7. Wenn man Amulette sucht und Schlüssel findet

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»Wo hat es dich hin verschlagen?«, fragte Minh als Livia zu ihr in die Bibliothek trat.
»Ich habe etwas im Staatsarchiv nachgeschaut«, antwortete diese schlicht und hoffte, dass ihre Freundin nicht weiter nachfragte, denn mehr Antworten hatte sie selbst nicht.

Die Bibliothek war übel zugerichtet worden. Mehrere Regale waren zerstört und Bücher lagen überall auf dem Boden.
»Du bist doch keine Bank ausrauben gegangen?«
Livia lass ein paar Bücher auf und stellte sie in eines der Regale zurück. »Ich wollte ursprünglich«, meinte sie locker, »aber dann habe ich mir gedacht, Geld macht nicht glücklich.«
»Weißt du, was glücklich macht?«, fragte Minh und sah von dem Buch auf. »Ferien in Bali.«

Livia lachte auf und griff nach einem weiteren Buch. »Motivierst du mich gerade dazu, ein Verbrechen zu begehen?«, fragte sie scherzhaft.
»Ich meine nur, du studierst Kunstgeschichte und Gender Studies. Du solltest dir Gedanken machen, woher das Geld kommen soll.«
Livia rollte mit den Augen. »Du hörst dich an wie meine Eltern«, meinte sie. Ihre Studienwahl war etwas, dass bei absolut jedem Streit aufkam. »Die würden sich jemand wie dich wünschen«, sie blickte zu Minh. »Eine Chemie Studentin.«

Jetzt war es an Minh aufzulachen. »Mal schauen, wie meine Prüfungen gelaufen sind, aber ich glaube, deine Eltern würden sich vor allem jemand hetero wünschen.«
Livia seufzte und wollte mit den Büchern weitermachen, als etwas unter ihrer Sohle knirschte.

»Nicht jeder kann so unterstützende Eltern haben wie du«, erwiderte sie und beugte sich runter. Zwischen den Büchern auf dem Boden lag auch Glas. Livia sah auf das Regal an der Seite, wo bei ihrem ersten Besuch in der Bibliothek das Amulett verwahrt wurde. Die Glasschatulle war nicht mehr da.

»Ich bin adoptiert, meine Eltern haben mich wortwörtlich ausgesucht. Sie können mich schlecht mehr als 20 Jahre später in einem Flieger zurück nach Vietnam schicken«, antwortete Minh.
»Vor allem, wenn man bedenkt, dass du gerade mal Suppe bestellen kannst auf Vietnamesisch«, gab Livia zurück und hob weitere Bücher hoch, vielleicht war die Schatulle einfach nur heruntergefallen während des Kampfes. Sie stapelte die Bücher in ihren Arm, aber es kam keine Silberkette mit Bernsteinanhänger zum Vorschein.
Sie griff nach ein paar weiteren Büchern, bis sie etwas Silbernes aufblitzen sah. Ohne zu zögern, griff sie danach, aber es war nur der Schlüssel für das Bibliotheksfenster.

Livia erhob sich wieder und legte den kleinen Schlüssel auf eines der ganz gebliebenen Regale.
»Hier liegt Glas, ich schaue mal, ob Aramis den Staubsauger gefunden hat«, sagte sie, bevor sie aus der Bibliothek eilte.

Am Fuß des Herzbaumes traf sie auf Margery, die gerade wieder nachhause kam.
»Wie geht es dir?«, fragte Livia, auf die Verletzung bezogen oder auch generell auf die Situation.
»Gut, vielen Dank. Ich komme gerade vom Doktor zurück. Er meinte, die Verbrennung ist glücklicherweise nicht schwer.« Heute wirkte ihr englischer Akzent wieder etwas stärker. »Es ist echt mühsam mit dem Umweg wegen der Baustelle oben an der Straße.«
»Verlegen die da Rohre?«, fragte Livia, die wenig Ahnung von Baustellen hatte.
»Nein, es ist ziemlich spannend, gleich da oben steht eine Kirche, die früher einen kleinen Friedhof hatte. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der dann aufgelöst und die Gräber um lokalisiert. Vor ein paar Monaten fand man dann heraus, dass der Friedhof grösser war als angenommen und es noch eine ganze Handvoll Gräber gibt unter dem Platz neben der Kirche. Sie versuchen diese jetzt auch an einer anderen Stelle zur Ruhe zu setzten.«
Livia nickte langsam, tolle Vorstellung.

Margery lächelte warm und Livia lächelte reflexartig zurück »Wie geht es dir?«
Livia zuckte mit den Schultern. »So weit, so gut. Ich glaube, mein Hirn verdrängt etwas, was vorgefallen ist. Ich komme gerade von der Bibliothek, ich glaube, das Amulett von Wilhelmina fehlt, weißt du etwas darüber?«
Margery fuhr sich durch das hellbraune Haar, das ihr in sanften Wellen auf die Schultern fiel. »Der Bernsteinanhänger? Vielleicht hat auch Calla es da weggenommen.« Sie liefen in das Wohnzimmer und Livia folgte ihr.

»Denkst du, Laertes könnte es genommen haben?«
»Ich wüsste nicht, wieso«, antwortete Margery. »Es mochte zu seiner Zeit um einiges wertvoller gewesen sein als jetzt. Das Amulett hat nur einen Wert, weil es Wilhelmina gehörte.«
»Mmh«, meinte Livia und dachte dabei an Minhs Idee vom Herz, vielleicht lag sie doch nicht so falsch. »Was denkst du, wäre passiert, wenn Minh und ich nicht rechtzeitig aufgewacht wären?«, fragte sie schließlich mit einem Hintergedanken.

Margery zuckte mit den Schultern.
»Denkst du, er wäre einfach hier runter marschiert in den Keller und hätte das Herz... in seine Tasche gesteckt?«, versuchte sie Margery Informationen zu entlocken.
»Ich war noch nie da unten, daher weiß ich nicht, ob es noch mehr Sicherheitsvorkehrungen gibt, aber für die Kellertür braucht man einen Schlüssel. Die kann man weder mit Gewalt noch mit Magie öffnen.«

Livia brummte, da hatte sie wohl die falsche Person nach dem Herz gefragt. Sie griff nach dem Staubsauger, der in der Küche stand. Aber nicht ohne der Kellertür noch einen Blick zuzuwerfen.

Sie schleppte den Staubsauger am Herzbaum vorbei und sah dabei das Porträt von Wilhelmina. Wilhelmina war gleich alt gewesen wie Livia jetzt, als sie sich opferte. Livia musterte die junge Frau, erst jetzt fiel ihr auf, dass sie das Amulett auch auf dem Bild trug.
Was daran so besonders war, dass sie es aufbewahrt hatten?

Sie riss ihren Blick los und ging weiter, als wieder etwas unter ihrer Schuhsohle ein Geräusch machte. Sie sah runter und hob das Blatt auf. Es gehörte ganz klar zum Herzbaum.

»Hey, Livia?«, fragte Margery und kam in den Eingangsbereich, »könntest du...« sie stoppte, als sie das Blatt in Livias Hand erblickte. »Hast... hast du das abgerissen?«
Livia schüttelte schnell den Kopf. »Nein, es lag auf dem Boden, dahinten liegt ein anderes.« Sie deutete von ihrer erhöhten Position auf der Treppe auf den Boden neben dem Baum. »Sieht aus, als würde der Herbst kommen«, meinte sie scherzhaft.
Margery sah sie erschrocken an. »Der Baum hat noch nie ein Blatt verloren!«
Jetzt erinnerte sich auch Livia, was Aramis gesagt hatte und ließ das Blatt sinken.

Das Herz der HexenWhere stories live. Discover now