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„Tick, Tack, Tick, Tack, Tick, Tack, ...", drang an ihr Ohr und sie seufzte, während sie die Zeiger der großen Wanduhr nicht aus den Augen ließ.

Wie konnte die Zeit nur so kriechen? Das war echt zum Haare raufen! Manchmal raste sie nur so dahin, dass sich in ihr das Gefühl breitmachte, sie könnte irgendwas verpassen und dann das: Stunden wurden zu unüberbrückbaren Zeitspannen, Minuten zu Stunden und, Sekunden zogen sich, als gäbe es kein Morgen. Als würde man im Zeitstrudel festhängen.

Und gleichzeitig dachte man, man würde in der Bedeutungslosigkeit versinken. Wieder seufzte sie und begann, die Radiergummispäne mit dem Finger aufzustiepen, um wenigstens irgendwas zu tun, während sie wartete. Boah, war das langweilig!!! Sie wusste nicht, wann sie sich das letzte Mal SO gelangweilt hatte.

Ihre Augen hefteten sich wieder auf die Uhr und sie stellte fest, dass ganze 3 Minuten vergangen waren und sie rollte mit den Augen. Sie musste noch eine Stunde warten. Mindestens. Sie könnte Musik hören, dachte sie und angelte nach ihren Kopfhörern, ehe sie diese aufsetzte und ihre Playlist startete.

Nee, das Lied nicht. Vorwärts. Nö, das auch nicht. Nächstes. Das ging. Nein, doch nicht. War auch nicht, was sie hören wollte. Aber was wollte sie denn hören? Alter Schwede, war sie kompliziert heute! Sie war so gelangweilt, dass nicht mal Musik ihr da raushalf! Und die half ihr sonst aus jedem Loch, indem sie sie gefangen nahm! Frustriert warf sie die Kopfhörer wieder neben sich und stand auf.

Vielleicht würde Bewegung etwas Gelassenheit in ihr Inneres bringen? Sie durchschritt ihr Zimmer an der Längsseite, während ihre Gedanken gleichzeitig rasten und andererseits dahintröpfelten. An einer Wand angekommen, wandte sie sich um und ging zurück. Immer wieder, genau 10 Schritte. Sie hatte kleine. Was passierte denn, wenn sie weiter ausholte? Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht. Aha. Dann waren es acht.

Sie sparte also zwei Schritte ein, wenn sie größere machte. Aber dann war sie ja auch schneller an der anderen petrolfarbenen Wand ihres Zimmers. Ein Blick zur Uhr. Die Zeit verging deswegen auch nicht schneller. Genervt strich sie sich durch ihre Locken und seufzte. Wenn sie doch nur aus dem Raum gehen könnte. Aber dann musste sie sich den mitleidigen Blicken ihres Mitbewohners aussetzen, der sie oft besser kannte, als sie sich selbst.

Darauf hatte sie wirklich keinen Bock. Aber auf was hatte sie denn Bock? Ihr Blick fiel auf das Bücherregal, das sie in die Ecke neben ihren großen Schreibtisch gestellt hatte. Sollte sie...? Bevor sie den Gedanken zu Ende gesponnen hatte, schüttelte sie den Kopf. Wenn sie sich schon nicht auf irgendeinen Song konzentrieren konnte, wie sollte das dann mit geschriebenem Wort gehen? Da konnte sie es auch gleich lassen...

Ruhelos nahm sie ihre Wanderung wieder auf, während sich zunehmend Ungeduld mit der Langeweile verwob. Sie konnte wirklich gar nichts mit sich anfangen, war das denn zu glauben? Vielleicht sollte sie meditieren. Das brachte für gewöhnlich Ruhe in ihre Gefühlswelt. War einen Versuch wert, befand sie und ließ sich auf den Holzboden plumpsen, kreuzte ihre Beine, streckte ihren Rücken und schloss die Augen.

Sie bemühte sich, sich nur auf ihren Atem zu fixieren, den sie kontrolliert in ihre Lunge und wieder herausströmen ließ. Immer tiefer in die Entspannung sagte sie sich und gleichzeitig keimte der Gedanke in ihr auf, welche Figur sie in dem Minikleid wohl machte, wenn sie so am Boden saß und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Sodass Zeit keine Bedeutung mehr hatte.

Immer weniger gelang es ihr, sich auf sich zu fokussieren, weil ihr hyperaktiver Verstand seine verdammte Schnauze nicht halten wollte. Scheiße, wie sie sich gerade ankotzte!!! Entnervt gab sie auf und legte sich auf den Boden, um an die Decke zu starren. Aber nicht ohne nochmal auf die Uhr zu schauen, deren Ticken immer lauter zu werden schien. WTF?!? 5 Minuten??? Mehr nicht???

Sie rollte automatisch mit den Augen und stöhnte auf, während sie ihre Augen an die Zimmerdecke lenkte. Bis es an der Tür klingelte, war sie wahrscheinlich schon durchgedreht. Bestimmt. Anders konnte es fast nicht sein!

„Ding Dong!", tönte es und sie sprang wie der Blitz auf die Beine.

‚Wehe, das ist nur der Postbote, weil er ein Paket für die Nachbarn abgeben möchte!', hallte durch ihren Kopf, während sie sich fix nochmal einen Blick im Spiegel zuwarf, ehe sie aus dem Raum hechtete.

Doch dann bremste sie abrupt ab. Wie uncool wirkte sie denn, wenn sie auf sie zustürmte? Sie zwang sich, eher zu schlendern. So, als wäre sie nicht plötzlich von einem Energiestoß durchzuckt worden. Als würden ihre Knie nicht zittern und sie kaum mehr tragen.

„Sie ist schon seit mindestens einer Stunde in ihrem Zimmer und rumort darin herum, weil sie sich so auf dich freut und es kaum erwarten kann...", vernahm sie und ihr entglitt das Gesicht.

Was für ein Verräter! Sie bog um die Ecke und blitzte ihren Mitbewohner an, der sich zu ihr umdrehte, weil die wohl schönste Frau der Welt sie entdeckt hatte und sie anstrahlte. Automatisch zogen sich ihre Mundwinkel hoch und ihr Herz pochte wie wild gegen ihre Rippen. Trotzdem verpasste sie ihrem Mitbewohner einen Knuff, der sich daraufhin grinsend den Oberarm rieb, ehe sie vor Alexa stehenblieb.

Sie sah atemberaubend aus. Ok, sie sah wie immer aus, aber das war immer atemberaubend. Ihre grünen Augen funkelten amüsiert hinter der Brille mit dem schwarzen Gestell, während sich ihr roter Mund zu einem Lächeln kräuselte. Fuck, war sie verknallt. So richtig. Und zum ersten Mal fühlte sich die Sache mit der Liebe auch so an: Richtig. Nicht, als wolle sie für ihre Eltern eine Rolle spielen, weil Homosexualität in ihrem Kosmos keine Rolle spielte.

„Hi", hauchte sie und fragte sich, warum ihre Stimme so kratzig klang.

Fasziniert beobachtete sie, wie sich das Lächeln auf Alexas Gesicht noch vertiefte und musste sich beherrschen, dass ihr nicht die Klappe herunterfiel. Sie sollte was tun, oder? Nicht nur dastehen, sie anstarren und die Luft anhalten, weil ihr das Atmen schwerfiel.

„Joa, ich lass euch dann mal allein. Viel Spaß, Ann-Kathrin", hörte sie und spürte, wie ihr bester Freund sich zu ihr beugte, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken.

Sie nickte nur und sah im Augenwinkel, dass er wieder zurück in sein Zimmer schlenderte. Als hätte die Zeit nicht gerade jegliche Bedeutung verloren.

„Das ist also dein Ex-Mann?"

„Mitbewohner...", berichtigte sie automatisch und spürte wieder Scham in sich aufsteigen.

„Er war im Grunde nie recht viel mehr...", fügte sie hastig an und Alexas Augen funkelten sie wieder belustigt an, sodass ihr Herz einen Schlag verpasste.

„Hm. Was für ein Glück für mich. Wollen wir?"

„Ja, sehr gern. Ich brauch nur noch meine Tasche und äh ... Schuhe..."

Hastig schlüpfte sie in die passenden Sandalen und schloss die Riemchen am Fußknöcheln und als sie sich aufrichtete, musste sie doch grinsen. Denn Alexas Blick hatte sich auf ihre Kehrseite geheftet. Sie war also doch nicht so cool, wie sie wirkte. Gut. Das war gut. Es war immerhin das fünfte Date und sie hoffte wirklich, dass sie heute mit Alexa in ihrer Wohnung landete.

„Wollen wir?", wiederholte sie Alex' Worte und die riss sich offenbar schwerfällig von ihrem Anblick los, ehe sie nickte.

Ein himmlischer rosa Schimmer hatte sich über Alexas Wangen gelegt und jetzt war sie amüsiert. Die Langeweile war jedenfalls vorbei.

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100-Follower-Special/ 100 Tage GefühleWhere stories live. Discover now