Rom

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Während sie aus dem Auto stiegen, verabschiedete Tess sich schnell noch von ihrer „Traumfrau" und vereinbarte mit ihr, sie später am Abend wieder zu kontaktieren. Siska hatte sie ein paar hundert Meter vom Stadion entfernt aus dem Auto gelassen, damit sie weniger auffielen. Eilig schloss sie den Wagen ab, prüfte noch einmal, ob auch alle Türen verschlossen waren und machte sich dann mit der Alpha Cru auf den Weg zum Stadion. Während sie gingen, sah Alea sich andächtig in der Stadt um. Obwohl es bereits früher Abend war, tummelten sich auf den Straßen noch immer große Menschenmassen. Mit gehetzten Gesichtsausdrücken liefen sie durch die Gassen und schienen keine Sekunde Zeit zu haben, um sich der gewaltigen Kulisse Roms hinzugeben. Alte Häuser ragten auf beiden Straßenseiten in die Höhe und übermittelten Alea ein Gefühl großer Erhabenheit. Alea versuchte, dieses Gefühl tief in ihrem Inneren zu verankern. Hier würde die Welt ein weiteres Mal Geschichte schreiben...

„Wahnsinn, oder?", flüsterte Sammy ihr geheimnisvoll zu. Er lief in gemütlichem Schlenderschritt neben ihr her, sah sich jedoch ebenso beeindruckt um wie sie selbst.

„In jedem Quadratzentimeter steckt Geschichte. Und wir sind mittendrin..."

Alea konnte nur nicken. Rom war faszinierend und einschüchternd zugleich, eine uralte ehemalige Römerstadt. Leider wusste sie jedoch auch nicht mehr über die Geschichte des römischen Reiches. Sie hatte sich nie sonderlich für Geschichte interessiert, denn es war ihr nicht als besonders wichtig erschienen. Aber wahrscheinlich wusste Ben einiges und konnte ihr sein Wissen weitergeben. Aber der bekam gerade von Siska die App zur Überwachung der einzelnen Flure gezeigt und hatte augenscheinlich keine Zeit. Sie würde ihn also später fragen müssen. Alea richtete den Blick nach oben. Vogelschwärme zogen über den Wolkenfreien abendrötlichen Himmel und die Sonne tauchte die Dächer der Stadt in ein geheimnisvolles, geradezu mystisches Licht und Alea fragte sich, wie wohl das Kolosseum auf sie wirken würde. Sie kannte das ehemalige Amphitheater nur von Bildern aus dem Internet, die Ben ihr einmal gezeigt hatte. Bestimmt war das Kolosseum ein Ort, den auch Marianne gern einmal gesehen hätte... Alea schluckte schwer. Der Gedanke an Marianne brachte sie häufig an den Rand der Tränen. Marianne hätte wahrscheinlich nicht gewollt, dass Alea so sehr um sie trauerte. Sie hatte immer gesagt: Genieße dein Leben und hab Spaß, selbst wenn die Sonne einmal nicht lacht. Dieses Motto rief Alea sich nun wieder in den Sinn und augenblicklich ging es ihr wieder besser. Kurz durchatmend richtete Alea den Blick nach vorn. Doch im nächsten Moment wollte sie am liebsten wieder umkehren. Keine fünfzig Meter von ihr entfernt, warf das große Stadion einen Schatten über den gesamten Platz und verdeckte dabei sogar die Sonne. Alea war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass sie ihr Ziel bereits erreicht hatten! Unvermittelt blieb sie stehen. Sie musste sich erst einmal sammeln. Doch Sammy packte sie bereits am Arm und schleifte sie wild entschlossen zu einer Gruppe von Ocean Knights, auf die auch Ben zusteuerte. Der Skipper sprach einen der umstehenden Männer auf Englisch an, aber Alea verstand kein Wort. Der Mann gestikulierte wild mit den Händen, deutete mal hierhin, mal dorthin und Alea ahnte, dass er Ben gerade einen bestimmten Weg erklärte. Der nickte nur immer wieder und schien sich genau einzuprägen, was ihm erklärt wurde. Schließlich bedankte er sich bei dem Ocean Knight und winkte seine Freunde zu sich.

„Also, um in den Backstage-Bereich zu kommen, müssen wir uns bei dem heutigen Vertreter der Ocean Knights melden. Der wartet schon an einem der Hintereingänge, die für normale Zuschauer unzugänglich sind. Folgt mir einfach", erklärte er, drehte sich um und lief los. Alle folgten ihm schweigsam. Ben führte sie um das Stadion herum, und sie schlängelten sich durch die Menge der wartenden Zuschauer. Alea mied jeglichen Blickkontakt mit ihnen, und richtete den Blick auf ihre Füße. So musste sie nicht sehen, wie viele Menschen tatsächlich gekommen waren. Zwar hörte sie dem Lärm deutlich an, dass es jetzt schon tausende von Publikanten waren. Gleichzeitig erfreute sie es auch, dass sich scheinbar so viele Menschen für den Klimaschutz interessierten und denen die Umwelt am Herzen lag. Doch als sie um die Ecke bogen, waren plötzlich keine Menschenmassen mehr zu sehen. Die Seiteneingänge waren vollkommen leer. Als sie genauer hinsah, erkannte Alea jedoch, dass diese auch gar nicht für eine Öffnung vorgesehen waren, und sie lief weiter. Tatsächlich wartete an einem der hinteren Eingänge ein großer, etwa dreißigjähriger Mann mit einem blauen Ocean Knight T-shirt auf sie. Er und Ben sprachen kurz miteinander und der Mann drückte Ben etwas in die Hand, das aussah wie ein Ausweis, den man sich umhängen konnte. Sie wechselten noch einige Worte, ehe Ben sich an ihm vorbeischob und die Alpha Cru ihm folgte. Der Gang dahinter war schmal und Dunkel, lediglich die Notbeleuchtung spendete etwas Licht. Lennox ließ sich zu Alea zurückfallen und nahm sie an die Hand, ohne etwas zu sagen. Alea stolperte mehr durch den Gang, als dass sie lief und wäre einige Male sicher hingefallen, hätte Lennox sie nicht aufgefangen. Am Ende des Ganges wartete eine weitere Tür, die in ein Treppenhaus führte, das glücklicherweise normal beleuchtet war. Dennoch ließ Lennox Aleas Hand nicht los. Mit jeder Treppenstufe beschleunigte sich Aleas Herzschlag, und sie drückte unbeabsichtigt immer fester Lennox' Hand, bis dieser ihr sanft signalisierte, dass es eine Spur zu fest war. In diesem Moment hätte Alea alles dafür gegeben, wenn Sammy sie mit seiner fröhlich-optimistischen Art zum lachen gebracht hätte, aber der Bandenjüngste war seit ihrer Ankunft merkwürdig still gewesen. Selbst jetzt stieg er mit nachdenklichem Gesichtsausdruck die Treppe hinauf und schien geistig gar nicht richtig anwesend zu sein. Erst als sie eine weitere Tür öffneten und direkt im Backstage-Bereich standen, kam wieder Leben in Sammys Gesichtsausdruck. Prüfend sah er sich um. „Superstar-Atmosphäre pur.", murmelte er dann. Hinter der Bühne herrschte emsiges Treiben. Sicherheitsangestellte wuselten durcheinander, Ocean Knights-Mitglieder standen in Gruppen zusammen und hielten scheinbar eine spontane Lage-besprechung. „Ich muss noch kurz unseren Auftritt mit den Ocean Knights besprechen. Bin gleich wieder da", gab Ben bekannt, und bevor überhaupt irgendwer etwas sagen konnte war er schon verschwunden. Halb verloren standen die übrigen Crumitglieder nun da, ohne zu wissen, ob sie nach rechts oder links gehen sollten. Irgendwann verkündete Siska, dass sie nun ihr Sicherheitssystem installieren wollte und nach dem Auftritt im Treppenhaus auf sie warten würde. Sollte etwas schieflaufen, würde sie Lennox anrufen, der dafür extra die Vibrationsfunktion seines Handys aktiviert hatte. Kaum dass Siska durch die Tür verschwunden war, ließ Alea sich auf den Boden gleiten. Sie wollte versuchen, ihre umhertosenden Gedanken zu sortieren. Im Schneidersitz saß sie auf dem Boden, schloss die Augen und versuchte, die Geräuschkulisse um sie herum auszublenden. Als sie die Augen wieder öffnete, blickte sie in Sammys kreideweißes Gesicht. Alea erschrak. So kannte sie ihn gar nicht! Fragend legte sie den Kopf schief. „Alles in Ordnung?", fragte sie den Bandenjüngsten. Sammy zuckte die Schultern.

Alea Aquarius: Der Gesang der Wale (Fanfiction)Where stories live. Discover now