Verloren

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Die Darkoner führten Alea durch den kühlen Gang des Kellers, zurück zu der Treppe, die Zeirus am Vorabend mit ihr hinabgestiegen war. Oben angekommen sah Alea zum ersten Mal ihren Aufenthaltsort richtig. Die Flure waren aus dunklem Holz gezimmert, und auf dem Boden lag ein abgeschossener ranziger Teppich. Überall roch es muffig und verbraucht und Alea konnte sich kaum vorstellen, dass Orion sich in so einem Loch zurückziehen würde. Die Darkoner geleiteten sie wie eine persönliche Leibgarde in den ersten Stock, vorbei an den Türen mehrerer Zimmer, bis sie vor einem verglasten Treppenhaus standen, das seltsamerweise ganz und gar nicht zum Rest der Pension passte. Es sah neu aus, und wies eine modernere Bauweise auf, und im inneren roch es nicht nach altem Waschlappen, sondern eher nach... nichts. Doch als sie die Tür zum zweiten Stock durchschritt, verstand sie, weshalb das Treppenhaus derartig neu war: der gesamte zweite Stock war renoviert. Der Holzboden war durch spiegelglattes Pakett ersetzt worden, und die Wände waren Cremeweiß gestrichen, ganz nach Orions luxoriösem Stil. Ein wenig säuerlich zog Alea die Stirn kraus. Orion ließ es sich hier oben gut gehen, und sie selbst mussten die Stunden in dem längst baufälligen Teil dieser Bruchbude verbringen. Doch plötzlich blieben die Darkoner stehen, und Alea stolperte etwas erschreckt über ihre Füße, fing sich aber noch ab.

„Hier ist es", hörte sie eine tiefe Stimme hinter sich brummen, und Alea rappelte sich auf. Sie standen vor einer perlweißen Tür, die mit einem Schild versehen war: Büro. Alea hob die Brauen, verkniff sich ihre Grimasse und klopfte leise an.

„Herein", tönte Orion. Alea zögerte kurz. Eigentlich wollte sie gar nicht wissen, was sie dort drinnen jetzt erwarten würde, aber sie wusste, dass sie eintreten musste. Also schob sie ihre unangenehmen Gedanken beiseite und drückte die Klinke herunter. Ein großer, weißlich gestrichener Raum kam zum Vorschein, mit Bücherregalen an den Wänden und einem riesigen Fenster, wodurch Alea die Berge sehen konnte, die Thea ihr vor etwa einer Stunde beschrieben hatte. Davor stand ein breiter Schreibtisch mit mehreren Computern, und dahinter - saß Orion. Bei seinem Anblick drehte sich Alea der Magen um, und sie verkrampfte unwillkürlich die Finger ihrer noch immer gefesselten Hände ineinander. Als sie eintrat, sah Orion auf, und ein breites Lächeln erschein auf seinem Gesicht.

„Alea! Wie schön, dich zu sehen! Setz dich doch", begrüßte er sie, als wären sie alte Freunde und rückte einen Stuhl vor seinem Schreibtisch zurecht. Am liebsten hätte Alea auf der Stelle wieder kehrtgemacht, aber in diesem Momen schaltete sich der Elvarion-modus ein, genau zur richtigen Zeit. Scheinbar unbeeindruckt lief sie auf Orion zu und setzte sich kerzengerade auf die Vorderkante des gepolsterten Stuhls. Orion lächelte kurz. Doch dann fiel sein Blick auf ihre Hände, und er runzelte die Stirn.

„Du bist noch immer gefesselt...", murmelte er, und Alea nickte.

Sofort schnippte Orion mit den Fingern.

„Zeirus, komm, sei so nett und nimm unserer Elvarion die

Fesseln ab", rief er, und keine Sekunde später trottete der Darkonerchef wie eine Marionette zu ihnen herein, und löste mit wenigen Handgriffen Aleas Fesseln. Alea atmete aus.

„Puh", stöhnte sie leise und rieb sich ihre wundgescheuerten Handgelenke. Orion warf ihr einen beinahe mitleidigen Blick zu.

„Eigentlich hatte ich gedacht, dass sie die Fesseln von selbst lösen. Aber da habe ich mich wohl verschätzt."

Er lachte leise und schüttelte den Kopf. Doch dann wurde er wieder ernst, und nahm mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck gegenüber von Alea platz.

„Soso, ihr wolltet mich also gestern überfallen", begann er, und blickte Alea dabei über seine großen Brillengläser hinweg an. Alea beschloss, ihm kein einziges Wort über ihr eigentliches Vorhaben zu erzählen, und sah ihm einfach nur stur entgegen. Orion bemerkte, dass er sie so nicht zum Reden brachte, also sprach er einfach weiter.

Alea Aquarius: Der Gesang der Wale (Fanfiction)Where stories live. Discover now