Walwanderer

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Augenblicklich legte sich in Aleas Kopf ein Schalter um, und sie schwamm los. Hals über Kopf stürzte sie aus der geöffneten Flügeltür, ohne auf die Muscheln in ihren Händen zu achten. Kaum war sie im Freien, kickte sie so heftig mit den Füßen, dass sie sofort einige Meter in die Höhe schoss und nun von oben auf Atlantis blicken konnte. Da packte sie plötzlich jemand an der Schulter.

„Alea! Alea, hörst du mich?", tönte eine Jungenstimme an ihr Ohr. Irgendwie kam sie ihr bekannt vor... Na klar! Das war Lennox! Aber warum klang er so besorgt? In Aleas Kopf herrschte nichts als Watte. Dennoch versuchte sie, einen klaren Gedanken zufassen. Weshalb war sie hier? Wo war sie eigentlich? Da ertönte erneut der feine Ruf eines Wals. Alea wollte sofort losschwimmen, aber jemand hielt sie strikt fest und verhinderte, dass sie sich von der Stelle bewegen konnte.

„Lass mich ... zu ihm!", keuchte sie, während sie sich verzweifelt mit Armen und Beinen wehrte. Orientierungslos trat sie einfach in alle Richtungen, jedoch ohne Erfolg. Warum ließ Lennox sie nicht zu dem Wal? Er wollte doch nur spielen!

„Alea, du musst wach bleiben! Denk an das, was Nelani dir gesagt hat! Setz' einen Anker!", hörte sie erneut Lennox' Stimme, weit weg wie durch eine dicke Wand hindurch. Was hatte er gesagt? Sie solle wach bleiben? Sie war doch wach! Da wurde sie mit einem heftigen Ruck herumgedreht. Alea wollte sich wieder wegdrehen, aber eiserne Hände hatten sie fest im Griff.

„Alea, sieh mich an!"

Aber Alea wollte ihn nicht ansehen. Sie wollte zu dem Wal. Lennox nahm ihr Gesicht in seine Hände und drehte ihren Kopf in seine Richtung. Noch einmal versuchte sie, von ihm loszukommen, aber Lennox fokussierte sie mit einem solch stechenden Blick, dass sie augenblicklich innehielt.

„Atme durch die Nase", wies Lennox knapp an und irgendetwas in Alea brachte sie dazu, zu tun was von ihr verlangt wurde. Das Wasser kribbelte unangenehm in ihrer Nase und Alea musste unwillkürlich husten.

„Jetzt sieh mich an.", verlangte Lennox diesmal. Alea tat wie geheißen, und mit einem Mal verschwand die Watte aus ihrem Kopf. Sie schüttelte sich.

„Das war knapp."

Lennox schnaufte und ließ sie langsam los, als befürchtete er, dass sie noch einmal in einen Rausch verfallen und davonschwimmen würde. Aber Alea blieb, wo sie war. Ihr Anker war gesetzt. Dennoch wunderte sie sich.

„Warum bin ich dieses Mal in einen so heftigen Walrausch verfallen? Meinen ersten Anker habe ich doch schon in Frankreich gesetzt!"

Lennox zuckte ratlos mit den Schultern.

„Vielleicht wurde auch der Anker gelöscht, als Orion dich in eine Landgängerin verwandelt hat...", mutmaßte er. Noch während er sprach, verfinsterte sich seine Miene schlagartig. Wahrscheinlich machte er sich manchmal trotzdem noch Vorwürfe wegen der Vorfälle in Brighton, obwohl Alea und die anderen ihm schon mehrfach versichert hatten, dass er absolut keine Schuld hatte. Mit leerem Blick stierte er an Alea vorbei in den dunklen Ozean. Doch dann schüttelte er sich, als wolle er einen unangenehmen Gedanken vertreiben und sah wieder zu Alea.

„Meinst du, Thea ist auch in einen Rausch verfallen? Immerhin ist sie Walen noch nie begegnet und weiß nicht, wie man einen Anker setzt", wechselte er dann das Thema.

Alea legte die Stirn in Falten.

„Sie ist doch gehörlos..."

Doch bevor sie weitersprechen konnte, zischte plötzlich etwas haarscharf an ihr vorrüber. Bei genauerem hinsehen erkannte Alea jedoch, dass es nicht etwas war, sondern jemand. Und dieser jemand war Thea. Pfeilschnell schoss sie durch das Wasser, wirkte aber dabei halb weggetreten. „Haltet sie auf! Sie schwimmt zu den Walen!", donnerte plötzlich eine laute Stimme hinter ihnen. Im nächsten Moment war Cassaras auch schon bei ihnen angekommen. Doch er machte nicht Halt, sondern schwamm eilig Thea hinterher, die gerade um die nächste Ecke bog. Lennox riss die Augen auf. Er hatte gerade die Antwort auf seine Frage erhalten. Alea verlor jedoch keine Zeit und setzte sich augenblicklich in Bewegung. Als sie aber in die Gasse einbog, die auch Thea gewählt hatte, war der Prinz bereits bei ihr angelangt. Seine Hände hatte er fest um Theas Handgelenke geschlossen und sein konzentrierter Blick war unausweichlich auf die klargrünen Augen ihrer Schwester gerichtet. Die trat zwar mit den Beinen nach ihm, so wie zuvor auch Alea und erwischte ihn einige Male sicher schmerzhaft, aber Cassaras verzog keine Miene. Stattdessen begann er nun, leise mit Thea zu sprechen und fesselte sie wohl mit seinem Blick, denn Thea wehrte sich immer weniger.

Alea Aquarius: Der Gesang der Wale (Fanfiction)Where stories live. Discover now