7.

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"Was war vor dem Haus?", fragte Jule und versuchte krampfhaft den Abstand zu Kian beizubehalten.
"Kian?", fragte sie als sie keine Antwort bekam. In diesem Moment setzte Bingo sich in Bewegung.
"Wir machen jetzt schneller", warnte Kian. Ihm war nicht wohl zumute mit Jule zusammen zu traben. Sie hatte praktisch keine Reiterfahrung und würde in der schnelleren Gangart unnötig Bingos Rücken strapazieren, weil sie herumhüpfte.
"Lehn dich an mich", bat er daher.
"Ich soll was? Warum?", fragte Jule wenig begeistert.
"Ich muss eh um dich rumgreifen, also kannst du dich auch gleich anlehnen. Da ist für Bingo und dich angenehmer", erklärte er und fasste an ihrer Taille vorbei an die Zügel.
"Achtung", warnte er und rückte noch ein Stück näher zu Jule, um die Zügel besser unter Kontrolle zu haben. Mit einem Ruck trabte der Wallach an und Jule fiel gegen Kians Brust. Sie gab ein ächzen von sich und versuchte sich wieder aufzurichten, ließ es dann aber bleiben.
Seine Wärme war angenehm, das merkte Jule jetzt. Er roch gut. Nach Pferd aber auch nach Zimt. Warum roch er nur nach Zimt?
"Jule?", fragte Kian vorsichtig und versuchte sich zu konzentrieren. Ihr Haar hing ihm unter der Nase und kitzelte an seinem Kinn.
"Mhh?", fragte sie zurück. Er wusste nicht mehr was er sagen wollte. Sie machte ihn verrückt. Genau, das war der richtige Ausdruck.
Er hatte sich gnadenlos verliebt. Nach nur einem Tag. Warum nur? Und was war wenn sie nicht das selbe fühlt? Er sollte sich keine Gedanken machen. Sie kannten sich erst einen Tag - eigentlich wussten sie nichts voneinander.
"Kian?", fragte sie nochmals doch er reagierte nicht. Seine Oberschenkel begannen zu Schmerzen.
Es war schwer sich und Jule ohne Sattel auf dem Pferderücken zu halten. Sein Ziel war der Wald an den die Koppel angrenzte. Wenn er richtig lag, hatten sie mindestens eine Stunde Vorsprung, zuerst würden die ungewollten Besucher das Haus durchsuchen. Bis dahin waren sie hoffentlich schon außer Reichweite und damit auch erstmal außer Gefahr. Er wusste nicht sicher, wer diese Leute waren und was sie hier wollten, aber er hatte eine Vermutung.

"Kian!", fuhr Jule ihn diesmal schärfer an.
"Vertraust du mir?", fragte er und versuchte seine Hoffnung auf ein ja herunterzuschlucken. Jule zögerte und Kians Hoffnung begann bitter zu schmecken.
"Ja", sagte sie schließlich und ein leises Lächeln stahl sich auf Kians Lippen.
"Dann vertrau mir".
Die ersten Bäume kamen in Reichweite, nur der hölzerne Zaun trennte sie noch von der tiefen schwärze des Blattwerks.
"Ab hier laufen wir", sagte er und hielt den Hengst an. Geschmeidig sprang er von dem Tier und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden. Er half Jule herunter und nahm dem Pferd die restlichen Reitutensilien ab.
"Ciao", verabschiedete Jule sich, bevor Kian sie sanft in Richtung Zaun bugsierte. Geduldig wartete er, bis Jule unter dem Zaun durch war und warf einen letzten Blick in Richtung des alten Hauses, in dem mittlerweile Licht brannte. Bald wäre ihr Vorsprung zunichte.

"Hier lang", dirigierte er und führte Jule in das dunkle Dickicht. Das fahle Mondlicht wurde gänzlich geschluckt und sie waren von einer scheinbar undurchdringlichen schwärze umgeben.
"Nicht", stoppte er Jule, als diese die Taschenlampe ihres Handys anschaltete.
"Warum?", fragte sie verwirrt.
"Vertrau mir". Unschlüssig schaute sie ihn an und tat dann, um was er sie bat.
"Ich sehe nichts mehr", stellte sie misbilligend fest, doch Kiak zog sie einfach weiter. Es war nun deutlich schwieriger etwas zu erkennen, das sich seine Augen erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen mussten. Als er Jule das zweite mal vorm hinfallen rettete, blieb er schließlich stehen.
"Wir laufen noch ein kleines Stück, ja", warnte er sie und setzte sich wieder in Bewegung. Er fand den schmalen Wanderweg erst viel später als er gedacht hatte. Hier war es nun einfacher zu laufen. Kurz drauf erreichten sie auch ihr Zwischenziel. Es war eine riesige Erdkuhle im Schatten eines entwurzelten Baumes.

"Was machen wir hier?", fragte Jule beunruhigt.
"Es bringt heute nichts, weiter zu laufen", erklärte Kian und tastete den Boden ab.
"Für heute Nacht bleiben wir hier".
"Hier?", hakte sie nach.
"Hier", erwiederte Kian und ließ sich auf den Boden fallen.
"Komm her", bat er sie und griff nach ihrer Hand. Zögerlich kniete sich Jule neben ihm auf den Boden. Es war hier etwas heller als vorhin, hier und da kämpfte sich der Mond durch die Blätter Decke. Es war merklich abgekühlt, Jule fror in ihrem dünnen Shirt, auch wenn sie es nicht zugeben würde.
"Du bist ja ganz kalt", stellte Kian bestürzt fest und begann sich seiner Jacke zu entledigen.
"Lass das", sagte Jule scharf und versuchte ihn daran zu hindern die Jacke auszuziehen, doch er war schneller. Schon hatte Jule die Kapuzenjacke über den Schultern.
"Und was ist mit dir?", fragte sie und hob herausfordernd eine Augenbraue.
"Eben", sagte sie dann als es auf Kians Seite still blieb.
"Wir schließen einen Kompromiss, Deal?", fragte er als sie ihm die Jacke wieder in in Hand drückte.
"Und der wäre?", fragte sie zurück.
"Wir teilen uns die Jacke".
"Vergiss es".
"Wir müssen heute eh hier schlafen, also schlafen wir Rücken an Rücken und nehmen die Jacke als Decke", erklärte Kian seufzend.
"Okay", stimmte Jule zögerlich zu. Sie stand nicht unbedingt auf Körperlichen Kontakt zu jemanden, der sich jederzeit als Perversling herauszustellen konnte. Allerdings traute sie ihm das nicht zu und sie hatte diese Gefahr akzeptiert, als sie mit zu ihm gefahren war.
Also legte sie sich bereitwillig neben ihn, Rücken an Rücken. Kian breitete die Jacke sorgfältig über ihnen aus. Es hatte etwas schönes unter dem Baum zu liegen. Er spendete eine Art Dach und ließ doch genug Platz um Licht einfallen zu lassen. Nur die Erde, die schon jetzt in Jules Gesicht hing, störte das Bild. Aber auch die Jacke, die ständig verrutschte, so dass einer keine Decke mehr hatte, war nicht gemütlich.

"So geht das nicht", sagte Jule frustriert, als ihr die Jack ein weiteres mal von den Schultern gerutscht war und setzte sich auf. Schnell stand sie auf und legte sich auf die andere Seite von Kian. Dieser lag still und ließ sie einfach machen. Einen Arm von Kian legte Jule sich um die Schulter, den andere schob sie ein Stück weg damit sie sich hinlegen konnte. Wie vorhin Kian, zog sie die Jacke über beide.
Nicht spät danach spürte Kian ihr regelmäßiges Atmen.

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