Kapitel 2 - Von Wahnsinn...

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Das Weltenwelken zieht seine Spur. Letztes Blatt des Dom Askur.
Das Vermächtnis der Verräter, lieber niemals oder später?
Ihr Verstand gar liegt in Scherben. Er trägt den Fluch, die Wut zu erben.
Lasst sie nicht vom Weg abkommen, das Schicksalsnetz ist dünn gesponnen.


~Sabrina~
Nihil

Diese Albträume gehörten zu ihren frühsten Erinnerungen. – Eine unendliche Wüste des Nichts. Unendliches Schwarz. Verhangen von einem trüben, grauen Nebel, der über die Dünen schwebte. Und weit, weit in der Ferne eine milchige, nie untergehende Sonne und ihr blutroter Planet, der sie Umkreiste. Doch ab und an wurden selbst diese Lichtquellen verschluckt, wenn einer der riesigen Falter-Schwärme das Nichts verdunkelte.

Sabrina träumte oft von diesem viel zu einsamen Ort, der nichts im Vergleich zu traumlosem, erholsamem Schlaf bot. Eigentlich sass sie hier meist einfach nur im Sand rum, fürchtete und langweilte sich – was eine unbehagliche Kombination war – und sah stundenlang dem roten Planeten zu, wie er seine Runden drehte. Begegnungen mit den Albtraumwesen hatte sie glücklicherweise selten. Die schwirrenden Schwärme an Nacht- und Tagfaltern waren dabei das kleinste Übel. Hier gab es Kreaturen, drahtig und nackt, wie eine Mischung aus Mensch und Tausendfüssler mit winzigem Kopf, unzähligen knochigen Armen, die aus einem langgezogenen Torso ragten. Die zwei dürren, krüppligen Beine zog es wie ein lästiges Anhängsel hinter sich her. Andere Monster sahen aus wie gigantische Bandwürmer, deren Unterseiten von Kopf bis Schwanz aus einem bezahnten Maul bestand und die alles, worüber sie krochen, auffrassen. Oder die wundersam fluoreszierenden Lurche, deren Haut durchscheinend war, sodass man ihre Innereien darunter pulsieren und die Leichen noch nicht vollständig verdauter Beute erkennen konnte...

Doch als Sabrina sich heute in ihre schizophrene Traumwelt wiederfand, hatte diese eine neue Überraschung für sie auf Lager: Ein Engel mit vier Schwingen zog über ihr vorbei. Tatsächlich hatte Sabrina hier schon zuvor geflügelte Menschen gesehen. Bisher immer nur aus der Ferne und – wenn sie sich richtig erinnerte - auch nur mit einem Flügelpaar am Rücken.

Obwohl sie sich fürchtete, folgte Sabrina dem geflügelten Mann. So angsteinflössend ihr krankes Unterbewusstsein auch sein mochte, in ihren Träumen wagte sie manchmal, es zu erkunden.

Sie musste nicht weit laufen, da machte sie die nächste Entdeckung: Der Untergrund veränderte sich. Gewöhnlich war da nur schwarzer Sand am Boden. Keine Wiese, kein Asphalt. Doch nun traten ihre Füsse auf Kiesel, die unter ihren Schuhen leise knirschten. Und je weiter sie ging, desto grösser wurden die Steine. Wie glatte, spitze, steinerne Zähne bohrten die Findlinge sich anfangs nur kniehoch aus dem Boden. Doch nach den ersten hundert Metern ragten sie weit über ihren Kopf. Und je weiter sie vordrang, desto mehr Falter waren da. Schmetterlinge und Motten, allesamt schimmernd wie ein Film Benzin auf einer Pfütze. Sie tanzten zwischen den Riffen umher, ruhten auf dem dunklen Gestein und flatterten immer aufs Neue in die Höhe auf die weisse Sonne zu, nur um dann wieder vor Erschöpfung runterzufallen und von vorn beginnen zu müssen.

Den Engel hatte Sabrina mittlerweile verloren. Fasziniert setzte sie ihren Weg dennoch fort. Noch nie hatte sie so etwas in ihrer Traumwelt vorgefunden. Eine andere Landschaft als Sand. Doch auch hier war alles schwarz. Den einzigen Kontrast bildete Reflexionen der weissen Sonne und ihres roten Sterns.

Mit einem Mal hörte Sabrina Stimmen. Nicht nur wildes Radio in ihrem Kopf, echte Stimmen.

»Wie schön, dich hier zu sehen, Isra. Sag, ist das Totenreich dir zu voll geworden?« Das hörte sich nach einem Mann an, rau und tief.

»Du bist ein Heuchler, Kaitou.« Diese Stimme gehörte ebenfalls einem Mann, nur hatte sie trotz der strengen Worte einen sanften, melodischen Klang.

Twos - Ein Märchen von Sommer und Winter  - Neue Fassung (3)Where stories live. Discover now