1. Elias - Geschwisterliebe

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„Verdammt!", knurrte ich genervt. Alles, was schiefgehen konnte, ging schief! Von Anfang an hatte ich geahnt, dass es eine blöde Idee war, diese Bestellung anzunehmen. „Nie, nie wieder lass' ich mich von dir überreden!", fuhr ich Gott weiß, wen an, denn ich war allein in der Küche und verzierte den gefühlt tausendsten Cupcake.

Meiner liebsten Schwester, Anna, hatte ich diesen Auftrag zu verdanken. Besser gesagt hatte sie mich dazu verdonnert, als das nicht half, auf Knien angefleht. Das hatte ich jetzt von meiner Großmütigkeit, dass ich in sämtlichen Dingen, die mit ihr zu tun hatten, ein viel zu gütiges Herz besaß und ihr nicht das Geringste ausschlagen konnte. Eben dieses bekloppte little-sister-Syndrom würde mich früher oder später mal ins Grab bringen.

Eine ihrer unzähligen besten Freundinnen heiratete und ich hatte die ehrenvolle Aufgabe, für das Kuchenbuffet zu sorgen. Eine amerikanisch angehauchte Trauung sollte es sein und da durfte der typische Süßkram nicht fehlen. Deshalb stand ich, Elias Schneider, seit Stunden in der Küche, schlug Eier auf, stelle Cremes her und fluchte.

Es lag nicht im Entferntesten daran, dass ich meinen Job nicht liebte, sonst hätte ich mich nie vor einem Jahr selbstständig gemacht. Konnte sogar eine kleine Konditorei, mit einem noch kleineren Café, mein Eigen nennen. Es war auch bei Weitem nicht die erste Bestellung. Ich hatte bereits einige kleine Veranstaltungen beliefert, aber eben nichts in dieser Größenordnung.

Hier handelte es sich um eine riesige Hochzeit, mit über siebenhundert Leuten. Und meines immer währenden Glücks sei Dank, lag nun auch noch Lila, die einzige zusätzliche Bäckerin, die ich hatte, mit Fieber im Bett. Tja und meine liebreizende Schwester, für die ich durchs Feuer gehen würde, hatte nichts Besseres zu tun, als sich bei dem Junggesellinnenabschied die Kante zu geben. Statt wie versprochen zu helfen. Dieser verdammte Auftrag war selbst für zwei noch viel zu groß und jetzt musste ich die ganze Scheiße allein ausbaden!

Ächzend ließ ich mich auf den Stuhl sinken, warf den leeren Spritzbeutel in die Spüle und riskierte einen Blick auf die Uhr. Zwanzig nach drei verspottete mich diese. Hörbar stöhnte ich auf. Heute Nacht würde meine Lagerstätte eindeutig nicht mehr viel von mir haben.

Nach einigen Minuten des mentalen, guten Zuredens an meinen Körper, erhob ich mich schwerfällig, nahm die letzten zwei Tabletts mit Cupcakes und begab mich in die Kühlung.

Aber hey, ich hatte es geschafft! Vor mir reihten sich hundert Cupcakes in vier verschiedenen Geschmacksrichtungen, nochmal so viele Whoopies, Cake Pops, Brownies und Cookies, nebst einer vierstöckigen Hochzeitstorte auf. Zufrieden mit mir selbst löschte ich das Licht und ging zur Hintertür. Von dort führte eine schmale Treppe hinauf zu meinem kleinen, persönlichen Reich.

Ohne Licht zu machen, schlurfte ich zielstrebig ins Schlafzimmer und ließ mich, wie ich war, ins Bett fallen. Keine fünf Minuten später hatte mich das Land der Träume.

Ein nervtötendes Geräusch drang penetrant in mein Bewusstsein und ich schreckte aus dem Schlaf. Blind tastete ich nach dem Nachtschränkchen, auf dem mein Handy liegen müsste. Fand es und ging ran.

„Hmmm ..." Zu mehr war ich wirklich nicht imstande. Die Nacht war eindeutig zu kurz. "Ich will wieder schlafen", dachte ich noch bei mir, da ertönte sogleich die überaus gut gelaunte Stimme meiner Schwester!

„Einen wunderschönen, guten Morgen, Sonnenschein! Wieso bist du im Bett?"

Wie brachte man es zustande, in aller Herrgottsfrühe so fröhlich zu sein?

„Wie sieht es aus? Hast du alles geschafft?", setzte sie aufgeregt hinzu.

„Hmm ..." Zu mehr konnte ich mich auch dieses Mal nicht durchringen.
„Eliiiaaas!!", schrie Anna ungehalten. „Aaauuufwaaacheeen!!"

Mit einem Stöhnen drückte ich mein Mobiltelefon ins Polster. Irgendwann würde ich sie umbringen, beschloss ich in Gedanken, atmete tief durch und hielt mir das Handy erneut ans Ohr.

„Anna bitte, ja ich bin wach! Meine Nacht war verdammt lang! Ich war erst um halb vier fertig und nun nervst du mich bereits um ...", widerwillig öffnete ich ein Auge, linste auf den leuchtenden Display, fokussierte die Zahlen und stöhnte „... um 8 Uhr!"

„Hör auf zu meckern Darling, schwing lieber deinen süßen Knackarsch aus den Federn. Das Wetter ist herrlich und die Hochzeit findet wie geplant statt. Ich warte um elf hier auf dich! Hab dich lieb! Bis gleich."

Sie wartete keine Antwort ab, da war das verräterische Klicken in der Leitung zu hören. Niedergeschlagen ließ ich das Gerät auf den Boden sinken und drücke das Gesicht ins Kissen. Die Nacht war eindeutig zu kurz gewesen. Und dass ich mich gestern nicht ausgezogen hatte, rächte sich jetzt. Bestimmt sah ich zerknautscht aus, zumindest fühlte ich mich so.

Frustriert über den Weckruf, erhob ich mich aus dem Bett und taumelte halb schlafend ins Badezimmer. In solchen Augenblicken half nur eine Dusche. Ich stelle das Wasser auf kalt, um den Kreislauf in Schwung zu bringen, sollte bekanntlich helfen. Sofort überzog eine Gänsehaut meinen Körper.

„Shit", entkam es mir fluchen und ich sorgte für angenehmere Temperaturen. Ja, so konnte man die ganze Sache genießen. Das Prasseln auf der Haut tat unbeschreiblich gut.

Ich hatte noch drei Stunden, um mich fertigzumachen, den Transporter zu beladen und die halbe Stunde Fahrt zum Schloss, wo im Park das Kaffeetrinken der Hochzeitsgesellschaft stattfinden würde, zu bewältigen. Wenn ich mich jetzt nicht beeilte, könnte es durchaus knapp werden.

Etwas unter Zeitdruck tastete ich mit geschlossenen Augen nach meinem Shampoo, wusch die Haare und griff daraufhin nach dem Duschgel. Fünf Minuten später stieg ich aus der Dusche und angelte nach einem Handtuch. Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass ich heute eindeutig nicht um eine Rasur kam. Hatte ich es gestern in weiser Voraussicht, die Küche eh nicht zu verlassen, vernachlässigt. Nun zierte zum Dank ein leichter Dreitagebart Kinn und Wangen. Geschwind rasierte ich mich und föhnte mein braunes, schulterlanges Haar, angelte nach einem Haargummi und band sie mir zu einem Pferdeschwanz zurück. Danach ging ich in das Schlafzimmer und zog mir ein schwarzes T-Shirt sowie eine ausgewaschene Jeans an.

Der Blick auf die Uhr zeigte, dass es nach neun Uhr war und ich mich sputen sollte. Flott lief ich die Treppe hinunter und wurde vom herrlichen Geruch, frisch gemahlener Kaffeebohnen empfangen.

„Morgen Chef, Kaffee?" Thomas, oder besser gesagt Tom, einer der beiden Kellner, die ich letztes Jahr zu meiner Entlastung eingestellt hatte, stand am Kaffeeautomaten und lachte mich strahlend an. Wo nahm er bloß immer diese gute Laune her?

„Bitte, sonst kippe ich bei der piekfeinen Gesellschaft nachher noch um." Bei so einem Strahlen kam ich nicht umhin, ihm eines zurück zu schenken, und verschwand im Kühlraum.

„Lange Nacht? Warst du endlich mal wieder Party machen?", ertönte seine Stimme gedämpft hinter mir. Gefolgt vom Mahlen der Kaffeemaschine, die wie Musik in meinen Ohren klang.

Ich mochte Tom total gerne. Wir hatten uns auf Anhieb super verstanden. Zuerst machte er nur einen guten Job, nach und nach entwickelte er sich immer mehr zu einem Freund. Auf ihn war einfach Verlass. Wenn Not am Mann herrschte, konnte ich ihn jederzeit anrufen. So übernahm er nach kurzer Zeit samstags und sonntags die Schicht im Laden. Wodurch ich zu mehr Freizeit kam, ohne die Angst im Nacken, im Café bräche das Chaos aus. Ich war wirklich dankbar, ihn gefunden zu haben.

„Feiern? Was ist das?", rief ich über die Schulter. Kurz überlegte ich, wie lange das letzte Mal tatsächlich her war. Als es mir spontan nicht einfiel, verdrängte ich den Gedanken. „Lila ist krank, also hatte ich ein Rendezvous mit meinen Zuckerstückchen hier."

Mit drei Tabletts vor mich hin balancierend, kam ich aus der Kühlung. „Machst du bitte die Tür auf, Tom! Der Schlüssel vom VW liegt irgendwo in der Schublade da vorn."

Dabei stieß ich die Tür mit der Hüfte auf und blickte sogleich in das grinsende Gesicht von Tom, der auf seinem Zeigefinger einen Schlüssel kreisen ließ und galant die Tür aufhielt. Was blieb mir da anderes, als einfach nur zurück zu grinsen? Dieser Kerl war eindeutig zu gut für mich.

„Ich weiß doch, was du willst!", stellte Tom weiterhin feixend fest und deutete eine Verbeugung in Richtung Ausgang an.

Eine Stunde später waren alle Backwaren sicher im Transporter verstaut und ich nippte zufrieden an dem zweiten Kaffee. Neben mir bediente Tom wiederholt fleißig die Kaffeemaschine, mittlerweile hatten sich nämlich die ersten Gäste im Café eingefunden.

Kurz beobachtete ich meinen Kumpel, wie dieser strahlend Bestellung entgegennahm und hier und da mit einer der Damen schäkerte. Kein Wunder, dass ihm sämtliche Frauen in der Konditorei zu Füßen lagen. Tom war 1,80 m groß, hatte blonde Haare, die vorne etwas zu lang waren und ihm so in die strahlend blauen Augen fielen. Der Körper war ebenfalls nicht zu verachten. Wenn er Enganliegendes trug, konnte man die Bauchmuskeln durch das Shirt erahnen, was selbst mein Kopfkino gelegentlich anregte. Und sein Charme brachte letzten Endes jeden zum Schmelzen.

Schmunzelnd stellte ich meine Tasse ab, rief ein „Bin dann mal weg" und begab mich zur Hintertür. Grade war ich dabei das Auto zu starten, da ließ mich ein lautes Klopfen am Seitenfenster zusammenfahren. Kopfschüttelnd und mit zuckenden Mundwinkeln stand da Tom und drückte meine weiße Bäckerjacke ans Fenster. „Ich dachte, die könntest du brauchen!"

„Mein Held!" Theatralisch griff ich mir bei diesen Worten an die Brust und nahm die Jacke entgegen.

„Ich setze alles auf die Rechnung, das weißt du doch!" Lachte Tom auf und verschwand wieder durch die Tür.

Oh Mann, diese imaginäre Rechnung musste verdammt lange sein. Gott allein wusste, was mir als Begleichung dieser Schuld blühen würde. Über diese Tatsache grübelnd, machte ich mich auf den Weg.

Es war ein typischer Samstagvormittag, und der Verkehr kroch regelrecht dahin, pünktlich würde ich es nicht mehr schaffen.

Grade hatte ich einen guten Parkplatz entdeckt, da ertönte mein Handy zum wiederholten Mal. Genervt schnappte ich danach und klemmte es zwischen Ohr und Schulter. „Schneider", meldete ich mich förmlich, ohne den Verkehr aus den Augen zu lassen. Da es sich hierbei auch um meine Dienstnummer handelte, konnte es ein potenzieller Kunde sein.

„Wo steckst du? Ich warte seit einer viertel Stunde auf dich!" Aber es war nur meine liebe Schwester, die mich anbrüllte. „Bin da! Komm zum Tor, dort kannst du mich sehen!"

Mehr bekam sie nicht zu hören, denn dieses Mal legte ich einfach auf und parkte den Transporter. Keine Minute später erschien ein Rotschopf im Tor. Anna kam im kleinen Schwarzen auf mich zu geschlendert. Ihre schulterlangen, roten Locken umspielten ihr Gesicht. „Wurde auch Zeit! In drei Stunden muss alles fertig sein!" Dabei stemmte sie ihre Hände in die Hüften und sah mich streng an. Wenn sie diesen Blick drauf hatte, ahnte niemand, dass sie erst 19 Jahre jung war.

„Krieg dich wieder ein, Küken, Nerv nicht, sondern zeig mir lieber, wo alles hinmuss!"

Ihr Auftritt erinnerte daran, dass ich den Stress gestern nur ihr zu verdanken hatte. Und so setzte ich meinen bösesten Blick auf und sah auf sie hinab. Augenblicklich kam sie wie ein Kätzchen auf mich zu, schmiegte sich an mich und spielte dabei unschuldig mit einer ihrer Locken. Sei nicht sauer!", säuselte sie, zog einen Schmollmund und klimperte mit den Wimpern. Doch dieses Mal kam sie damit nicht durch. Ich war echt genervt und wütend auf sie, das durfte sie ausnahmsweise spüren.

„Wohin? Die Zeit drängt, das waren immerhin deine Worte!"

Schmeiß die Cupcakes an die Wand (Capcakes 1)Where stories live. Discover now