Das erste Jahr: Die andere Seite des Meeres

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Den nächsten Moment nur zu zweit verbrachten Patroclos und ich am anderen Ufer des riesigen Meeres. In Gedanken versunken stand ich am Ende einer Klippe, welche im Meer mündete. Der Meeresbriese strich mir die losen Strähnen ums Gesicht und brachte ein frisches Aroma mit sich.

Wie so viele Abende zuvor dachte ich an denjenigen Moment in Sparta, an dem ich noch mein altes Ich gewesen war. Ich erinnerte mich daran, wie befreit wir beide gewesen waren. Wie unschuldig.

Über drei Mondzyklen war das nun her, zwei davon hatten wir auf diesem staubigen Boden verbracht, welcher meine Füsse nun wärmte. Noch nie war der Mond so gross gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass wir ihm entgegen geschifft waren.

„Kleine Kriegerin", rief eine wohlbekannte Stimme. Kurz darauf spürte ich eine Schwertspitze auf meinem Gesäss.

„Hey", stiess ich aus, drehte mich ruckartig um und stiess mit meinem eigenen Schwert das von Patroclos weg. „In Griechenland warst du nie so frech."

Er lachte und entfernte sich ein wenig vom Abgrund.

„Komm hier rüber", winkte er mich zu ihm, „Training am Abgrund einer so hohen Klippe scheint mir selbst für uns ein bisschen zu waghalsig."

Ich tat wie geheissen und schleifte mein Schwert dem Boden entlang hinter mir her. Nach tagelangem Kämpfen waren meine Arme nicht nur übersäht mit Schnitten, sondern fühlten sich unendlich schwer an.

„Können wir meine Lektion nicht auf Morgen verschieben? Bei den Göttern, mein armer Leib braucht Schlaf", bettelte ich.

„Nein, dein Leib braucht Übung. Ausruhen kannst du dich später, zuerst aber will ich sichergehen dass ich dich Morgen nicht wieder aus dem Mist retten muss", konterte er.

„Ja." Mit hängendem Kopf band ich einen mitgebrachten Band aus schmutzigem Stoff um meine wunden Hände, um sie vor noch mehr Blasen zu schützen. Den ganzen Tag lang das Schwert zu schwingen hatte sie aufgerissen. „Danke dafür."

Schon mehrmals hatte mich Patroclos im Kampf mit einem Krieger gerettet, so auch heute. Der riesige Trojaner hatte mir einen heftigen Schlag auf den Rücken gegeben, woraufhin ich hustend auf dem Boden gelegen hatte. Patroclos, der sich immer Gegner um mich herum gesucht hatte, hatte dem Trojaner gerade im richtigen Moment einen tödlichen Schwertstoss verpasst. Ohne ihn wäre ich in diesem Krieg schon Dutzende Tode gestorben.

Patroclos legte eine seiner geröteten Hände auf meine schmutzige Wange. Er lächelte sanft und sagte erst mal gar nichts. Ich hätte wirklich auf der Stelle einschlafen können und er wusste es. Gewiss ging es ihm ähnlich.

Ich seufzte. Nicht, weil ich nicht mehr konnte. Nicht, weil ich mich dafür hasste, überhaupt in den Krieg gegangen zu sein. Nicht, weil ich mich unfähig fühlte, mich vor irgendwem zu verteidigen. Sondern, weil ich nach langem wieder einmal einen Moment mit Patroclos alleine hatte. Seit Sparta hatte er mich nicht mehr so angesehen.

Ich erwiderte seinen tiefen Blick und versank im Blau, welches an Stellen von einem Gold durchbrochen wurde, welches vom Sonnenuntergang in meinem Rücken stammte. Solch wunderschöne sanfte Augen und doch so ein furchtloser Krieger dahinter.

Patroclos trug nur ein Lendenschurz, weshalb ich seinen fast heilen Oberkörper betrachten konnte. Im Gegensatz zu mir hatte er sich bisher nur einzelne kleine Verletzungen zugezogen. Die meisten Trojaner konnten ihm kein Haar krümmen. Ich nahm vorsichtig die Kette in die Hand, welche er um seinen Hals trug und fast bis zu seinem Bauchnabel reichte. Sie war wunderschön, aus unzähligen aufgefädelten und einer einzigen goldig glänzenden Muschel gemacht worden. Ich wusste, dass er sie in einem der Trojanischen Häuser gefunden hatte, welches wir mitsamt seiner Siedlung abgebrannt hatten. Entgegen seiner Empfehlung nahm ich nie etwas mit, was früher anderen Leuten gehört hatte. Obwohl die meisten der Bewohner sowieso von uns getötet worden waren, hatte ich mich noch nicht dazu überwinden können, auch etwas mit zu nehmen. Mir war klar, dass auch Patroclos seine Schwierigkeiten damit hatte, doch war er als bester Freund des Achill fast dazu verpflichtet, unberührt zu wirken und auch dem entsprechend zu handeln. Einzig und allein ich schien die Fassade, hinter der er sich verbarg, wirklich durchschauen zu können.

Die letzte KriegerinWhere stories live. Discover now