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Unruhig tiegerte Jule im Raum umher. Seit dem Foto hatten weder sie noch Gabriele Ruhe finden können. Während er allerdings stumme Tränen weinte und apathisch ins Leere starte, suchte Jule verzweifelt nach einer logischen Erklärung. Kian konnte, nein, er durfte einfach nicht tot sein. Als sie wütend auf dem Boden stampfte, zuckte Gabriele zusammen, schaute aber nicht zu ihr auf. Aufgebracht lief Jule aus dem Raum und verschwand im Garten. Wenn sie genauer darüber nachdachte, hatte sie auf dem Foto keine Verletzungen erkennen können. Vielleicht war das auf dem Bild gar nicht Kians Blut und es ging ihm gut. Das musste die Lösung sein! Aber was, wenn er doch tot war?
"Jule!", rief jemand atemlos. Erschrocken drehte sie sich um und erblickte niemand geringeren als Jaron.
"Was tust du hier?", fragte sie perplex.
"Das ist das Haus meiner Eltern", erklärte Jaron und lief die letzten Meter zu ihr.
"Wo ist Gabriele?", fragte er und schaute sich suchend um. Mit einem Nicken deutete Jule in Richtung Haus. Hastig begab Jaron sich in die ihm gewiesene Richtung. Jule fiel erst jetzt auf, dass sie die Haustür offen gelassen hatte. Langsamer folgte sie ihm und wartete etwas länger, bis sie in die Küche ging.
Drinnen fand sie einen vollkommen aufgelösten Gabriele vor, der von Jaron im Arm gehalten wurde.
"Wie seit ihr hier rein gekommen?", fragte Jaron als er sie bemerkte.
"Durch die Tür". Jaron bedachte sie mit einem genervten Blick.
"Hab das Schloss geknackt", fügte Jule großzügig hinzu und konnte ihren stolzen Unterton nicht verstecken. Jarons Blick veriet nicht ob er beeindruckt oder abgestoßen war.
"Wo ist Kian?", fragte Jule hinterhältig und warf Gabriele einen warnenden Blick zu. Sie war schon immer die eine Freundin mit Vertrauensproblemen gewesen.
"Weiß ich nicht", gab Jaron zu.
"Und woher kommst du?", bohrte Jule weiter nach. Gabriele blieb weiterhin still.
"Ich hatte einen Unfall mit dem Motorrad", erklärte Jaron nach kurzem Zögern. Ein Zögern das zu lang für Jule war.
"Du lügst", zischte sie und trat einen Schritt zurück.
"Du hast ihn diesen Leuten ausgeliefert!", beschuldigte sie ihn und machte einen weiteren Schritt aus der Küche, als Jaron sich von Gabriele löste und auf sie zukam.
"Jule-".
"Du bist schuld das er wahrscheinlich Tod ist!", schrie Jule hasserfüllt.
"Tod?", fragte Jaron und wurde blass.
"Tod", bestätigte Jule. "Wegen dir". Mit Genugtuung beobachtete sie, wie er sich am Tisch abstützte.
"Das wollte ich nicht", sagte Jaron und sank auf einen der Stühle.
"Ich wollte nur das Gabriele sicher ist. Wirklich". Jaron schaute ihr nun in die Augen.
"Liebe macht blind", meinte Jule resigniert und massierte sich die Schläfe. Heute war einfach zu viel passiert.
"Also fassen wir zusammen. Du bist mit Kian gefahren, um ihn auszuliefern und bist danach hier her gekommen. Warum?"
"Ich wollte sicherstellen das Vagin sich an seinen Teil der Abmachung gehalten hat", erklärte Jaron und wurde wieder ernst:" mit Kians Tod hat er allerdings dagegen verstoßen".
"Vorher", begann Gabriele zögerlich und Jules Blick schoss zu ihm. "Ich habe ihnen gesagt das Kian bei uns ist". Fassungslos starte Jule ihn an.
"Ihr beide?", fragte sie und lachte hysterisch. "Das glaub ich jetzt nicht". Auch Jaron schien überrascht.
"Wisst ihr was? Ich bin weg". Mit diesen Worten rauschte Jule aus dem Raum.
"Jule!", rief Gabriele ihr hinterher und sie hörte Jarons schwere Schritte die ihr nach kamen.
"Jule", meinte auch er, als er sie eingeholt hatte und packte sie am Arm. Als sie sich losriss und zu ihn umdrehte glitzerten Tränen in ihren Augen.
"Was?", fauchte sie und versuchte verzweifelt die Tränen weg zu blinzeln.
"Hey. Es ist alles gut", sagte Jaron weich.
"Nichts ist gut!", entgegete Jule und konnte nicht verhindern das ihr Tränen über die Wangen liefen.
"Ich war zu einem Date verabredet. Zu einem fucking Date! Und jetzt ist er tot". Jules Stimme brach. Sie schluckte schwer und versuchte ihre Tränen weg zu wischen.
"Das weißt du doch gar nicht", meinte Jaron sanft.
"Doch", schluchzte Jule. "Das Foto!"
"Das kann genauso gut gefälscht sein", meinte Jaron ohne zu wissen wovon sie redete.
"Also. Kommst du wieder mit rein und wir kümmern uns darum?", fragte er.
Jule blickte unschlüssig auf seine ausgestreckte Hand.
"Wir stehen jetzt auf einer Seite Jule. Auch mir war und ist Kian wichtig", sagte Jaron ernst als er ihr Zögern bemerkte.
"Und mir auch", schaltete sich Gabriele ein, der geduldig an der Haustür wartete.
"Eine Seite?", schniefte Jule.
"Eine Seite", bestätigte Jaron.
Sie ergriff seine Hand.

Ächzend versuchte Kian seine Sitzposition zu ändern. Die Fesseln schnitten ihm mittlerweile unangenehm in die Haut. Vorhin hatte er kurz geschlafen doch das war ein Fehler gewesen. Nun tat sein ganzer Nacken weh.
Außerdem stank es bestialisch nach Blut. Kian wusste nicht ob der Schuss Taio nur verletzt oder getötet hatte. Eine von Vagins Helferinnen war kurz nach dem Schuss gekommen und hatte Taios Körper näher an ihn gezogen, so das sich ein Blutfleck vor Kian bildete. Mittlerweile war das Blut an seinen Füßen getrocknet. Als die Handlangerin wieder gegangen war, hatte sie auch das Licht wieder ausgeschaltet. Seitdem war es stockdunkel.
Kian hätte nicht sagen können wie viel Uhr es gerade war, doch das interessierte ihn momentan herzlich wenig. Viel eher stellte er sich die Frage, wie er hier gelandet war. Und wo war Jaron? Hatte Vagin auch Jule und Gabriele verschleppen lassen? Kian wurde schier wahnsinnig vor Unwissenheit.
Ein Summen erklang und kurz darauf ging das Licht wieder an. Geblendet wollte Kian sich die Hand vor die Augen halten und wurde mal wieder unangenehm an seine Fesseln erinnert.
"Kian. Wie ist es dir ergangen? Genießt du unseren Service?", fragte Vagin und trat zu ihm. Kian hatte sich noch immer nicht richtig an das helle Licht gewöhnt.
"Also mein Lieber, hast du das was wir wollen?", fragte Vagin.
"Was wollt ihr den?", fragte Kian zurück.
"Die Ergebnisse deiner Mutter", sagte Vagin herablassend.
"Die hab ich nicht", erwiederte Kian wahrheitsgemäß und sah Vagin jetzt endlich richtig. Da er immer noch den selben Anzug trug, musste es noch der selbe Tag sein.
"Aber natürlich hast du die", meinte Vagin.
"Nicht das ich wüsste, nein", sagte Kian verwirrt. Umständlich gestikulierte Vagin und machte einen Schritt zur Seite.
"Eww. Bringt das Ding hier raus", sagte er angeeklet als er gegen Taios Körper stieß. Sofort huschte die Dame von vorher herbei und zog Taio aus dem Lichtkreis. Kians Hoffnung das er noch leben würde zerplatzten. Im stillen verabschiedete er sich von seiner erst geschlossenen Bekanntschaft.
"Rück es raus Kianchen", säuselte Vagin und kniff ihm in die Wange, wie die Tante, die niemand richtig leiden kann.
"Von was zur Hölle reden sie?", fragte Kian verwirrt und drehte seinen Kopf weg.
"Die Ergebnisse verdammt! Das ist doch jetzt wirklich nicht so schwer zu verstehen", verlor Vagin das erste mal seine Fassung und stampfte auf den Boden. Zu seinem Glück war das Blut schon vertrocknet, sonst hätte sein weißer Anzug nun ein Fleckenmuster.
"Ich habe keine Ergebnisse", wiederholte Kian langsam. Vagin gab ihm die vierte Ohrfeige in, vermutlich, einem Tag.
"Den Ring", sagte er und gestikulierte wild in der Luft.
"Welcher Ring?", fragte Kian, doch noch während er fragte kannte er die Antwort.
"Den, den dir deine Mutter gegeben hat", meinte Vagin und sah die Erkenntnis in seinem Blick.
"Du weißt wovon ich rede", stellte er zufrieden fest.
"Keine Ahnung was sie da faseln", blöffte Kian.
"Schon klar", lachte Vagin und umrundete den Stuhl.
"Wäre ja zu schön gewesen", seufzte er als er den Ring nicht an Kians Hand vorfand.
"Also, wem hast du ihn gegeben?", fragte er als er wieder vor Kian stand, doch der presste trotzig die Lippen zusammen.
"Dann muss ich mich wohl selber drum kümmern", seufzte Vagin, lächelte ihn dann aber wieder genauso scheiß freundlich an wie vorher.
"Wir sehen uns", trällerte er. Mit Vagin verschwand auch das Licht wieder.

"Was machen wir?", fragte Jule skeptisch. Jaron hatte fachmännisch einen Block und einen Kugelschreiber aus einer Schublade gekramt und war bereit jede Idee schriftlich festzuhalten.
"Unser Problem ist, dass wir nicht wissen ob Kian lebt. Das heißt ja Schritt eins wäre Informationsbeschaffung", dachte Gabriele laut nach.
"Warum wollen die Kian überhaupt haben?", fragte Jule aus dem Kontext gerissen.
"Keine Ahnung", gab Jaron zu. "Ich vermute wegen der Firma".
"Firma?", hakte Jule nach.
"Chow&Chow", erklärte Gabriele.
Juels Geschichtzüge entglitten. Chow&Chow hatte das Leben ihres Onkels und damit indirekt ihr Leben ruiniert.
Als Jule noch jünger gewesen war, hatte ihr Onkel ein kleines Startup gegründet. Es lief gut und seine Mühe wurde mit immer größerer Aufmerksamkeit belohnt. Ihr Onkel liebte seine Berufung. Irgendwann sprangen große Partner urplötzlich ab und seine Firma ging insolvent. Für das weitere Überleben seiner Idee musste er notgedrungen an Chow&Chow verkaufen. Er verlor seinen Job und arbeitete fortan in einer Fabrik. Trotzdem hätte er sein Leben darauf verwettet, dass Chow&Chow etwas mit der plötzlichen Insolvenz zu tun hatten. Schließlich verfiel er in Depressionen. Jules über alles geliebter Onkel, der einzige, der sie zu verstehen schien und sie vor ihren strengen Eltern rettete, beging Selbstmord. Jule weigerte sich auf seine Beerdigung zu gehen. Bis heute schämte sie sich für ihr eingebildetes Handeln.
Was sie aber viel mehr schockte war, dass ausgerechnet Kian mit solchen Verbrechern in einem Haus lebte.
Ein Piepen riss sie aus ihren Gedanken. Gabriele zog sein Handy hervor und starte die neue Nachricht an.
"Kian ist nicht tot", sagte er doch bevor Jule jubeln konnte sprach er weiter. "Allerdings nur so lange bis wir ihnen den Ring bringen".

UnexpectedTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon