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„Du machst mich so krank! Ich schwöre dir, du machst mich fertig!", schrie sie ihm mit wutverzerrter Fratze ins Gesicht und er schnaubte.

„Wer hier wen krank macht, ist die Frage, Pari! Du bist wie ein verdammter Tumor, der mich innerlich zerfrisst!", fauchte er und merkte, wie ihr die Mimik entglitt.

Ihre großen braunen Augen starrten ihn entgeistert an und er bemerkte, wie sie trocken schluckte, als sie die volle Reichweite seiner Worte traf. Plötzlich schien alle Energie aus ihnen herauszufließen und er schloss die Augenlider, um sich zu sammeln. Wieso ließ er sich denn immer wieder auf diese bescheuerte Diskussion ein?!

„Wenn du so empfindest, sollte ich gehen."

Sie stellte das mit neutraler Stimme fest, was ihn noch mehr schmerzte. Sie hatte sich offenbar wieder hinter ihrer Mauer verborgen. Wäre sie aufgebracht, würde der Stachel nicht so tief treffen, denn dann wären sie einen Schritt weiter. Doch so zeigte sich nur deutlich, dass sie sich erneut in Unbeteiligtheit hüllte und trat damit alles mit den Füßen, was sie seiner Meinung nach verband. Er wusste, dass sie genauso fühlte, aber ihre verfickte Unsicherheit ließ sie jedes Mal beim Gedanken daran erzittern, eine Beziehung mit ihm zu führen.

Die Geräusche ihrer sich fortbewegenden hohen Absätze verrieten, dass Pari sich abgewandt hatte und nun auf den Ausgang seiner Wohnung zustrebte. Bei jedem Klacken zog sich seine Brust enger zusammen und seine Fäuste ballten sich automatisch. Er sollte sie aufhalten, aber er konnte nicht. Er hatte alles versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie es wert war, mehr als ein Betthäschen zu sein. Doch sie weigerte sich hartnäckig, das anzuerkennen.

Wieso war ihm bloß rausgerutscht, dass er sie liebte? Sofort war sie aufgesprungen und hatte ihn erst fassungslos angesehen, ehe sie total hysterisch geworden war. Was ihm einfalle. Da war ihm der Kragen geplatzt und sie hatten zu streiten begonnen. Jetzt krachte die Wohnungstür ins Schloss und er bekam kaum mehr Luft in seine Lunge gepresst. Die Stille wurde ohrenbetäubend, derweil er mitten im Raum seiner kleinen Wohnung stand und er noch ihr Parfüm wahrnahm.

Diesmal gab es kein Zurück, das spürte er instinktiv, während er sich auf der Kante seines Bettes niederließ und sich mit zittrigen Händen über sein Gesicht fuhr. Wieso musste er sich immer in die Frauen verlieben, die eigentlich nicht frei waren? War er ein Masochist oder warum konnte er nicht mal eine Frau treffen, die es genauso unkompliziert liebte wie er?

Seine Kieferknochen mahlten automatisch, während er versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die sich in seinen Augen sammelten. Er hatte sich wirklich in diese komplizierte Frau verknallt, die selbst am allerwenigsten mit sich anfangen konnte und so mit sich haderte. Mehr noch. Als sie zunehmend Zeit miteinander verbracht hatten, hatte er sie zu lieben begonnen, obwohl er sich genau das verboten hatte.

Und trotzdem saß er nun hier und merkte, wie sein Herz in unzählige Teile zerfiel. Er versuchte, diesen Vorgang aufzuhalten, befahl seiner Logik, dem Einhalt zu gebieten, aber es war, als würde es zwischen seinen Fingern hindurchrinnen. Er hatte doch geahnt, dass es so enden würde, also wieso machte es ihn jetzt so fertig?

,Weil du gehofft hast, Dag. Du konntest die Hoffnung nicht aufgeben. Egal, wie klein sie war', stellte er fest und wischte sich nochmal übers Gesicht.

Er erhob sich seufzend und sagte sich, dass sein Schmerz vergehen würde. War er bisher immer, auch wenn er gerade daran zweifelte. Trotzdem bekam er kaum Luft hier drin. Er musste hier raus, nur so lange, wie sich Paris Duft weiter mit seinem mischte. Sie noch hier wahrzunehmen, konnte er in diesem Moment nicht ertragen.

Also durchquerte er mit eiligen Schritten den Raum und riss die Balkontüre auf. Kühle Luft strömte ihm entgegen und er atmete tief ein. Es hatte die letzten Wochen nur geregnet und das hatte die Schwüle des Sommers mit sich genommen. Doch der Knoten in seiner Brust war noch da. Während all die schönen Stunden vor seinem inneren Auge vorbeizogen, grabschte er nach seinen Kippen, nur um die Schachtel wieder fallen zu lassen. Nicht mal er wollte gerade rauchen.

Er wollte, dass dieser Schmerz verging, der sich in ihm festgesetzt hatte und schon seit längerem ein ständiger Begleiter geworden war. Die Sache mit Pari war von Anfang an bittersüß gewesen. Aber gerade marterten ihn seine Erinnerungen mit ihrer Süße. Wie herrlich ihr Kopf auf seine Schulter gepasst hatte, wie es sich angefühlt hatte, ihre seidigweiche Haut zu berühren, oder wie ihr Haar ihn kitzelte, während sie ihn aus ihren Augen angefunkelt hatte.

Er hob die Hand, als könne er damit den Schmerz wegwischen, der in jede Faser seines Körpers ausstrahlte und wandte sich von der geöffneten Balkontür ab. Es war längst nicht genug Abstand. Er musste hier raus, Pari war gerade noch zu existent in diesen vier Wänden, die ihre Energie absorbiert zu haben schienen. Die frische Luft würde sie vertreiben, solange er unterwegs war, dachte er und schlüpfte in seine Jacke, als sein Blick auf ein dünnes Tuch fiel, das zwischen all seinen Sachen herausleuchtete.

Automatisch griff er danach und vergrub seine Nase darin, atmete tief ein und jetzt entkam doch ein leises Schluchzen seiner Kehle. Sofort schleuderte er es fort. Aber im gleichen Moment bereute er es wieder. Also fiel er auf seine Knie und knetete das Stück Stoff in den Fingern, das ihren Duft verströmte. Er musste klarkommen, egal, wie sehr es schmerzte. Pari war besonders. Das mit ihr hatte ihn auf eine Weise berührt, die er nie für möglich gehalten hatte. Dennoch hatten sie Welten getrennt und er war nicht fähig gewesen, die Brücke zwischen ihrem horrenden Selbstwertgefühl und seiner Sicht auf sie zu schlagen.

Er schüttelte den Kopf. Es würde irgendwann wieder gehen. Eines Tages konnte er aufs Neue atmen. Daran musste er nur glauben. Es hatte sich bisher immer bewahrheitet. Und bis dahin würde er sich erinnern, wie viel sie ihm geschenkt hatte, solange sie hier gewesen war.

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100-Follower-Special/ 100 Tage GefühleWhere stories live. Discover now