152. Kapitel

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Aber mir war eigentlich auch viel wichtiger eine Antwort auf die einzig präsente Frage in meinem Kopf zu bekommen: Was wollte er hier?

P.O.V. Changbin

TW! (Suizid, Vergewaltigung, Alkoholmissbrauch/sucht, Häusliche Probleme/Gewalt, usw.)

Ich seufzte leise, sah dann kurz zu Innie, bevor ich meinen Blick wieder auf das Gebäude richtete. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen wie der Jüngere verwirrt eine Augenbraue hob und weiterhin zu mir blickte. Schwer musste ich schlucken, versuchte meine Emotionen zurückzuhalten und schaute wieder zu Jeongin. Nachdenklich musterte dieser mich und ich wusste, dass er es sehen konnte. Er konnte erkennen, dass mir dieses Haus, dieser Ort etwas bedeutete, dass mich etwas mit ihm verband, aber er wusste nicht was. Nie hatte ich etwas hiervon erwähnt, nie war ich hier mit ihm, hatte auch nur einen Hauch von Verbindung zu diesem Ort beiläufig ausgesprochen und dennoch standen wir nun hier und er konnte es sehen. Diese Verbindung.

„Ich bin hier aufgewachsen", begann ich zu reden. Das erste Mal, seitdem wir das Haus verlassen hatten. Ich hatte die Angst, die sich in meinem Freund aufgespielt hatte, schon die ganze Zeit bemerkt, aber war viel zu sehr in meiner eigenen kleinen Welt vertieft, der Dunkelheit meiner Vergangenheit, die mich und vor allem meine Gedanken wieder einnahm, dass ich gar nichts tun oder sagen konnte, um den Anderen zu beruhigen. Auf meine Worte hin weiteten sich Jeongin's Augen, er sah mich verwundert an und konnte sich meine Worte wahrscheinlich nicht erklären. Denn keiner meiner Freunde wusste hiervon. Keiner, außer Felix. Vor den Jungs hatte ich mir besonders Mühe gegeben die Fassade, die Maske, die Täuschung, dass meine Familie meine wirkliche, leibliche Familie war, aufrecht zu erhalten. Ich wollte nie, dass sie es herausfinden. Zu sehr fürchtete ich die mitleidigen Blicke, die netten und mit Trauer gefüllten Worte, die andere Behandlung, welche ich erhalten würde. Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht, dass sich etwas an unserer Freundschaft änderte. Ich wollte weiterhin der Changbin bleiben, der ich ihnen vorgab zu sein. Beziehunsgweise gab ich eigentlich nichts vor, ich verheimlichte lediglich meine Vergangenheit. I.N hatte ich nur hierher gebracht, weil ich es nicht mehr aushielt, ihm etwas zu verheimlichen, bei ihm über das hier zu schweigen, aber auch war da etwas anderes, was das Hierherbringen von dem Jüngeren veranlasste. Seine Worte. Seine Aussage von vorhin hatte das Eis zum Einstürzen gebracht, das Fass zum Überlaufen. Zwar wusste er nichts von meiner Vergangenheit, er konnte es gar nicht wissen, aber seine Worte hatten mich verletzt. Und schließlich schloss ich eine Kurzschlussreaktion und brachte ihn hierher, um endlich die Wahrheit an den Tag zu legen.

„Meine Familie, bei der ich jetzt lebe, ist nicht meine leibliche Familie. Meine Mutter... also meine leibliche Mutter, sie... war depressiv. Mein Vater ein Säufer", fuhr ich fort, versuchte die Erinnerungen, die bei dieser Aussage hochkamen, zu verdrängen, denn ich wollte nicht vor Jeongin weinen. Mit diesem Haus, mit dieser Gegend hingen so viele Emotionen und Erinnerungen zusammen, dass es fast schon ein wenig verwunderlich war, wie gut und lange ich das Alles verheimlichen konnte und wie ich es geschafft hatte, sie aufgehalten hatte, sie nicht herausgelassen hatte auf der Fahrt hierher. Schon allein der Weg, die Gedanken an das, was ich gleich aussprechen würde, hatten eine Welle an Gefühlen über mich kommen lassen, die ich komischerweise irgendwie gebändigt hatte. Aber dennoch war es schwer weiterhin nichts herauszulassen, obwohl es schon so lange her mit meiner Familie war, ich drüber hinweg sein sollte, in der Lage sein sollte, nicht zu weinen, wenn ich darüber sprach, auch wenn ich mich zwingen musste.

Tief atmete ich durch, schloss meine Augen für einen Moment, um mich zusammenzureißen. Innerlich fand ein Kampf stand, diese Erinnerungen, die ich so sehr verdrängt hatte, versuchten wieder zurückzukommen und die kleine Mauer, die ich um meine Emotionen gebaut hatte, brach Stück für Stück ein, ein kleiner Teil, der sich während der Fahrt wieder in meinen Kopf geschlichen hatte, hatte den Anfang gemacht und nun würde der Rest an Gefühlen und Erinnerungen folgen - und all das wieder wegzusperren würde sehr lange dauern. Ich wusste, dass die kleine Mauer am Ende meiner Erzählung kaputt sein würde, nicht mehr existieren würde, sie würde fallen, aber mein Freund hatte es verdient die Wahrheit zu kennen - und ich konnte sie nicht mehr länger mit mir herumschleppen, die Lüge aufrecht erhalten und einfahc nicht darüber reden, außerdem war ich bereit dazu und ich hatte nicht die Fahrt hierher mit all den Erinnerungen und was mit ihnen kam gekämpft, nur um sie jetzt ohne das zu tun, weshalb ich die Kontrolle über sie verloren hatte, einfach freizulassen.

𝒀𝒐𝒖'𝒓𝒆 𝑴𝒚 𝑫𝒓𝒖𝒈 | 𝑪𝑯𝑨𝑵𝑳𝑰𝑿Where stories live. Discover now