Die Wahrheit

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Eine warme Hand auf meiner rechten Schultern entzog mich sanft meinen Träumen. Die Hand gehörte Serafim, den ich vorher beim Training gesehen hatte. Er lächelte mich gutmütig an, und als er sich sicher war, dass ich nicht wieder einschlafen würde, entfernte er sich mit leisen Schritten in Richtung Ausgang. Ich setzte mich auf und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Dieser brannte von den vielen vergossenen Tränen und dem wirren Traum, der mich heimgesucht hatte, wie zwanzig Lagerfeuer.

Ja, mein Traum war wirklich wirr gewesen. Vater und Mutter waren darin vorgekommen. Ich war schon älter gewesen und hatte kleine Kinder. Wir alle sassen auf unserem Hof und assen frisches Brot, als sich die Landschaft plötzlich veränderte. Nun waren wir mitten auf einem Kriegsfeld, und plötzlich verloschen Mutter, Vater und alle meine Kinder, während sie alle riefen: Vergiss nie, woher du kommst.

Wahrhaftig verwirrt und aufgelöst war ich nun, aber trotzdem riss ich mich, so gut es eben ging, zusammen. Langsam stand ich auf und setzte mich in Bewegung. Serafim war bereits draussen, ich hatte nicht einmal eine Ahnung, wieso er überhaupt in unser Gemach gekommen war. Da er allerdings keine Fragen zu meiner Abwesenheit im Hofe gestellt hatte, schlussfolgerte ich, dass ihm jemand von meinem baldigen Aufbruch erzählt haben musste.  

Als Erstes flocht ich mir nun einen lockeren Zopf über die linke Schulter hinab. Er reichte bis zu meiner Taille, meine Haare waren während meines Aufenthalts hier schon wieder ziemlich gewachsen. Wehmütig erinnerte ich mich daran, wie mir Mutter immer wunderschöne Kunstwerke auf den Kopf gezaubert hatte, wenn wir einmal in einen Tempel oder zu den Spielen gegangen waren.

Viele meiner Altersgenossinnen hatten mich oft um die vielen ineinander verflochtenen Zöpfe auf meinem Hinterkopf beneidet, und ebenso war es bei meiner Schwester. Mutter hatte immer ein besonders gutes Auge für das Schöne gehabt. Geflickte Kleider hätte man nicht selten für neue halten können, und obwohl wir nie sehr reich gewesen waren, sah unser Haus immer sehr schön verziert aus. Sie war eine Meisterin gewesen, wenn es darum ging, aus wenig viel zu machen, eine Eigenschaft, die auch Vater an ihr geliebt hatte, das wusste ich.

Noch halb in meinen Gedanken und in meinem verwirrenden Traum gefangen, fing ich an, meine wichtigsten Sachen zusammenzusuchen. Péristeris hatte uns einen Tag gegeben, um unser Nötigstes zusammen zu packen, uns geeignete Schwerter und Schilder zu beschaffen, diese kampfbereit zu machen und schliesslich die Pferde auf den langen Weg vorzubereiten. Ausserdem hatten Licius - einer der anderen drei Mitreisenden - die Aufgabe erhalten, eine kleine Ziege zu schlachten und das Fleisch für die Reise gut zu verpacken. Die beiden anderen wurden damit beauftragt, zum Beispiel die Wassersäcke zu füllen.

Da ich nicht mit vielen Habseligkeiten gekommen war, gab es für mich auch nicht viel einzupacken. Die Kleider liess ich sowieso alle hier, denn mitten in der kargen Landschaft würde ich wohl nie das Bedürfnis haben, mich vor den Augen aller anderen umzuziehen. Nicht nur, weil es keine einzige weibliche Seele darunter haben würde.

So legte ich also lediglich ein weiteres Stück Stoff zum Abbinden meiner Brust, ein paar weitere Sandalen und ein paar braune Haarbänder zu den bereits eingepackten Kerzen. Ebenso packte ich ein etwas längeres Messer ein, das ich hier an der Schule bei einem kleinen Wettkampf gewonnen hatte. In seine Schneide waren einige Zeichen eingraviert, die so etwas wie Mut, Stärke und Gerechtigkeit hiessen.

Da ich bereits ein Schwert besass, konnte ich mir die Zeit, die es gebraucht hätte um ein passendes auszuwählen, sparen und begab mich danach gleich zur Schleife. Dort bearbeitete ich es, wie es mich mein Vater gelehrt hatte, mit viel Geduld, bis es wieder blitzte und glänzte. Mit jedem vorsichtigen Handgriff, den ich an der scharfen Schneide praktizierte, spürte ich die unsichtbare leitende Hand meines Vaters auf meiner eigenen deutlicher. Wehmütig aber dennoch mit klarem Kopf beendete ich schliesslich diese Arbeit.

Die letzte KriegerinTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang