Das sechste Jahr Zwei: Die Unschuld des Meeres

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Die unbarmherzige Hitze weckte mich aus einem traumlosen, viel zu kurzen Schlaf. Meine Lieder waren so schwer, dass ich mit geschlossenen Augen auf dem widerlich riechenden Fell liegen blieb. Mein kurzes Hemd war mit Schweiss durchtränkt, selbst mein Bett war unangenehm feucht und heiss. Angeekelt wand ich mich auf der weichen Liege, was schmerzhafte Blitze in meinen ganzen Körper sandte. Es war kein Brennen, wie es sich bei den üblichen Kampfwunden anfühlte. Stattdessen verzogen sich meine Muskeln krampfhaft und entspannten sich erst wieder, als ich keuchend auf die Seite rollte.

Hätte es einen Gott namens Elend gegeben, hätte ich glatt sein menschliches Ebenbild darstellen können.

Noch immer mit geschlossenen Augen sass ich langsam auf, stützte mich aber weiterhin auf meinen Armen, sodass ich völlig verkrümmt dasass. Ich war mir sicher, dass ich selbst mit offenen Augen in diesem Moment nichts gesehen hätte. Mein Körper war so ausgemergelt, dass meine Augen ihre normale Aufgabe nicht mehr ausführen konnten. Als ich sie schliesslich zaghaft öffnete, war alles verschwommen.

Dem Braunton des Bodens zu urteilen war es Mitten am Tag. Unwissend darüber, wie manche Tage und Nächte ich auf der Liege geschmort hatte, konnte ich sie nun doch keinen weiteren Augenblick mehr ertragen. Seitdem ich die Kräuter geschluckt hatte, konnte ich nichts mehr behalten, was meinen sonst schon auffällig zarten Körper abgemagert hatte. Doch es war mir egal, was mit ihm passierte. Meine Seele fühlte sich so verloren an, dass mein Fleisch und Blut mich kaum mehr retten konnten.

Seit einer Ewigkeit konnte ich den ersten klaren Gedanken fassen. Und er galt meinem verlorenen Kleinen. Was ich dabei fühlte, war mir allerdings keinesfalls klar.

Langsam stemmte ich mein Gewicht auf den einen Arm, um mit der anderen Hand nach meinem Bauch zu tasten. Mein Kopf wurde leer. Obwohl mein Körper sich noch immer zusammenkrampfte, fühlte ich einen Moment lang gar nichts.

Es gab kein Zurück mehr. Die letzten Tage waren das Ergebnis meines erzwungenen Verlustes gewesen. Und noch immer war mein Leben wohl in Gefahr. Doch immerhin hatte ich noch die Möglichkeit, zu kämpfen. Im Gegensatz zu dem unschuldigen Kind, dass nie Leben gesehen hatte. In meinem Kopf fing sich alles an zu drehen.

Im nächsten Augenblick zog sich mein Bauch zusammen und ich übergab mich zwischen meinen Beinen hindurch auf das verschwitzte Fell. Das Würgen schüttelte meinen ganzen Körper durch, doch aus meiner brennenden Kehle kam nichts ausser einem krampfhaften Stöhnen. Mehrmals begann der Würgereiz von vorne, bis mein Körper endlich etwas fand, was er ihm füttern konnte.

Angewidert kroch ich von meinem Bette weg und lehnte mich erschöpft gegen eine Holztruhe. Ich hätte geweint. Wenn noch eine einzige Träne in meinen Augen übriggeblieben wäre, hätte ich sie in diesem Moment geweint. Doch das war sie nicht. Ich hatte mich ausgeweint. Ich empfand weder Trauer noch die Reue, die ich beim Verlust meiner Familie erlebt hatte. Da war nur eine Leere, die nichts füllen konnte.

Eine unbestimmte Ewigkeit lang starrte ich an einen Punkt vor meinen blossen Füssen, kümmerte mich nicht um meinen bettelnden Bauch oder meine krampfenden Muskeln. Irgendwann blendete mich ein durch die Decke scheinender Sonnenstrahl mitten ins Gesicht, sodass ich aus meiner Starre erwachte. Schliesslich füllte ein einziger Name die Leere in meinem Herzen. Patroclos.

Ich musste ihn finden. Musste zu ihm.

Keuchend rappelte ich mich auf und hielt mich dabei krampfhaft an der hölzernen Truhe fest. Mein plötzlicher eiserner Wille verlieh mir die Kraft, die wenigen kurzen Schritte zum Vorhang zu machen, welcher mich vor Blicken der anderen Krieger schütze. Weiterhin ohne klaren Blick und wirr von der Hitze der Sonne schob ich den dreckigen Stoff zurück und trat hinaus. Blind für alles ausser dem sandigen Weg schritt ich auf wackligen Beinen in Richtung Achill' s Unterschlupf. Ich war schon ein ganzes Stück vorangekommen, als ich in etwas Hartes prallte. Unwillkürlich taumelte ich einen Schritt zurück und schloss für einen Augenblick die Augen, da mich meine Sicht kurz im Stich liess.

Die letzte KriegerinWhere stories live. Discover now