8.

13 5 3
                                    

"Ich fühl mich als hätte ich im Dreck geschlafen", murmelte Jule und fuhr sich durch die Haare, um die Erde, die darin hing, loszuwerden.
Kian war schon aufgestanden und wartete geduldig, bis Jule sich zu ihm auf den Weg gesellte.
"Wir müssen lange laufen", warnte er sie, doch Jule wank ab.
"Kein Ding", meinte sie und lief los.
"Jule".
"Hmm?"
"Andere Richtung".
"Oh".

Ihr Weg führte Kreuz und quer durch den Wald und als Jule schon nicht mehr sagen konnte wo sie hergekommen waren, schien Kian immer noch zu wissen, wo er hinwollte. Zwischenzeitlich hegte Jule den Verdacht, dass sie sich verirrt hätten und hegte schon grausame Hensel und Gretel Fanatsien ohne Happy End, da führte Kian sie aus dem Wald hinaus auf eine Straße. Nachdem sie diese ein Stück lang gegangen waren und wieder in den Wald einbogen, diesmal auf der anderen Straßenseite, wurde es ihr zu bunt. Sie blieb stehen. Sie hätte auch schreien können, vor ihm weglaufen, oder sich ein Taxi rufen können, doch sie blieb stehen.
"Jule?", fragte Kian verwirrt, als ihre rhythmischen Schritte hinter ihm verklungen waren. Er drehte sich um und wurde von ihrem Blick gefangen genommen. Ein Augenblick, wenige Sekunden, für ihn eine Ewigkeit. Ein verirrter  Sonnernstrahl schien durch das Blätterdach auf ihr Gesicht und ließ sie wie aus einer anderen Dimension scheinen.
"Kian. Du verlangst zu viel. Ich kann dir nicht bedingungslos vertrauen". Diese Worte gaben seiner perfekten Welt einen Sprung.
"Ich war auf ein Date mit meinem Traumtypen verabredet". Der Sprung riss weiter.
"Und jetzt stehe ich hier im Wald, ohne jegliche Orientierung". Verzweifelt fuhr Jule sich durch die Haare und lächelte ihn dann unsicher an.
"Was muss ich tun?", fragte er. Unsicher schaute Jule ihn an.
"Wie meinst du?"
"Was muss ich tun damit du mir Vertraust?"
"Ich-", setzte Jule an und suchte verzweifelt nach einer Antwort:"ich weiß es nicht". In einer flüssigen Bewegung streifte Kian seinen Ring ab.
"Das ist alles was ich dir geben kann", sagte er und überbrückte den Abstand zwischen ihnen. Vorsichtig nahm er ihre Hand und legte das Schmuckstück hinein. Die Zweifel in ihren Augen verletzten ihn.
"Was ist das für ein Ring?", fragte sie und inspizierte ihn. Es war ein schickes Stück. In der Mitte einer silbernen Fassung befanden sich zwei Reihen kleiner Edelsteine. Wenn sie an Kians Haus dachte, lag die Vermutung nah, dass sie echt waren. Vorhin, bei ihrem ritt, war er Jule schon aufgefallen. Der Ring hatte sehr feminin gewirkt und warf die Frage auf, weshalb Kian ihn trug.
"Er gehört meiner Mutter. Ein letztes Andenken", erklärte er. Sie hörte den Schmerz in seiner Stimme und eine Nachfrage blieb ihr im Hals stecken.
Entschlossen steckte sie sich den Ring auf ihren Zeigefinger und schaute ihn an. Er hatte ihr etwas für ihn so wichtiges anvertraut, jetzt war sie dran, etwas zurück zu geben.
"Gehen wir heute noch weiter?", fragte sie herausfordernd und ihre Augen strahlten mit ihrem Grinsen um die Wette.

Als sie um die nächste Kurve des Weges gingen, konnte Jule das erste Mal das Ziel ihrer Wanderung sehen. Ein flacher Bau, ähnlich wie ein Schuppen, der aber doppelt so groß und modern schien, trohnte zwischen den Bäumen.
"Verstecken wir uns in dem Ding?", fragte sie skeptisch, während Kian zu einem Baum lief. Er griff in ein Loch etwas überhalb der Wurzeln und zog eine kleine Box heraus.
"Das ist der Motorradschuppen von meinem Cousin. Erzähl meinem Onkel aber nicht, dass er mitten im Wald den Schlüssel dafür rumliegen hat. Mein Cousin ist nicht unbedingt ordentlich und hätte den Schlüssel sicher verloren, keine Ahnung ob er überhaupt noch weiß wo er den versteckt hat", erzählte Kian und öffnete den Schuppen.
"Aber du weißt das praktischerweise?"
"Ganz genau".
"Und du kannst Motorrad fahren?"
"Naja-", druckste er herum.
"Also nicht", seufzte sie Kopfschüttelnd.
"Das war eine ganz schöne Schnappsidee", rügte sie ihn:"zu deinem Glück hab' ich aber einen Motorrad Führerschein".
"Echt jetzt?", fragte Kian überrascht.
"Nur weil ich den Wisch hab', heißt es nicht, dass ich noch fahren kann", bremste Jule seine Aufkeimende Begeisterung.
"Bin länger nicht gefahren", erklärte sie auf seinen fragenden Blick.
"Wie lange?", fragte er skeptisch.
"2 Jahre?", fragte Jule vorsichtig zurück.
Als er entsetzt schaute schob sie schnell hinterher:"aber das ist wie Fahrrad fahren!"
"Kann deine Oma noch Fahrrad fahren?", fragte Kian seufzend.
"Hä?", gab Jule wenig intelligent zurück.
"Kann deine Oma noch Fahrrad fahren", wiederholte er langsamer.
"Meine Oma ist tot", antwortete sie verwirrt.
Kian schien einen Augenblick zu überlegen und meinte schließlich:"Dito".
"Was sollte dann der Vergleich?", fragte Jule verwirrt.
"Na du hast gesagt, dass man Fahrrad fahren nicht verlernt", sagte Kian, als würde das alles erklären.
"Ja?"
"Na Omas können doch meistens kein Fahrrad mehr fahren".
"Keine Ahnung, ich hab meine Oma nie kennengelernt".
"Ja aber du kennst doch wohl andere Omas". 
"Aber das liegt doch am Alter und nicht weil sie es verlernt haben". 
"Sag ich doch", triumphierte er.
"Hast du nicht gesagt-. Moment mal! Hast du mir grade unterstellt, dass ich zu alt zum Motorrad fahren bin?", rief sie empört.
"Nein, nein, so meinte ich das doch gar nicht", stritt Kian es verunsichert ab.
"Jaja, Freundchen, würd' ich an deiner Stelle auch behaupten", meinte sie und gab ihm mit einem Lächeln zu verstehen, dass sie Spaß machte. Kian lachte verunsichert und öffnete dann die Tür. Nach Jule betrat er den Bau.

"Das ist weiß", merket Jule trocken an, als sie sich umschaute. Der Boden war weiß, die Wände waren weiß, die Decke war weiß, selbst die Türen waren in Makellosem weiß. Durch die grellen Neonröhren, die sich beim betreten automatisch angeschaltet hatten, wurde Jule unangenehm geblendet.
An einer Seite befand sich eine Garderobe, die, wer hätte es gedacht, weiß war. Nur die aushängenden Motorradanzüge waren schwarz.
"Das ganze Gebäude wird über Solarzellen mit Strom versorgt", erklärte Kian stolz, als wäre es seine Erfindung gewesen.
"Sind das E Motorräder?", fragte Jule überrascht als sie die Fahrzeuge sah. Sie waren durch ein Kabel, die ironischerweise schwarz waren, mit der Wand verbunden, vermutlich waren dort Ladestationen eingebaut.
"Jep", sagte Kian grinsend und drückte ein Fach in der Garderobe.
"Welches willst du fahren?", fragte er und klimperte mit einer Reihe von Schlüsseln. Jule ging zu den Rädern und betrachtete sie.
"Das ist ja fancy", lachte sie und zeigte auf ein Bike, das praktisch nur ein Oval mit Lenkrad und Rädern war.
"Neuste Technik aus Österreich, mein Onkel hat mir stundenlang davon erzählt. Mein Cousin hat das Ding allerdings noch nie angerührt", erzählte Kian.
Jule standen insgesamt drei Maschinen zur Verfügung. Eine war rot und hatte den klassischen Schnitt eines modernen Motorrads und das andere war schwarz im selben Schnitt. Jule warf noch einen Blick auf das Ovale Gefährt, dann zeigte sie auf die schwarze Maschine.
"Die hier bitte", sagte sie mit nästelnder Stimme, als würde sie im Restaurant bestellen.
"Ihre Bestellung kommt sofort".
Kian warf ihr einen der Schlüssel zu und traf hoffnungslos daneben.
"Werfen sollten wir beide bleiben lassen", stellte Jule fest und umrundete das Motorrad das sie sich ausgesucht hatte, um den Schlüssel zu holen.
Währenddessen schnappte sich Kian zwei der vier Motorradanzüge und brachte sie zu Jule.
Als Kian sich abmühte in die Schutzmontur zu kommen, und trotzdem scheiterte, erbarmte Jule sich und zeigte ihm wie er den Anzug anziehen musste.
"Helme?", fragte sie als beide eingepackt waren.
"Hier", zeigte Kian und drückte auf eine weitere scheinbare Wand. Eine Schranktür öffnete sich und eine Reihe von Helmen erschien.
"Dein Cousin ist ein ganz schöner Freak", stellte Jule fest und starrte auf das Arsenal bunter Kopfbedeckungen.
Einer der Helme war, als einziger, schwarz und hatte Katzenohren, ein anderer war ein Venom Kopf und die vier restlichen waren alle Knallbunt und mit den verrücktesten Grafiken versehen.
"Ich nehme den", meinte Jule entschlossen und griff nach einem orangenen Helm mit bunten Totenköpfen, die irgendwie doch noch leben zu schienen. Kian schnappte sich den Venom Helm und schloss das Fach.
"Bevor ich's vergesse, wohin soll ich überhaupt fahren?", fragte Jule.
"Zu meinem Cousin".
"Der Helm Cousin?"
"Genau der".
"Oh man. Wohin muss ich?", fragte Jule weiter nach.
"Also gleich biegt du rechts auf die Straße ab und an der übernächsten Möglichkeiten links. Dann musst du direkt wieder rechts und-"
"Weißt du was? Du dirigierst mich einfach", fiel Jule ihm schnell ins Wort. Ihr Orientierungssinn war gleich null. Kian hingegen schien eine Weltkarte in seinem Kopf zu haben und alle Wege auswendig zu kennen.
Dieser Gedanke brachte Jule wieder auf die Frage, die sie vorhin schon hatte stellen wollen:"Warum kennst du dich in dem Wald eigentlich so gut aus? Und warum ist der Motorradschuppen von deinem Cousin hier mitten in der Pampa?"
"Das Anwesen und der Wald haben meinen Großeltern gehört. Als Kind war ich oft da, hab mich aber die meiste Zeit im Wald herumgedrückt. Wenn meine Schwester auch mit da war haben wir im Wald verstecken gespielt. Ich kenn das Gelände praktisch besser als das Haus selbst", erklärte Kian und lachte.
"Und was ist mit deinem Cousin?"
"Meine Großeltern sind auch seine Großeltern gewesen. Wir haben das Grundstück beide als Spielplatz benutzt, nur eben anders. Er hat entdeckt, dass man hier gut fahren kann, da es kaum Verkehr gibt. Also hat er die Motorräder, nicht zu weit weg von Oma und Opa, hier abgestellt. Mittlerweile fährt er aber so gut wie gar nicht mehr".
"Wie alt ist dein Cousin?", fragte Jule skeptisch.
"Jaron ist 32". Überrascht schaute Jule ihn an, doch er wank ab.
"Meine Familie ist so groß, dass ich noch nicht mal alle Cousins und Cousinen kenne", lachte er.
"Echt jetzt?", fragte Jule perplex.
"Leider wahr. Wenn Familien Feiern anstehen findet man immer wieder neue Gesichter".
"Krass", raunte Jule. "Meine Familie besteht nur aus meinen Eltern und mir".
"Na das ist mal ein Unterschied", lachte Kian.
"Kannst du laut sagen. Sag mal, müssen wir nicht langsam los?"
"Guter Punkt, wie war das nochmal mit dem Weg?", fragte er verlegen.
"Wenn ich links muss, klopfst du mir links auf die Schulter, oder so, und wenn ich rechts muss eben rechts".
"Klingt logisch".
"Was hattest du sonst erwartet?", fragte sie herausfordernd und grinste.
"Vielleicht das wir endlich los fahren?", fragte Kian zurück.
Als Erwiederung ging Jule zu ihrem Gefährt und schob es aus der Tür.
"Kommst du?", rief sie und setzte ihren Helm auf.
"Schon da", antwortete Kian und setzte sich hinter sie.
"Halt dich gut fest. Und mach das Visier zu!"
"Aiai, Kapitän".

UnexpectedWhere stories live. Discover now