10. Kein Schlüssel passt in jedes Schloss, oder?

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»Wie läuft's?«, fragte Livia ihre Freundin, als sie wieder in die Bibliothek trat. Nach dem Gespräch mit Laertes war sie noch lange ziellos in der Stadt rumgeirrt und hatte sich Gedanken gemacht. Sie hatten also einen Maulwurf aber wieso wurde der Baum erst nach dem ersten Angriff krank und nicht schon zuvor? Hatte das Amulett etwas damit zu tun?
»Ich bin nicht gerade bei Punkt null angekommen, aber seit dem Problem mit dem Herz oder dem Herzbaum bin ich von Punkt sechs zu Punkt zwei zurückgefallen. Wie war's bei dir?«, fragte Minh und fuhr sich durch das schwarze Haar.
»Ich weiß nicht, ob er das Amulett hat, aber er meinte, ihn träfe keine Schuld, was das mit dem Baum anbelangt.« Sie überlegte einen Moment lang. »Er meinte, sie wäre es.«
Minh streckte sich und gähnte ausgiebig. »Sie? Wen meint er damit? Wilhelmina?«

Livia schlenderte durch die Bibliothek, die Regale konnten noch nicht ersetzt werden, aber zumindest lagen nicht mehr überall Bücher als Stolperfallen herum. »Ich weiß es nicht, und wenn glaubst du Wilhelmina...s Bewusstsein... das Bewusstsein des Hauses tut es? Aus was für einem Grund?«
»Das ist die Millionenfrage«, antwortete Minh und Livia konnte hören, wie sie das Buch zuschlug und kam wieder an den Tisch beim Fenster zurück. Sie sah ihre Freundin an und strich ihr liebevoll eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Ich glaube, er meinte Calla«, sagte Livia geradeheraus.
Minh zog nicht gerade überzeugt die Brauen hoch.
»Ich habe nochmals kurz mit ihr gesprochen, sie scheint darauf zu bestehen, dass das Amulett keine größere Rolle spielt und wir wissen nicht, ob Laertes das Amulett hat«, erklärte Livia.
»Sie ist seit Jahre die Hüterin des Hauses, was hätte sie für eine Motivation?«, fragte Minh. Darauf wusste Livia auch keine Antwort. Sie fühlte sich wie ein Detektiv, der versuchte den Mörder zu finden und jeder erzählte, wie sehr sie alle das Opfer gemocht haben und dass es keine Feinde gab. Es musste eine 'sie' sein und für Margery fielen ihr noch weniger Gründe ein.
»Vielleicht will Calla das Herz für sich?«, schlug Livia vor, ohne selbst daran zu glauben.
»Gut, aber wieso hat sie so lange gewartet? Sie hat ungehinderten Zugang zum Keller.«
Livia überlegte, wieso musste Minh auch so logische Fragen stellen. »Vielleicht brauchte sie Laertes Angriff für...«, fing sie rätselnd an.

Ihre Freundin sah sie fragend an, doch Livia kannte das Ende ihres Satzes auch nicht.
»Ist dir der Gedanken gekommen, dass Laertes einfach lügen könnte? Menschen tun so etwas«, meinte Minh und drehte sich so im Stuhl, dass ihre Knie Livias Beine streiften.
»Es hat sich nicht so angehört«, erwiderte Livia energisch, sie fühlte sich in die Defensive gedrängt.
»Weißt du, was gute Lügner ausmacht? Man merkt es nicht, wenn sie lügen«, Minh sah sie ernst an und griff nach ihrer Hand.
»Warum hätte er dann sagen sollen, dass er es nicht war?«, fragte Livia etwas kleinlaut. Sie mochte es nicht, wenn sich Minh aufführte, als würde sie mehr von der Welt verstehen als Livia. Sie war eine Person, sie sich gerne in ihre eigene Welt zurückzog, aber sie war nicht ganz so weltfremd, die Minh manchmal das Gefühl hatte.

Beide waren aufgekratzt von den Ereignissen letzten paar Tagen und Minh hatte Stress mit dem Schutzzauber, Livia brauchte keine Vision, um zu wissen, dass sie wohl auf einen Streit zusteuerten, wenn sie nicht aufpassten.
»Vielleicht... um uns gegeneinander auszubringen?«, beantwortete Minh ihre letzte Frage.
Livia starrte durch das geöffnete Fenster, draußen war es bereit dunkel. »Das würde wohl kaum funktionieren«, entgegnete sie.
»Ach wirklich?«, erwiderte die andere Hexe und zog an ihrer Hand. »Hast du mit den anderen über die Ehe von Laertes und Wilhelmina gesprochen? Hast du ihnen von deiner Unterhaltung heute mit ihm erzählt?«, machte sie weiter.

Livia entzog ihr ihre Hand, verschränkte die Arme und sah auf ihre Schuhspitzen. »Es wäre kontraproduktiv, wenn ich ihnen davon erzähle und es sich herausstellt, dass es doch Calla ist«, murmelte sie.
»Und du sagst, es würde nicht funktionieren«, sagte Minh verärgert. Sie erhob sich kopfschüttelnd und schob den Stuhl etwas zu hart gegen den Tisch. »Ich gehe schlafen, schließe das Fenster, wenn du die Bibliothek verlässt.« Sie sah ihr in die Augen. »Im Gegensatz zu dir versuche ich tatsächlich zu helfen und treibe nicht einfach aus Langeweile Spielchen.« Mit diesen Worten stürmte sie die Treppe runter. Livia sah ihr nach, das hatte jetzt wehgetan, aber sie konnte es ihr nicht wirklich übelnehmen. Minh musste ziemlich unter Druck stehen und sie konnte sich selbst kaum überzeugen, dass es Calla war. 

Vielleicht sollte sie auch schlafen gehen, mit etwas Pech hatte sie eine weitere, absolut nicht hilfreiche, Vision. Sie griff nach dem Fenster und schloss es, aber als sie den Griff losließ, bemerkte sie etwas. Der Griff war ein ovaler Knopf, den man zum schliessen des Fensters drehen musste, dafür gab es keinen Schlüssel.
Langsam drehte sie sich um und sah zur Bibliothekstür.
Da steckte der Schlüssel im Loch.
Irgendwo in ihrem Kopf begann etwas laut kreischend Alarm zu schlagen.

Der Raum brauchte keine weiteren Schlüssel...

Mit schnellen Schritten ging sie zum Regal, wo sie den gefundenen Schlüssel hingelegt hatte.
Er lag immer noch da.

Sie nahm ihn in die Hand und drehte ihn zwischen den Fingern. Er war recht klein und noch einer der alten Sorte mit einem Schlüsselbart vorne.
Sie umfasste das Metall mit ihrer Hand. Laertes ist Schlosser und ein Hexenmeister könnte er... Livia drehte sich wieder zur Bibliothekstür...

Was wäre, wenn Laertes tatsächlich hergekommen war für das Herz und nicht für das Amulett? Langsam ging sie zu der Tür.
Was wäre, wenn Laertes von der versperrten Kellertür wusste und vorbereitet kam? Sie schloss die Tür und drehte den echten Schlüssel, bevor sie ihn aus dem Schlüsselloch zog und ihn durch den anderen ersetzte. Er war etwas kleiner, aber als Livia ihn drehte, fasste er.
Was wäre, wenn... mit einem Klick öffnete sich die Tür.

Eine Sekunde erstarrte Livia, während das Klicken in ihrem Kopf widerhallte. Vielleicht war es auch nur einen Ersatzschlüssel für die Bibliothek... Livia zog den kleinen Metallgegenstand heraus und hielt ihn vor das Gesicht, bevor sie in ihr Zimmer eilte und die Tür schloss. Für ihre Zimmertüre hatte sie keinen Schlüssel bekommen, dennoch steckte Livia den Schlüssel ins Schloss und schloss die Tür ab.

Auch an der Badezimmertür funktionierte der Schlüssel problemlos und in Livias Kopf formte sich eine Idee, die auf die gleiche Ebene von dummen Gedanken gehörte, wie das Gespräch mit Laertes.


Versucht Laertes sie gegeneinander auszuspielen oder ist Calla nicht die, die sie vorgibt zu sein und was für eine Dumme Idee hat Livia nun jetzt wieder?

Das Herz der HexenWhere stories live. Discover now