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"Was ist der Plan?", fragte Jule und schnappte sich den Anschnallgurt.
"Wir fahren unterschiedliche Wege", sagte Gabriele geistesabwesend und tippte auf dem Navi herum während Jule mit der Schnalle kämpfte.
"Woher weiß Jaron eigentlich, dass dieses Leute da kommen?", hakte Jule nach und gab einen triumphierenden Laut von sich, als die Schnalle eingerastet war.
"Warum geht das denn nicht?", fluchte Gabriele leise.
"Was ist los?", fragte Jule besorgt.
"Das Navi geht nicht", stöhnte der Angesprochene.
"Was geht denn nicht?", bohrte Jule weiter nach und lehnte sich in ihrem Sitz vor.
"Da. Ich kann kein Ziel eingeben", klagte Gabriele. Auch als Jule auf das Symbol zur Adresseingabe klickte, passierte nichts.
"Hast du eine Karte?", fragte Jule.
"Da vorne", meinte Gabriele und zeigte aufs Handschuhfach. Flink öffnete Jule das Fach und holte einen Straßenatlas heraus. Die Pistole, die darunter verborgen gewesen war, ließ sie unkommentiert.
"Wo müssen wir hin?", fragte Jule und schlug das Verzeichnis des Atlas auf.
"Warte", meinte Gabriele und nahm sich das Kartenverzeichniss. Schnell schlug er eine der Karten auf und tippte auf ihr Ziel.
Das Aufheulen des Motorrads ließ die beiden Aufschauen. 
"Wir sollten dann mal lieber los", meinte Gabriele und löste die Handbremse. Nur knapp hinter dem Zweirad verließen sie das Gelände.
"Das mit dem: 'Sie sind in fünf Minuen da' war ja mal eiskalt gelogen", kommentierte Jule trocken als weit und breit niemand zu sehen war.
"Sei doch froh", meinte Gabriele belustigt und fuhr hinter Jaron und Kian her.
"Ja", meinte Jule gedehnt:"Da könntest du Recht haben". Im nächsten Moment wank sie Kian hinterher, sie waren in entgegengesetzte Richtungen abgebogen.
"Wir nehmen nur eine andere Route", meinte Gabriele und Jule wandte sich wieder ihrem Job als lebendes Navi zu.
"Da rechts".
"Dankeschön", murmelte Gabriele und setzte den Blinker.
"Wenn du dich jetzt bei jeder Wegabzweigung bedanken willst, wird das eine anstrengende Fahrt", stellte Jule fest.
"Siehst du den grauen Wagen hinter uns?", fragte Gabriele vollkommen aus dem Kontext gerissen.
Fachmännisch warf Jule einen Blick in den Seitenspiegel und sah den Wagen der in einigem Abstand hinter ihnen fuhr.
"Ja, warum?", fragte sie und wandte den Blick ab.
"Ich glaub die fünf Minuten sind jetzt um".
Genervt rollte Jule mit den Augen.
"Also verfolgt der Wagen uns?"
"So siehts aus", meinte Gabriele.
"Hier musst du übrigens links", unterbrach Jule die angespannte Stimmung. Grinsend unterdrückte sie ein Lachen, als sie sah das der graue BMW hinter ihnen weiter geradeaus fuhr. Unauffällig schielte sie zu Gabriele der die Lippen aufeinander presste.
Jule konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen:"Wahrscheinlich hat er den Herd nicht ausgemacht". Von Gabriele kam keine Reaktion.

Verbissen hielt Kian sich an Jaron fest, der mit einem Affenzahn über die leere Straße. Die Fahrt mit Jule war eindeutig angenehmer gewesen.
Ihr Ziel war eine Kleinstadt an der Grenze zu Frankreich. Dort lebten eigentlich Jarons Eltern, allerdings waren diese momentan in ihrem Sommerhaus.
Von da aus wollten sie weiter sehen. Wahrscheinlich würde Kian seinen Vater kontaktieren. Dieser hatte, entgegen der Verachtung seiner Mutter für dieses Tun, schon immer die schmutzigen Angelegenheiten übernommen.
Kian hatte eine Vermutung zur Identität seiner Verfolger. Seine Mutter hatte mit ihrer Arbeit sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, vorallem ein Wissenschaftler aus dem Bereich Gehirnwissenschaften hatte das Projekt für sich beanspruchen wollen. Seine Mutter war zuerst gewillt gewesen, es ihm zu verkaufen, ließ den Deal aber kurz vor knapp platzen. Der Professor war darüber nicht sehr begeistert. Seine Anfänglichen Bitten wurden irgendwann zu Drohungen. Als er begann sie zu belästigen, zog sie vor Gericht, bevor sein Vater sich um ihn kümmern konnte. Der Fall war schnell entschieden und der russische Professor Vagin durfte sich ihr nicht mehr als zehn Schritte nähern. Außerdem veranlasste das Gerichtsverfahren ein Kontaktverbot.
Nach dieser Entscheidung hatte seine Mutter nie wieder etwas von Vagin zu hören bekommen. Kurz darauf war sie verstorben.
Ruckartig legte Jaron sich in die nächste Kurve. Ein schneller Blick auf den Tempomat des Motorrads verriet ihm, dass Jaron ihr Tempo nochmals angezogen hatte. Als er sich wieder abwenden wollte, viel sein Blick auf den Außenspiegel. Ein dunkles Auto war in knappen Abstand hinter ihnen. Angestrengt versuchte Kian die Insassen zu erkennen, doch die Scheiben waren getönt und ihre Fahrt zu rasant.
Eine weitere Kurve ließ Kians Kopf unschön zur Seite knicken und er verlor den Verfolger kurz aus den Augen. Als er das nächste mal einen Blick auf den Wagen erhaschte, war die Scheibe des Beifahrers heruntergelassen.
"Pistole!", schrie Kian so laut er konnte gegen den Fahrtwind an. Jaron hörte ihn nicht. Eine Kugel peitschte an ihm vorbei und schlug in den felsigen Untergrund an seiner rechten Seite ein. Nun hatte Jaron verstanden was er meinte. Mit einem aufheulen holte er noch mehr Geschwindigkeit aus dem Fahrzeug. Kian betete das er wusste wie er das Ding unter Kontrolle hielt. Die Straße schlängelte sich um einen Berg und Kian wurde langsam bewusst das sie das nächste Dorf wahrscheinlich nicht mehr rechtzeitig erreichen würden. Eine weitere Kugel verfehlte den Hinterreifen nur knapp. Immerhin wusste er nun das sie ihn nicht umbringen wollten. Ob Entführung so viel besser war konnte er nicht sagen.
Die nächste Kurve hätte ihn fast vom Motorrad geschleudert. Verbissen krallte er sich in Jarons Anzug. Er hatte ihn eigentlich nie richtig gemocht und Jaron sah das nicht anders. Eigentlich war es komisch das er als erstes zu ihm gefahren war.
Jaron legte eine harte Bremsung ein als ihnen ein Wagen entgegen kam. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihm, dass ihre Verfolger die Pistole aus dem Fenster gezogen hatten. Also gehörten die Wagen nicht zusammen. Als sie aneinander vorbei waren, beanspruchte Jaron wieder die ganze Fahrbahn für sich und gab Gas. Ihre Verfolger fielen hinter sie zurück. Die Weggabelung hinter der nächsten Kurve kam wie gerufen.
Im Schutz der Felsen bog Jaron links ab und Kian hoffte, dass das Auto die andere Richtung nahm.

Das Radio war der einzige Faktor der Jule vor einer unangenehmen Stille bewahrte. Während Verkehrsdurchsagen und Lieder sich munter abwechselten dirigierte Jule Gabriele durch die Waldige Landschaft.
Zu Jules Leidwesen fand Gabriele nach einer "Pinkelpause" eine CD mit klassischer Musik im Wagen. Während Jule noch dem modernen Pop hinterher trauert, war Gabriele voll in der Welt von Mozart Beethoven und Co gefangen.
Als die CD zum dritten Mal von vorne anfing und Jule schon Verdacht hegte, dass Gabriele sie damit nur Ärgern wollte, machte er sie auf einen weißen Wagen aufmerksam.
"Der folgt uns jetzt schon eine ganze Weile", meinte er. Anscheinend wollte er alle Risiken auf Fehlvermutungen ausschließen.
"Und jetzt?", fragte Jule ratlos.
"Gibt es in der Nähe eine Stadt oder sowas?", fragte Gabriele zurück.
"An der nächsten Kreuzung kannst du nach links in ein kleines Dorf", meinte Jule nach einem Blick auf die Karte.
"Okay. Wenn er uns bis dahin folgt, versuche ich ihn abzuhängen", erklärte Gabriele den Plan.
Gespannt wartete Jule auf die Abzweigung. Tatsächlich folgte der andere Wagen ihnen auf dem Weg um das Dorf herum. Jule war fast schon ein wenig enttäuscht als der weiße PKW schließlich in einer Einfahrt anhielt.
"Dann wohl doch nur ein Zufall", gab Gabriele zu und fuhr wieder auf die Landstraße.
Wenig später erspähte Jule den weißen Wagen hinter ihnen.
"Kein Zufall", meinte sie und versuchte nicht begeistert zu klingen. Gabriele schaute in den Spiegel, sah den Verfolger und gab Gas. Als sie in einen Wald einfuhren war der weiße Wagen so weit zurück gefallen, dass sie ihn nicht mehr sehen konnten. Schnell lenkte Gabriele in einen kleinen Forstweg, aber nicht, ohne vorher den Blinker zu setzen und fuhr so weit hinein, bis sie von der Straße aus nicht mehr einsehbar waren. Nach schier unendlich langen Warten, in dem Jule den Drang unterdrückte die CD zu zerbrechen, fuhr der weiße Wagen an ihnen vorbei. Nachdem weitere Minuten verstrichen waren, lenkte Gabriele den Wagen wieder auf die Fahrbahn und sie setzten ihre Fahrt fort.

Dankbar für die Pause, stieg Kian vom Motorrad. Ächzend nahm er seinen Helm ab und streckte sich ausgiebig.
"Die Idioten haben uns nicht wiedergefunden", lachte er in Jarons Richtung der zustimmend nickte.
"Da haben wir echt Glück gehabt", meinte er.
Kian ließ seinen Blick über den kleinen Parkplatz schweifen. Ein dunkler Van parkte am anderen Ende, aber von Toiletten fehlte weit und breit jede Spur.
"Ich geh mal-", sein Satz wurde von einem harten Schlag auf seinem Hinterkopf unterbrochen.

UnexpectedWhere stories live. Discover now