Kapitel 10 - Hüter und Homunculus

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Seelenlose können leben, mit Magie ein Puls gegeben.
Die wahren Verse wohlbehütet, das lange Warten wird vergütet.
Was der Paladin so lang verschwieg, führt die Rebellen bald zum Sieg.
Der Spinne Lied die Drossel singt, Bewusstsein für die Pflicht bedingt.


~Mile~
7. Haluk 80'024 IV – LaRuh, Turdidae, Twos

Er hatte das Licht, das durch die hohen Klosterfenster des Dormitoriums fiel, im halbwachen Zustand erst für Sonnenlicht gehalten, bis die grauen, polierten Granitwände ihn daran erinnert hatten, wo er sich befand. In LaRuh, der Hochburg der Rebellion unter Tage. Sonnenstrahlen waren eine kilometerweite Erdmasse von ihm entfernt. Und doch malte helles Licht die Texturen der Vorhänge auf seine Haut.

Mile stand auf, ganz vorsichtig, um Sabrina nicht zu wecken, die noch immer unter der Decke lag, ein Bein aus dem Bett hängend.

Als Mile mit Eril auf den Platz des Attentats zurückgekehrt war, hatte seine Schwester ihn fest an die Hand genommen und ihm die Frage ins Ohr geflüstert, ob sie diese Nacht bei ihm schlafen könnte.

»Natürlich«, hatte er geantwortet und ihre Hand gedrückt.

Bei dem Gedanken an den gestrigen Horror wurde ihm wieder ganz anders. Zwei Tote hatte es gegeben. Die Elfe, deren Bolzen in ihrer Brust Sabrina getroffen hätte, wäre Eril nicht der Held des Tages gewesen, um seine Schwester aus der Schussbahn zu stossen. Ihm war aber auch der zweite Tote zu verdanken, den die Stadtwache in ein Tuch gewickelt auf einer Bahre abtransportiert hatte, dorthin, wo auch immer die Rebellen ihre Toten brachten.

Warum hatte Eril den Mann erschossen?

Nur zu gern hätte Mile geglaubt, was der Elf zur Begründung seiner Tat gesagt hatte, nur konnte er es nicht. Die Logik dahinter fehlte. Ja, der Attentäter war ein Abhängiger dieser Droge gewesen... Radag, genau, so hiess die. Er mochte wirr gewesen sein, ja, aber was er vor seinem Tod gesagt hatte... ›Er versprach, ich dürfte meine Tochter besuchen, er ... er würde mich mitnehmen, ich dürfte sie sehen...‹ Wer hatte das versprochen? Ganz offensichtlich hatte jemand den Mann zu dieser Tat angestiftet. ›Ich hätte Euch nicht erschossen, n-nur verletzt.‹

Er wollte seinen Verdacht nicht wahr haben, er wollte glauben, dass der Rastaban ein Held war, wirklich... Aber er hatte den Attentäter erschossen, damit dieser seine Geschichte nicht erzählen konnte, er hatte etwas vertuscht! Nur was? Und warum?

Mile schob die Nase hinter die Vorhänge und blinzelte in das viel zu grelle Licht. Er blickte aus dem Fenster die Hauswand hoch und sah über der Stadt in der Mitte der schroffen Höhlendecke eine grosse, runde Kugel hängen, die so stark leuchtete, dass er nicht wagte, direkt in sie hineinzublicken.

»Boah«, flüsterte er. »Die Rebellen haben sich eine eigene Sonne geschaffen...«

Bei ›Tageslicht‹ konnte man die Brücken sehen, von denen die Schienenseilbahnen aus vier Richtungen ins Zentrum zur Kongressfestung führten. Sie erinnerten noch immer an Aquädukte.

In diesem Moment klopfte es an der Tür und Mile zog die Vorhänge ganz auf. »Herein«, sagte er und schmunzelte, als Sabrina sich genervt grunzend im Bett wälzte.

An der Tür scharrte und kratzte es seltsam, als würde ein Tier davor kauern. Schliesslich erfolgte das Runterdrücken der Klinke doch noch, die Tür sprang auf und herein kam... Essen auf Rädern – ein Küchenwagen, auf dem ein volles Frühstücksbuffet aufgebaut war.

»Guten Morgen, Mylord und Mylady«, verkündete eine fröhlich maunzende Stimme und erst meinte Mile, das noch ofenfrisch dampfende Brot hätte mit ihm gesprochen, bis er den Kater sah. Ein flauschiger, grauer Fellball mit schwarzen Streifen und gelbgrünen Augen.

Twos - Ein Märchen von Sommer und Winter  - Neue Fassung (3)Where stories live. Discover now