2.

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"Du bist Kian?", fragte sie entgeistert. Vor ihr stand ein schmaler Mann mit asiatischen Zügen und einer Brille mit dünner Fassung.
"Tut mir leid, wenn du etwas anderes erwartet hast", meinte er verlegen.
"Du bist gut", sagte Jule, nicht wissend ob sie lachen oder heulen sollte.
"Darf ich mich setzen?", fragte Kian. Unschlüssig kniff Jule ihre Lippen zusammen. Würde sie ja sagen, hieß das automatisch, dass das Date weiterlaufen würde. Würde sie nein sagen, wäre der Abend für sie beide gelaufen. Außerdem hatte sie Hunger.
"Wenn du das Essen bezahlst", setzte sie dann einen Maßstab.
"Natürlich!", sagte Kian so erleichtert, dass Jule sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
Als er ihr gegenüber saß, herrschte ein unangenehmes Schweigen. Jule lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und musterte ihr Gegenüber genau. Sein Anzug schien Maßgeschneidert zu sein, was auch sonst, immerhin konnte er sich diesen Schuppen leisten.
"Ein schönes Kleid", sagte Kian, der sie ebenfalls musterte.
"Was?", fragte Jule perplex.
"Ich sagte, du hast ein schönes Kleid", wiederholte er und ein leichter Rotschimmer bildete sich auf seinem Gesicht.
"Danke".
Eine Frau, nicht viel älter als er selbst, ging an Kian vorbei und drückte im gehen seine Schulter. Fragend zog Jule eine Augenbraue hoch.
"Meine Schwester", erklärte er verlegen.
"Und was genau macht sie hier?", fragte Jule verwirrt.
"Sie hat den Account für mich angelegt und dieses Date arrangiert", meinte Kian und spielte nervös mit seiner Serviette.
"Und warum hat sie nicht einfach ein Bild von dir geschickt?", fragte Jule, als sie daran dachte wie Lena nach einem Bild fragte und ein breitschultriger Junge die Antwort war.
"Sie meinte, dass ich so nie auf ein Date komme", sagte er zögerlich.
"Nett", kommentierte Jule belustigt.
"Heißt das, das du eigentlich keine Ahnung hast was wir geschrieben haben?", fragte sie dann gedehnt.
"Ja?", fragte Kian langsam zurück.
"Prima!"
"Hä?"
"Lass uns einfach so tun als hätten wir uns gerade kennengelernt und beschlossen was zu essen", schlug Jule vor.
"In diesem Schuppen?", fragte Kian grinsend.
Kritisch inspizierte Jule den Raum. An der Decke hingen gläserne Kronleuchter und irgendwo spielte ein Klavier. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie schon wieder ein Kellner auf sie zu kam. Nach einem letzten Blick auf die böse Dame vom Nachbartisch, verneinte sie die Frage.
"Dann lass uns gehen", meinte Kian entschlossen und stand auf. Jule, die nicht mit einer Zustimmung gerechnet hatte, stand ebenfalls auf.
"Aber das da musst du noch bezahlen", meinte sie grinsend und nickte in Richtung ihres leeren Glases.
"Stimmt wohl", meinte Kian und wank einen Kellner zu sich.

Beschwingt trat sie in den lauen Sommerabend.
"Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen an so einem schönen Tag drinnen zu hocken?", rutschte ihr die offensichtliche Frage raus. 'Ups', dachte sie, dass war nicht für seine Ohren bestimmt gewesen. Aber er schien es ihr nicht krumm zu nehmen. Stattdessen grinste er sie an.
"Das war auch Idee meiner Schwester".
Kopfschüttelnd sah sie ihn an, musste dann aber lachen.
"Ich weiß nicht ob ich deine Schwester cool oder komisch finden soll".
Kian starrte sie an und sie dachte schon etwas falsch gemacht zu haben, da lachte er plötzlich los.
"Du beschreibst meine Gedankengänge perfekt", meinte er.
"Also was machen wir jetzt?"
Gespannt sah Jule zu ihm rüber.
"Weiß nicht. Aber ich hab Hunger!", rief er und sie musste über diesen Intusiasmus lachen.
"Dito!"

"Kannst du kochen?", fragte Jule kritisch als sie im Supermarkt vor dem Fertiggerichte Regal stand.
"Nein", meinte ihr gegenüber gedehnt: "Aber ich hab Basilikum!" Grinsend schüttelte Jule den Kopf.
"Auf die Gefahr hin, das wir nicht essbaren bekommen, hab ich", suchend schaute sie sich um: "Tomatenmark!" Nun war Kian an der Reihe seinen Kopf zu schütteln.
"Deal", meinte er dann lachend, während Jule ihm den erhobenen Daumen zeigte.

Vollgepackt kamen sie wieder aus dem Supermarkt. Schnell verstauten sie ihre Einkäufe in Kians Wagen, danach stieg jeder in sein eigenes Auto.
Als Jule hinter Kians Wagen durch die City fuhr, wurde sie angerufen.
"Hallo?", fragte sie scheinheilig.
"Mit wem spreche ich?", fragte der Anrufer zurück.
"Mit jemandem, den Du anscheinend vermisst", neckte sie.
"Ach so jemand!"
Grinsend schaute Jule auf ihr Telefon, dessen Display Kians Namen anzeigte. Vorhin hatte Kian recht schüchtern und introvertiert gewirkt, aber jetzt war er richtig aufgeblüht. Gerade eben noch, hatte sie mit ihm eine Debatte geführt, ab wann Froot Loops nicht mehr cool waren. Jule konnte die eklig schmeckenden Ringe noch nie leiden, aber Kian war der Meinung, dass die bunten Farben das wieder wett gemacht hatten. Lange hatten sie darüber diskutiert und waren schließlich zu dem Schluss gekommen, dass die Dinger in keinem Alter schmeckten, aber cool aussahen.
"Ist Madame noch dran?", wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
"Madame am Apparat, was kann ich für Sie tun?", fragte Jule mit verstellter Stimme. Auf der anderen Seite der Leitung lachte Kian leise. Seit sie sich kennengelernt hatten, war kaum Zeit vergangen und trotzdem ließ sie ihn so sehr über seinen Schatten springen. Als jüngstes Kind einer Großfamilie lag der Fokus nie wirklich auf ihm. Das seine Familie ein riesengroßes Unternehmen auf die Beine gestellt hatte und ein Vermögen damit verdiente, machte es nicht einfacher. Seine Schwester würde das Unternehmen erben und von ihm wurde erwartet sich etwas eigenes Aufzubauen. Zumindestens sein Vater erwartete das. Seine Mutter war zufrieden mit ihm gewesen, selbst wenn er sich entschlossen hätte, Rapper zu werden. Sie war seine Stütze gewesen.
"Sag mal, wohin fahren wir eigentlich?", riss ihn diesmal Jule aus seinen Gedanken.
"Siehst du gleich", antwortete er geheimnisvoll und hörte Jule nörgeln. Sie war zu neugierig.
"Sagts du mir wenigstens, warum wir so weit außerhalb sind?", bohrte sie weiter nach. Es stimmte, die Stadt hatten sie schon seit einiger Zeit hinter sich gelassen und die Hochhäuser wurden von Rapsfeldern abgelöst.
"Hatschi", erklang es aus dem Lautsprecher von Kians Handy.
"Gesundheit", meinte dieser überrascht.
"Ich glaub, ich hab ne' Rapsallergie", schniefte Jule entschuldigend.
"Da hast du hier schle-."
"Heilige Scheiße!", wurde er unterbrochen.
Ungläubig beugte sich Jule über ihr Lenkrad. Vor ihr erhoben sich ein großes Tor, dass den Eingang zu einem riesigen Gelände darstellte. Mit offenem Mund ließ Jule den Blick über die riesigen Koppeln und Weiden schweifen, auf denen vereinzelt Pferde standen.
"Sag mir nicht, dass du hier wohnst", murmelte sie, doch Kian hatte es trotzdem gehört.
"Herzlich willkommen auf dem Landsitz meiner Familie", meinte er verlegen.
"Moment! Landsitz? Das heißt ihr habt noch mehr solcher Monster?", fragte Jule mit sich überschlagender Stimme.
"Das heißt es wohl."
"Heilige Scheiße!"

UnexpectedWhere stories live. Discover now