6. 400 Jahre sind eine lange Zeit, um so wütend zu sein

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Livia saß auf der Treppe und starrte auf die verkohlten Überreste der Nachtfalter, die den Boden übersäten. Die Wanduhr hatte erst vor ein paar Minuten sieben geschlagen und sie konnte riechen, dass jemand in der Küche Frühstück machte.
Albus hatte eine Freude den letzten Faltern nachzujagen und rannte wie wild geworden durch das ganze Haus. Vorher hatte man sogar etwas scheppern hören können, gefolgt von Aramis lauten Fluchen, das Albus Name beinhaltete.

»Alles klar bei dir, Livi?«, Minh gesellte sich zu ihr auf die Stufen und nahm sie in den Arm. Nach ihrer Zusammenkunft mit dem Mann war Livia runter gestolpert und Calla und Minh hatten angefangen mit den Schutzzaubern, während Aramis Margery zur Hilfe geeilte. Livia wusste immer noch nicht, wer dieser Mann war oder was er wollte, es schien eine kurze aber heftige Auseinandersetzung zwischen ihm und Margery gewesen zu sein.

Es war erschreckend. Nicht nur war er schnell und voraussehend gewesen, er schien auch eine fast schon perfekte Kontrolle über seine Magie zu haben. Innerhalb einer Sekunde hatte er mit seiner Magie Livia gezielt und effizient unschädlich gemacht, ohne einen spürbaren Gebrauch von Energie. Er hatte ihr Nervensystem angegriffen und es an gezielten Punkten unterdrückt. Livia wusste, dass es Leute gab, die so etwas beherrschten, aber sie hätte nie gedacht, dass sie einmal so jemandem begegnen würde und dann noch als Feind.

Sie seufzte und lehnte ihren Kopf an Minhs Schulter, sie wollte nicht mehr darüber nachdenken. »Ich denke nur etwas über meine Vision von gestern nach«, sagte sie stattdessen. Sie sah nie die genaue Zukunft in ihren Visionen, aber Details. Bedauerlicherweise wurden diese wichtigen Details in keiner Weise von den Fantasie-Details hervorgehoben und so war es oft ein 'Finde Waldo - Divination Edition', ohne dass man wusste, wie Waldo aussah. Sie dachte, dieses Mal wäre das wichtige Puzzlestück der Zukunft das Kirchenbuch, aber vielleicht war es der Angriff. Nur einmal wünschte sie sich etwas Klares. Von der Vision im Zug hatte sie noch immer keine Ahnung, was da vor sich ging.

Minh strich ihr über Wange, »Lass uns runtergehen und etwas essen«, meinte sie sanft und Livia nickte. Ihr Bauch hatte sich schon vorhin bereits lautstark gemeldet.

In der Küche waren schon die Anderen versammelt und diskutierten aufgeregt. Calla hantierte etwas am Herd, während Margery mit einem Tee am Tisch saß und Aramis daneben stand. Margery hatte sich beim Kampf eine üble Verbrennung am Arm zugezogen und Aramis hatte eine blutende Lippe.
»Was zur Hölle war das gestern Nacht?«, fragte Livia, als sie sich setzten. Margery wechselte einen Blick mit Calla, die vom Herd abließ und zum Tisch kam. Während Livia und Minh noch in ihren Pyjamas waren, trug Calla ein langes, lockeres Kleid in drei Farben, die absolut nicht zusammenpassten und hatte ihr Haar war säuberlich mit einer Haarnadel hochgesteckt.
»Margery, ich glaube, ich habe in meinem Büro noch etwas Wallwurz, dass wir für deine Verletzung gebrauchen können«, sagte sie, bevor sie sich setzte. Es war wohl das Zeichen für Magery und Aramis sie alleine zu lassen.

Calla sah die beiden jungen Hexen ernst an, als sie alleine waren. »Ich nehme nicht an, dass ihr wisst, wer Laertes ist?«, fragte sie die beiden.
»Das war doch der Vater des Odysseus«, antwortete Livia, die Altgriechisch im Gymnasium als Schwerpunktfach hatte.
»Das ist der Bruder von Ophelia in Hamlet«, antwortete Minh, die englische Klassiker mochte.
»Nicht die«, widersprach Calla, die die Geschichte des Hauses kannte. »Viret, Laertes Viret, ist der Mann, der hier eingebrochen ist.« Ihr Blick huschte kurz besorgt zu Livia, bevor sie weitersprach. »Er war ein Zeitgenosse von Wilhelmina.«
»Das war also ein Geist?«, fragte Livia. Es machte ihre Erfahrung mit ihm nicht gerade schlimmer, aber eindeutig auch nicht besser.
»Nein, er ist immer noch am Leben. Wir wissen nicht genau wie, aber vermutlich hat er seine Lebensenergie an etwas gebunden und so die 400 Jahre überlebt.«
»Und was will dieser nicht-ganz-Zombie hier?«, wollte Livia wissen. Wer lebt für ganze 400 Jahre und bricht dann in historische Häuser aus der eigenen Zeit ein.

Das Herz der HexenWhere stories live. Discover now