Epilog

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Livia drückte auf den Knopf unter dem Schildchen, das mit L + W Viret angeschrieben war.
Die Klingel schrillte durch das Haus und keine zehn Sekunden später öffnete Wilhelmina die Tür. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie Minh und Livia erkannte. Ihr weißes Haar war in einen lockeren Zopf zurückgenommen, dazu trug sie eine luftige Bluse mit einem knöchellangen Rock. Ihr Outfit wirkte eindeutig moderner, unterschied sich aber im Style nicht groß von der Kleidung, die sie bei ihrem letzten Treffen getragen hatte. 

Immer noch lächeln machte sie den beiden Platz um in das Haus kommen, in dem kein Baum im Eingangsbereich stand. Wilhelmina wirkte nicht nur fröhlich, sondern auch um einiges gesünder und wirkte nicht mehr wie eines der Skelette, die von der Baustelle geflüchtet waren. Calla und die anderen schafften es, sich ohne grössere Probleme um diese zu kümmern. Schliesslich kamen sie mit den Taschen voller Knochen zurück nur um mitzukriegen, wie die Polizei Minh und Livia nach dem unter Kontrolle gebrachte Feuer befragten.

Das Feuer hatte den Eingangsbereich so wie die Küche und das Wohnzimmer ruiniert, aber die oberen Stockwerke, wo auch die Zimmer lagen, waren von den Flammen größtenteils verschont geblieben. Calla wohnte immer noch da und Margery besuchte sie oft, aber sie und Aramis haben sich eigene Wohnungen gesucht, jetzt, da sie das Herz nicht mehr beschützen oder das Haus verwalten mussten. Auch Albus schien es gutzugehen, wie ihnen Aramis extra mitteilte.

Nach dem Minh und Livia ihre Ferien in der Stadt aus gewissen Gründen (für die sie absolut überhaupt rein gar nichts konnten) früher beenden mussten, hatten sie ein paar Wochen später mit Laertes Kontakt aufgenommen, um zu sehen, wie die Situation sich entwickelt hatte und wie es Wilhelmina ging.

»Es ist schön hier«, meinte Livia, als sie in das Wohnzimmer traten. Zumindest hatten sie einen besseren Geschmack, was Vorhänge angelangte.
Es gab eine große Fensterfassade, durch die die goldene Herbstsonne reinschien, auf dem Herd blubberte etwas, was des Geruches nach Konfitüre war und im Hintergrund lief leise klassische Musik.
»Wollt ihr was zu trinken? Laertes ist noch auf der Arbeit, er sollte jede Minute kommen«, meinte Wilhelmina und stellte ihnen zwei Gläser hin.

»Wie gefällt dir das 21. Jahrhundert?«, fragte Livia und ließ sich auf das Sofa fallen, wobei sie einen Seitenblick auf die daliegenden Handspindel und Garn warf.
Sie streckte die Beine durch, sie und Minh waren nur das Wochenende hier um die beiden zu besuchen und hatten daher mehrere Stunden Zugfahrt hinter sich und werden die Reise bald wieder zurück antreten müssen.

»Vieles habe ich irgendwie mitbekommen, aber es auch zu erleben ist toll«, antwortete Wilhelmina und stellte eine Kanne kalter Pfefferminztee auf den Tisch. »Ich finde den wissenschaftlichen Fortschritt großartig und auch die Frauenrechte. Ich war so verwundert, dass Laertes selbstständig kochen konnte. Oder dass Männer auch die Wäsche waschen... wobei Waschmaschinen eine geniale Erfindung sind, es war immer so eine Arbeit.« Sie räumte eilig das Spinnzeug weg. »Es gibt so viel Neues, da beruhigt es mich zu Spinnen. Früher hat man andauernd gesponnen«, setzte Wilhelmina fort. «An die ganzen Maschinen im Haushalt habe ich mich auch noch nicht gewöhnt. Was machen Frauen den ganzen Tag?«

»Viele arbeiten und verdienen ihr eigenes Geld«, meinte Minh, »andere, die es sich leisten können und Kinder haben, bleiben zu Hause«, sagte sie, doch Wilhelmina war bereits wieder in der Küche verschwunden und die beiden konnten sehen, wie sie einen Teig knetete. Es war klar, dass sie sich mit Arbeit, die in ihrer Zeit wichtig war, versuchte eine Normalität in ihr Leben zu bringen und Livia konnte es ihr nicht verdenken. Aber sie machte sich innerlich eine Notiz Laertes über ihr Ehealltag auszuquetschen, um sicherzugehen, dass es den Vorstellungen des 21. Jahrhunderts entsprach. Sie glaubte zwar nicht, dass Laertes 400 Jahre Entwicklung einfach wegwirft oder ignoriert, aber sie wollte sicher gehen.

Das Herz der HexenWhere stories live. Discover now