem Arm in die Richtung aus der ich gekommen war.
Ich nickte leicht, den Blick gesenkt.
Langsam ging ich zurück. Plötzlich spürte ich etwas hartes am Boden. Ich stolperte über die Wurzel und verlor das Gleichgewicht. Mein Körper fiel nach vorne. Ich schloss die Augen, bereit, jeden Augenblick den Boden unter mir zu spüren. Aber es kam nicht dazu.
Jemand fing mich auf.
Ich öffnete meine Augen, nur um direkt in Taes zu sehen.
Ich fühlte etwas, das ich nicht fühlen durfte: Sicherheit. Geborgenheit. Seine Arme umschlangen meinen Körper und sein Blick war warm. Wie sehr ich das doch vermisst hatte.

Taehyung pov:

Ich wusste nicht, wie lange es her war, seit ich sie das letzte Mal in meinen Armen hielt. Aber ich genoss es. Mit großen Augen sah sie zu mir herauf und ich konnte mit Sicherheit sagen, dass sie genauso empfand wie ich. Langsam beugte ich mich zu ihr hinunter. Unser Blickkontakt brach nicht ab, bis ich meine Lippen auf ihre legte. Ihre Augen weiteten sich leicht, dann aber schloss sie sie und erwiderte. Die Welt um uns herum verschwand. Ich vergaß die letzten Wochen. Immer wenn ich an ihr vorbei lief, wollte ich sie ansprechen. Ihr sagen, wie leid es mir doch tue. Dass ich alles wieder gut machen würde. Dass ich sie noch immer liebte. Aber das konnte ich nicht. Doch jetzt...
Ich spürte, wie sich ihre Arme um meinen Nacken schlangen und drückte sie automatisch fester an mich. Die Zeit schien, als wäre sie stehen geblieben.
Langsam lösten wir uns wieder voneinander. Ein kleines, wunderschönes Lächeln hatte sich auf ihren Lippen gebildet.
"Hast du Angst?", flüsterte ich leise. Sie verengte ihre Augen, nicht verstehend, was ich meinte. "Hast du Angst vor der Öffentlichkeit?", erklärte ich. Sie schien einen Moment zu überlegen, dann aber schüttelte sie langsam ihren Kopf. Ich lächelte. "Gut. Ich nämlich auch nicht."

As time goes by | Taehyung x readerWhere stories live. Discover now