8. Wenn Telekinese die einzig mögliche Antwort ist

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»Was ist das?«, fragte Minh erschrocken als sie am Morgen ins Bad trat.
Livia sah an sich runter. Die Regale aus ihrem Traum mit dem Archiv hatten blaue Flecken hinterlassen, die sich jetzt deutlich auf ihren Rippen abzeichneten.
»Stammt von einer Vision«, murmelte sie und zog sich eilig ein T-Shirt darüber. Minh zog es wieder hoch, um sich die Blutergüsse ansehen zu können.
»Von gestern Nacht?«, fragte sie besorgt und strich sanft mit einem Finger über die warme Haut.
»Vorgestern, gestern Nacht habe ich nur normal geträumt«, erwiderte Livia schnell und zog das T-Shirt erneut runter. Minh musste sich nun wirklich nicht immer Sorgen um sie machen. Bis jetzt ist sie noch in keiner ihrer Visionen gestorben.

»Ich habe von uns geträumt«, meinte sie, um Minh auf andere Gedanken zu bringen.
Diese hob die Augenbrauen. »So? Und was haben wir gemacht?«
»Einen Spaziergang durch den Wald und dann haben wir auf einer Lichtung ein Picknick gemacht.« Sie wartete, ob Minh es ihr abkaufte. Die jedoch prustete los. »Gab es da auch einen Wasserfall auf der Lichtung?«, lachte sie, sie kannte die Abstraktionen, die Livias 'normale' Träume waren. Diese waren nur leicht weniger absurd als ihre Visionen.

Auch Livia lachte. »Wir waren in einem Kurs für Clown Makeup«, gestand sie schließlich und Minh lachte noch härter. Livia sah ihr breit grinsend dabei zu, sie liebte Minhs Lachen. Es wirkte immer sehr herzhaft und ansteckend.

Sie wandte sich wieder dem Spiegel zu und flocht ihr störrisches Haar in einen Zopf. Erst kürzlich hatte sie es für nicht gerade wenig Geld in ein dunkles Violett färben lassen. Es sah großartig aus, aber nicht, wenn sie dabei eine Frisur wie Hagrid hatte.

Sie gab Minh, die noch mit ihrer eigenen Morgenroutine beschäftigt war, einen Kuss auf die Wange und machte sich auf den Weg runter.

Schon als sie einen Fuß von der Treppe setzte, merkten sie sofort, dass etwas nicht stimmte.
Der Herzbaum hat noch mehr Blätter fallen lassen, die sich nun auf den Dielen sammelten.

Calla, Aramis und Margery saßen am Tisch und hatten ihre Köpfe zusammengesteckt. Margery hatte dunkle Augenringe, bei Calla hatten sich tiefe Falten auf der Stirn gebildet und Aramis spielt mit einem heruntergefallenen Blatt zwischen den Fingern. Sie waren eindeutig besorgt und Livia konnte es ihnen nicht verdenken.

»Wie ernst ist die Lage?«, fragte sie, nicht sicher, ob sie die Antwort hören wollte.
Calla sah zu ihr, ihr sonst rundes Gesicht wirkte eingefallen und anstelle von der sonst ausstrahlenden Freundlichkeit wirkte sie erschöpft. »Ich habe Aufzeichnungen gefunden, dass es schonmal vorkam in den 1670ern. Aber man fand keinen Auslöser und es ging von alleine nach einem knappen Monat wieder weg.«
»Super«, meinte Livia, »es scheint die spürbare Magie nicht zu beeinflussen. Dann müssen wir einfach warten.«
»Es hat aber Auswirkung auf den Schutz des Hauses«, antwortete Aramis und rieb sich über das Gesicht.
»Außerdem, wir mögen den Auslöser von damals nicht wissen, aber, dass es gleich nach Laertes Angriff passiert, kann kein Zufall sein«, steuerte Calla bei.

»Glaubt ihr, Laertes hat den Baum vergiftet?«, fragte Minh, die zu ihnen heruntergekommen war.
Calla zuckte mit den Schultern. »Ich glaube fest, dass er es war«, sagte sie dennoch und sah zu Livia, die sich runtergebeugt hatte, um den schwarzen Kater zu streicheln.
»Aber wie?«, fragte Margery. »Der Baum wirkt nicht krank oder verhext und Laertes hatte die Bibliothek nicht verlassen. Wenn Telekinese die einzig vernünftige Antwort ist, stimmt etwas nicht.«
»Vielleicht stimmt etwas mit dem Herz nicht, vielleicht könnte man das mal überprüfen«, schlug Livia vor und bekam absolut grundlos Minhs Ellenbogen in ihre Rippen.

»Gezwungenermaßen stimmt das schon. Das Haus, der Baum und das Herz sind verbunden, aber die Frage, wie Laertes es beeinflussen konnte, bleibt«, meinte Aramis.
»Vielleicht hat er einen Atzmann verwendet«, murmelte Livia und schenkte sich Kaffee ein. Normalerweise wirkte man mit einem Atzmann auf eine Person, aber vielleicht ging das auch bei einem Haus mit einem Bewusstsein.
»Laut Quellen war Laertes nie im Keller«, antwortete ihr wieder Aramis, der sie gehört hatte. Livia schnitt eine Grimasse, sie meinte ja auch ein Abbild des Hauses und nicht des Herzens selber. Da könnte man auch einfach auf ein Wurzelgeflecht als Abbildung einstechen und hoffen, dass das nützt.

Das Herz der HexenOù les histoires vivent. Découvrez maintenant