6.

14 6 4
                                    

Vorsichtig streichelte Jule das große Tier auf dem sie saß. Der Wallach war muskulös und sie spürte ihn atmen. Vorsichtig lehnte sie sich vor und streichelte seinen weichen Hals.
Fasziniert beobachtete Kian die beiden. Jule strahlte nun eine Ruhe aus die er von dem geballten Bündel Energie nie erwartet hätte. Auch ihre Gestik hatte sich verändert. Er vermutete, dass sie sehr ruppig werden konnte und sich schon gar nicht darum scherte, was andere Leute von ihr dachten. Wahrscheinlich hatte sie schon des öfteren ein Wort zu viel gesagt.
Ein Bewegen der Longe ließ Kian seine Umgebung wieder bewusster wahrnehmen. Bingo hatte sich, mit einer breit grinsenden Jule, freudig in Bewegung gesetzt.
Als der junge Hengst zu ihm gekommen war, war er völlig verängstigt gewesen. Er war in einem umgestürzten Anhänger gewesen und seine Besitzer hatte ihn weggeben da er sich nicht mehr reiten ließ. Es hatte lange Gedauert das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen. Von dem langen Musskelaufbau musste er gar nicht anfangen. Bingo war wie gemacht für den Tunier Sport, doch er mochte es nicht. Also hatte Kian, entgegen des Drängen seines Vaters, den Wallach behalten, für den er beim Verkauf sicherlich gut Geld bekommen hätte. Das Bingo nur ihn an sich ranließ, hatte seinen alten Herrn nicht gekümmert.
Währenddessen passte Jule sich vorsichtig Bingos Bewegungen an. Eine Zeit lang hatte sie steif da gesessen, doch das war unangenehm gewesen. Ihren Klammergriff um den Sattel hatte sie aber trotzdem nicht aufgegeben.
"Lass den Sattel los", forderte Kians sanfte Stimme sie auf. Mit hochgezogener Augenbraue sah sie zu ihm, doch als sie sah, dass er es ernst meinte, löste sie ihre Finegr zögerlich.
"Und jetzt?", fragte sie unsicher.
"Streck den linken Arm aus". Jule tat wie ihr gehießen.
"Das fühlt sich dämlich an", meinte sie und brachte Kian dazu leise zu lachen. Als er wieder zu Jule schaute, sah er, wie ihre braunen Augen ihn musterten.
"Was?", fragte er und ging in Abwehrhaltung.
"Dein Lachen. Nicht dein Dauergrinsen, das Lachen eben. Ich mag es", gestand Jule ehrlich. Damit hatte er nicht gerechnet.
"Was?", fragte er daher verwundert.
"Du grinst die ganze Zeit so dämlich und zeigst dabei deine, wohl gemerkt, echt krass weiße Zähne. Aber gerade eben hast du wieder so gelacht. Nur ganz leise. Aber ich glaube, es war echt". Jule bemerkte wie Kians Augen sich weiteten und er nach Worten suchte.
"Danke?", fragte er mehr als zu sagen.
"Dank mir, wenn es wirklich etwas gibt, für das du dich bedanken kannst", erwiederte Jule. Kian nickte zustimmend.
Bingos Kopf drehte sich zur Seite und er spitzte die Ohren.
"Was hat er de-".
"Psst!"
Angestrengt horchte Kian in die einbrechende Nacht hinein. Jetzt hörte auch er es. Das schnelle herannahen eines Fahrzeugs.
"Wer ist das?", flüsterte Jule doch Kian antwortete nicht. Fiebrig ging er die möglichen Erklärungen für das Geräusch durch. Es könnte einer der Bauern sein, die hier ihre Ländereien hatten, aber es klang nicht wie ein Traktor oder Jeep. Vermutlich war es ein Sportwagen. Seine Schwester konnte es nicht sein, sie musste noch zu einem wichtigen Meeting. Jemand anderes würde sich nie hier her verirren. Er musste schnell handeln, dass wusste er. Noch war das Geräusch außerhalb der Steinmauer aber schon wurde es leiser und das Eingangstor öffnete sich mit dem altbekannten quietschen.
"Komm mit", flüsterte Kian zu Jule.
"Wie denn?", fragte diese zurück.
"Das eine Bein rüber und runter", erklärte Kian ungeduldig. Er half ihr das letzte Stück vom Pferd, indem er sie auffing.
"Komm mit", wiederholte er und sah so nicht Jules peinlich berührten Gesichtsausdruck. Er zog sie an der Hand hinter sich her, die andere führte Bingo. Schnell öffnete er ein Gatter und wuchtete Bingos Sattel nach unten, so dass nur noch die Satteldecke auflag.
"Warte hier", flüsterte er Jule zu und wollte ihr die Zügel in die Hand drücken, doch sie versteckte ihre Hände hinter dem Rücken.
"Vergiss es, ich komm mit", meinte sie. Schon öffnete Kian den Mund zur Erwiederung, doch das Knirschen von Kies ließ ihn verstummen. Er band Bingo am Gatter fest und gab Jule einen Wink, ihm zu folgen. Er kletterte unter dem Holzzaun durch und lief auf einer schmalen Schneise zwischen Büschen und Zaun in Richtung Haus. Schnell waren sie an dem alten Bau und liefen an der linken Seite zur Vorderseite des Hauses.
Abrupt blieb Kian stehen und Jule konnte gerade so verhindern, dass sie in ihn lief. Sie entschied sich dagegen, zu fragen was los war und kauerte sich hinter Kian. Dieser lugte um die Ecke des Gebäudes und schaute auf den Vorplatz. Nicht weit von ihm stand ein Mercedes AMG-GT. Sein Couseng fuhr so einen Wagen doch hatte er ein anderes Nummernschild. Die Beifahrertüre öffnete sich und er sah den Blondschopf einer Frau. Das genügte ihm, schnell zog er den Kopf zurück und bedeutete Jule, die hinter ihm hockte, ihm zu folgen. Diesmal schneller liefen sie zur Koppel zurück.
"Warte kurz", zischte Kian und sein Tonfall ließ Jule ohne murren stehen bleiben. Währenddessen huschte ihr Date zu einem der großen Flutlichtmasten und hantierte daran herum. Wenig später wurde es dunkel.
Jule blinzelte verwirrt und versuchte sich an die plötzliche Dunkelheit zu gewöhnen.
"Alles gut?", fragte Kian und sie zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte ihn nicht kommen sehen.
"Erschreck mich nicht so", fuhr sie ihn leise an und blinzelte abermals. Ihre Augen gewöhnten sich nur schwer an die schummrige Dunkelheit.
"Du musst aufsteigen", drängte Kian und band Bingo wieder los.
"Wie denn?", fragte Jule genervt zurück und wies ihn auf die fehlenden Steigbügel hin.
"Winkel dein Bein an und halt dich fest, ich halt dir mit meinen Händen eine Leiter", löste Kian das Problem. Juel fand den Wallach schnell und tat wie ihr geheißen. Sie spürte eine Berührung am Knie.
"Bereit?", fragte Kian und sie gab einen zustimmenden Laut von sich.
"Eins, zwei, drei- und heb!", flüsterte er und stemmte sie hoch. Schnell schwang sie ihr Bein über den breiten Pferderücken.
"Rutsch nach vorne", flüsterte Kian und sie befolgte die Anweisung. Kurz darauf schwang er sich hinter sie. Jule überspielte ihre Überraschung gekonnt und rutschte noch ein Stück vor.
"Alles gut?", fragte Kian und sie hoffte, das er sie nicken sehen konnte.
"Gut. Halt dich fest", meinte er.
"Und wo?", fragte sie.
"Beine anpressen und sont- naja, gegen mich lehnen", sagte Kian verlegen und Jule seufzte leise.

UnexpectedWhere stories live. Discover now