Paradies

4.1K 213 14
                                    

Als wir am ersehnten Abend endlich einen Rastplatz fanden, sah die Landschaft um uns herum immer noch genau gleich aus. Der kahle Boden und die wenigen dürren Sträucher hatten uns der Hitze ausgesetzt, welche die Sonne vom Himmel hinuntersandte. So war meine Haut den Tag hindurch einen Stich röter geworden und ich fühlte mich gebrätelt.

Die Pferde trotteten ohne Energie zum ausgewählten Platz hin. Obwohl sie viel stärker waren als ihre Reiter, hätten auch sie etwas vertragen können, um ihren Durst zu löschen.

In Gedanken versunken entknotete ich Christus' Mähne. Der aufgewirbelte Sand hatte sein gesamtes Fell mit einer dünnen bräunlichen Schicht überzogen. Ich konnte es nicht erwarten, ihn am nächsten Tag davon zu befreien. In der Stadt.

Mein Leben lang hatte ich davon geträumt, wie es wohl war in einer Ortschaft wie Sparta. An einem Ort, wo so viele Menschen lebten, handelten und zusammen beteten. Wo Kunstwerke den Individuen die Schau stahlen und man ohne Scham Müssigang betreiben konnte.

Ich konnte sie schon förmlich vor mir sehen, die Häuseransammlung, welche von Tempeln und gemeinschaftlich genutzten Plätzen unterbrochen wurde. Ein Paradies.

Etwas weiter vorne sprang einer der Krieger vom Pferd. Der dumpfe Aufprall seines ganzen Körpergewichtes auf dem Boden liess mich aus meinen Träumereien aufschrecken. Ich gab mein Bestes, mein Lächeln zu verbergen, welches diese mir aufs Gesicht gezaubert hatten.

Bei den Steinbrocken angekommen rutschte ich langsam vom Pferd. Meine Oberschenkel machten sich unschön bemerkbar als der Boden mich auffing. Mit weichen Knien führte ich Christus zu den Pferden meiner Genossen.

Nachdem ich dem verschwitzten Tier die Decke abgenommen hatte, tätschelte ich seinen heissen Hals. Ein grosses Auge starrte mich trotzig an.

„Morgen wirst du verwöhnt werden", sagte ich leise. „Gedulde dich noch ein wenig, mein Lieber, denn dies muss auch ich tun."

Sprach ich bei Christus von Futter, bezog sich das Warten bei mir auf ein Treffen mit Achill. Und überhaupt auf das Betreten einer Stadt.

Wie würde es sein, ein ewiges Landleben gegen das eines Stadtmenschen und Kriegers zu tauschen? Hoffnung und Neugier vermischten sich mit dem gespannten Erwarten des nächsten Tages. Je länger ich über das Ungewisse rätselte, desto mehr überkamen mich auch Zweifel.

Obwohl alle meine Gefährten wussten, dass ich kein Mann war, hatten sie sich mir gegenüber immer sehr würdig verhalten. Doch konnte ich dies von all den Menschen in Sparta erwarten? Und von Achill? Wie konnte ich mich nur als Mann behaupten, wenn mir doch auch so viel an meiner Weiblichkeit lag.

Genau da lag wohl das Problem. Ich hatte es mir nie eingestehen wollen, doch innerlich mochte ich es, ein Weib zu sein. Die Götter hatten mir diesen Körper geschenkt und ich liebte es, in ihm zu leben. Solange ich mich aber als weiblich anerkannte, waren die Menschen um mich herum fast gezwungen, dies auch zu tun.

Wie konnte ich also eine Lüge verbreiten, die ich selber nicht glauben wollte – nicht glauben konnte?

Das Geräusch der herumhantierenden Krieger riss mich aus meinen Gedanken. Noch bevor ich eine Lösung für dieses so wichtige Problem finden konnte.

Ich atmete tief ein und gesellte mich zu der Truppe. Während die anderen wortlos das wenige Feuerholz zusammen trugen, welches noch übrig war, suchte ich die beiden Feuersteine. Es hatte sich herausgestellt, dass ich sehr geschickt war wenn es um das Entzünden eines Feuers ging. Besser als alle anderen. Gewiss hatte ich – verglichen mit den Kriegern – nicht viele Talente. Daher musste ich jedes noch so kleine Können meiner selbst nutzen, um ihnen gerecht zu werden.

Die letzte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt