Die Fahrt

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Die gesamte Autofahrt über fühlte Alea sich hundeelend. Sie und Lennox saßen wieder gemeinsam im Kofferraum, denn Sammy hatte darauf bestanden, vorn zu sitzen. Zwar wolle er auch unbedingt einmal im Kofferraum sitzen, aber als künftiger Superstar könne er auf keinen Fall bei ihrer Ankunft aus einem Kofferraum kriechen. Und so hatten sie vereinbart, dass Sammy und Tess auf der Rückfahrt den Kofferraum einnahmen, während Lennox und Alea auf der Rückbank sitzen würden. Die Knie angezogen und mit den Armen umschlungen saß Alea nun neben Lennox, der gerade mit Nexon chattete, und verfluchte ihre verdammte Angst und Aufregung. Tess telefonierte indessen mit Kit, die von ihrem Auftritt mehr als nur begeistert war und verkündete, dass sie einen der unzähligen Livestreams anschauen würde, um nichts zu verpassen. Alea wurde ganz schlecht. Nicht nur Kit würde einen dieser Livestreams schauen, sondern auch die übrigen Meerkinder, wie die Brim ihnen soeben mitteilte.

„Fiona kann leider nicht, sie muss heute Abend wieder Babysitten. Aber alle anderen werden zuschauen!", richtete sie aus. Alea wollte am liebsten im Erdboden versinken. Es wäre unfassbar peinlich, wenn sie als Elvarion der letzten Generation vor all diesen Meerkindern, die an sie und ihren Traum glaubten, versagen würde.

„Isla und Evelin werden sich den Stream übrigens gemeinsam anschauen", erwähnte Kit beiläufig, aber Alea hörte die Verschworenheit in ihrem Ton.

„Wie denn das?", erkundigte sich Lennox erstaunt, da er das Gespräch von Kit und Tess scheinbar belauscht hatte. Kit schien das jedoch nicht zu stören.

„Evelin hat Isla über das Wochenende zu sich eingeladen, damit sie einmal auf einem richtigen Bauernhof sein kann. Zwar züchten sie hauptsächlich Tiere, aber Isla will sich mit dem Landwirtschaftlichen Teil beschäftigen.", klärte Kit ihn auf.

Über Aleas Gesicht huschte ein Lächeln. Es war schön zu sehen, wie die Meerkinder zueinander fanden, und wie zwischen Evelin und Isla innerhalb weniger Tage eine solche Freundschaft entstanden war. Vielleicht war es bei ihnen ja wie bei ihr und Lennox... Während Alea in Gedanken zu romantischen Erinnerungen abdriftete, erzählte Kit schon weiter.

„Mio hat es außerdem geschafft, eine Wanderernachricht über das Waschbecken abzuschicken.", sie kicherte.

„Ich denke aber nicht, dass die jemals bei irgendwem ankommt. Zuzana hat bisher aber noch keinen Erfolg mit ihren Fähigkeiten. Das frustriert sie echt.", fuhr sie dann fort.

Alea nickte gedankenverloren. Sweeney hatte ihnen erzählt, dass es für Anschu schwierig war, ihre Fähigkeiten zu wecken. Kein Wunder also, dass Zuzana noch keine Ergebnisse erzielen konnte. Immerhin hatte sie zudem elf Jahre des Übens verloren.

„Was gibt es neues von Nexon?", unterbrach Siska in diesem Moment Aleas Gedankengang. Kit schwieg kurz, als müsste sie überlegen.

„Er schreibt in letzter Zeit nicht sehr oft. Und wenn, dann ist es nicht besonders relevant" , gab sie dann Preis.

Über die Köpfe von Sammy und Tess hinweg sah Alea, wie Siska resigniert nickte, als hätte sie sich das ohnehin schon gedacht.

„Was ist mit euch? Gibt es irgendwelche spannenden Neuigkeiten?", erkundigte Kit sich neugierig.

„Wir werden in weniger als einer Stunde zu echten Superstars!", plapperte Sammy sofort los, kaum dass Kit ausgeredet hatte. Die lachte.

„Das weiß ich schon. Aber was gibt es sonst so? Habt ihr mit Siska das Bandenritual gemacht? Ist Thea wieder frei?", bombardierte sie die Cru mit Fragen. Tess setzte bereits zu einer Antwort an, aber Sammy kam ihr zuvor.

„Nein und ja. Für das Bandenritual hatten wir noch keine Zeit. Dafür nennen wir sie Sista Siska, bis sie ein richtiges Bandenmitglied wird. Thea ist, soweit wir wissen, befreit. Aber sie wird wahrscheinlich erst zu uns stoßen, wenn Orion kein Problem ist oder keine Gefahr mehr für sie darstellt. Das war zumindest Cassaras' Plan.", erwiderte Sammy schnell, während Tess ihm einen genervten Blick zuwarf. Kit am anderen Ende der Leitung seufzte.

„Sie scheint ihm recht wichtig zu sein, oder? Ich meine, er hat sogar sein Lebensziel für sie aufgegeben!"

Sammy wiegte den Kopf.

„Ja und nein. Er kannte Thea ja schon, bevor er Alea den Silberumhang überlassen hat. Und trotzdem wollte er ihn haben, um Nixenkönig zu werden. Was danach aus Thea geworden wäre, war ihm wahrscheinlich ziemlich egal.", wiegelte er Kits Einwand ab.

Alea war sich jedoch nicht ganz sicher, ob sie Sammy zustimmen sollte oder nicht. Völlig egal wäre es Cassaras sicher nicht gewesen, denn Thea war mit Sicherheit die einzige Person in seinem Freundeskreis.

Kit entgegnete allerdings nichts. Stattdessen sagte sie: „Ihr müsst mich unbedingt anrufen, wenn Thea wieder bei euch ist! Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es auf der Welt noch eine zweite Alea gibt."

„Ich auch nicht!", rief Sammy dazwischen. „Und das, obwohl Alea ihr ja bereits begegnet ist und sie ganz in echt gesehen hat!" Kit lachte.

„Ja, wahrscheinlich kann ich das erst wirklich glauben, wenn ich sie einmal selbst sehe."

„Bestimmt ist sie eine wunderbärige Bestschwester, und kann genauso gut Kekse backen und kuscheln und singen wie Alea, und-"

Mitten in seiner wilden Spekulation unterbrach Sammy sich selbst, als wäre ihm gerade etwas wichtiges eingefallen. Scharf sog er die Luft ein.

„Die Gebärdensprache!", rief er dann aufgebracht. „Wie sollen denn alle Thea verstehen, wenn sie doch gebärdet? Wir können doch nicht verlangen, dass alle gebärden lernen!"

Alea riss die Augen auf. Daran hatte sie tatsächlich nicht gedacht. Aber Lennox schien bereits eine Idee zu haben. „Dafür hat uns die Talassiopa doch die Sprachsteine geschenkt: damit jegliche Sprachbarrieren zwischen uns aufgehoben werden", beruhigte er Sammy. Aber der schien nicht überzeugt.

„Was, wenn das nur für gesprochene Sprachen gilt? Wie soll man denn lautlose Handzeichen in einer anderen Sprache lautsprachlich machen? Das geht doch gar nicht!", kritisierte er weiter.

„Vielleicht hört man dann Stimmen im Kopf, die sagen, was Thea sagen will", überlegte Tess laut mit. Sammy schüttelte sich. „Das wäre aber doch total gruselig!"

Tess zuckte die Schultern. „Aber es wäre eine Möglichkeit."

„Ich glaube nicht, dass wir Stimmen in unseren Köpfen hören werden", klinkte sich plötzlich Ben ein. Als niemand reagierte, sondern alle ihn nur erwartungsvoll ansahen, fuhr der Skipper fort.

„Alle Meerkinder können von Natur aus die Sprache des Meeres, ohne sie jemals gelernt zu haben", erinnerte er sie. Da ging Alea ein Licht auf. „Du meinst, Thea kann Hajara sprechen? Weil sie nichts hören muss, um die Sprache sprechen zu können?"

Ben nickte. „Ganz genau. Und Hajara wird von den Sprachsteinen übersetzt."

„Das wäre in der Tat nicht schlecht...", resümierte Sammy mit leerem Blick. Doch dann erwachte er aus seiner Starre und klatschte laut in die Hände.

„Aber noch ist es nicht so weit! Zuerst werden wir berühmt", holte er sie aus ihren Überlegungen und augenblicklich rutschte Aleas Herz in die Hose.

„Das hast du genau zum richtigen Zeitpunkt gesagt.", kam es von Siska.

„Wir sind nämlich da."

Alea Aquarius: Der Gesang der Wale (Fanfiction)Место, где живут истории. Откройте их для себя