Die See

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Einen Augenblick lang blieben wir noch zusammen stehen, unsere Stirnen aneinander gepresst. Ich konnte erraten, dass ihn das gerade Geschehene genauso überrascht hatte, wie mich.

Doch als ein Priester in die Öffnung zum Hauptraum trat, wurde ich zurück in die Realität geholt. Schnell löste ich mich von Patroclos. Der alte Grieche warf uns einen vielsagenden Blick zu. Dann drehte er sich weg und humpelte gekrümmt davon.

Wir schauten uns einen Moment lang peinlich berührt an, mussten dann aber beide lachen. Was dachte dieser Priester wohl? Natürlich war ein gleichgeschlechtliches Paar nichts Neues, doch in einem Tempel? Das war wohl eher selten.

Doch noch während dem ich grinste, kamen die Ereignisse zurück in mein Bewusstsein. Der Krieg, die Unsicherheit, all das Böse, das uns erwarten würde.

Egal was ich Patroclos erzählte, ich hatte nicht wirklich Vorfreude, wenn ich auf den bevorstehenden Kampf blickte. Bei meinem letzten Gefecht wäre ich fast gestorben. Ausserdem durfte so etwas nicht wieder passieren, denn sonst würden nicht nur ein Dutzend Männer mein Geheimnis kennen, sondern jeder einzelne Krieger Griechenlands. Ich wollte gar nicht daran denken, was die „Tiere" dann mit mir machen würden.

Aber mir war auch bewusst, dass ich keinesfalls zurück bleiben wollte. Das Schlachtfeld würde wohl kein Paradies auf Erden sein. Doch Patroclos würde da sein, und das reichte völlig aus. Denn wo auch immer er war, dort befand sich nun auch mein Platz.

Und diesen letzten Tag, den wir noch zu zweit hatten, wollte ich nicht in Sorge verbringen. Denn in der Zukunft würde Privatsphäre wohl etwas sehr Seltenes sein. Umso kostbarer war die kurze Zeit hier.

„Lass uns nicht gleich zu Achill' s Anwesen zurückkehren. Es reicht, wenn wir unsere wenigen Sachen am Abend packen, nicht?", fragte ich deshalb.

Patroclos nickte.

„Ich bin ohnehin gekommen, um dir noch einen weiteren magischen Ort zu zeigen", erklärte er und seine Augen flackerten vor Aufregung.

„Was für ein Ort?"

Doch er lächelte nur und nahm meine Hand. Doch ich entriss sie und er schaute mich verwundert an.

„Denkst du nicht, wir sollten etwas vorsichtiger sein?", fragte ich ängstlich.

„Die Bewohner werden mich sonst für das erkennen, was ich wirklich bin."

„Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?", fragte er zurück und reckte ein zweites Mal nach meiner Hand.

„Morgen werden wir weg sein und die Leute werden sowieso ihre Geschichten über uns erfinden. Niemand wird uns gut genug kennen lernen, um Dritten Namen nennen zu können. Wie könnte man dich jemals finden?"

Natürlich hatte Patroclos wie fast immer Recht. Seine Klugheit war erstaunlich. Seine Gedanken waren immer einen Schritt voraus.

Ich nickte und drückte seine Hand ein wenig. Obwohl wir beide völlig verschwitzte Hände hatten, fühlte sich diese Art von Hitze nicht unangenehm an.

Patroclos lotste mich aus dem Nebenraum hinaus und zum Eingang des Tempels.

„Wo gehen wir hin?", kam mir meine anfängliche Frage wieder in den Sinn.

„Du wirst schon sehen", gab er als Antwort. Er drehte sich kurz zu mir um, um meine Reaktion zu sehen. Dann lief er zügig weiter und ich folgte ihm, meine Hand immer noch in der Seinen.

„Ich hasse Überraschungen", behauptete ich kühl.

„Diese wirst du lieben", gab er schmunzelnd zur Antwort.

Die letzte KriegerinWhere stories live. Discover now