Wenn das Träumen endet...

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Als die grosse grüne Fläche mit den abgebrannten Häusern schliesslich nur noch einige Schritte entfernt war, ging Schweigen durch unsere Truppen. Obwohl ich meinen Blick so gerne abgewendet hätte, konnte ich die Kontrolle darüber nicht mehr finden. Ich musste regelrecht auf die Reste einer ehemaligen Heimat starren. Während der Wald gegenüber von grösster Fruchtbarkeit dieser Gegend zeugte, befanden sich die Ruinen auf einem braunen Feld abgebrannter Grashalme. Manche Flächen waren fast schwarz, andere getränkt von einer seltsamen Flüssigkeit, die ich nicht einmal identifizieren wollte. Ein unbekannt stechender Geruch stieg mir in die Nase.

Mir stockte der Atem, als ich einen Haufen aufeinandergelegter Menschen sah, der etwa zur Hälfte abgebrannt war. So schnell mein Körper es zuliess, schloss ich die Augen. Nur so konnte ich dem grässlichen Bild entfliehen. Bestimmt war das alles hier nur ein Traum, ein Albtraum. Ich schlief.

Ich öffnete die Augen wieder, die Hoffnung gegenwärtig, dass ich in meinem gewohnten Gemach in der Schule lag. Doch ich befand mich immer noch an der gleichen Stelle. Christus' Rücken war hart, aber warm. Die Sonne brannte vom Himmel, sendete goldgelbe Strahlen über die Steinüberbleibsel der Siedlung. So, dass die Steine fast silbern glänzten. Nein, dies war kein Traum. Dies war die schreckliche Realität, mit der es sich abzufinden galt.

Ich atmete einmal tief ein – durch den Mund damit ich den unangenehmen Geruch vermeiden konnte. Obwohl ich mir noch kurz vorher geschworen hatte, nicht darüber zu grübeln, konnte ich mir nur zu gut vorstellen, dass die verbrennende Haut ihren Teil dazu leistete.

Schnell verdrängte ich den Gedanken wieder und liess mich neben Christus auf den Boden gleiten. Kurz lehnte ich meinen Kopf an seinen Bauch und zwang mich dazu, mein aufgeregtes Herz zu beruhigen. Neben den vielen Gedanken, die ich mir über die Raubbande gemacht hatte, war mir völlig entgangen, was für Orte ich antreffen würde. Ich hatte mich nicht darauf vorbereitet, unschuldige Frauen und Kinder beerdigen zu müssen. Wie naiv musste ich gewesen sein, blind vor Wut und Unglaube.

Ständig darauf bedacht, den Leichenhaufen nicht noch ein zweites Mal zu streifen, begann ich, die ehemalige Siedlung nach irgendetwas Lebendigem zu durchsuchen. Zuerst in zaghaften Schritten, dann immer schneller und entschiedener. Dabei fühlte ich mich, als würde ein ständiger Felsbrocken von oben auf meine Schultern drücken. Ich zog die Schultern ein, damit das kalte Gefühl auf meinem Rücken endlich verschwinden würde.

Abgelenkt wurde ich von meinen Gedanken, als sich plötzlich eine lebendige Gestalt in mein Blickfeld schob. Orféfs wankte auf die angeordneten Steinreste zu und hielt sich dabei mit einer Hand den Kopf. Nur wenige Schritte vor uns blieb er noch einmal stehen und drückte seine Hand vor den Mund, so dass man seinen gequälten Schrei nur gedämpft hören konnte. Bei der riesigen Trauer, die dieser verzweifelte Ausruf symbolisierte, stiegen mir die Tränen in die Augen.

Ich blickte zum Himmel und hoffte, irgendein Anzeichen von Regen zu sehen. Wie nichts anderes hätte er zu diesem Moment gepasst. Doch wie schon erwartet befand sich keine einzige Wolke am stahlblauen Himmel. Das Wetter liess uns heute achtlos im Stich. In mir krampfte sich etwas zusammen, als ich Orféfs erneut schluchzen hörte.

Plötzlich konnten mich meine Füsse kaum noch tragen. Wie konnten menschliche Wesen nur so etwas anrichten? Wie waren sie im Stande, solches Elend anzurichten, ohne selber daran zu zerbrechen? Je verzweifelter ich wurde, je unverständlicher ich das Verhalten der Räuber fand, desto mehr begann ich diese Menschen zu verabscheuen.

Ich hielt mich an einer halb zertrümmerten Steinwand fest, bis meine Beine nicht mehr weich waren, und löste mich dann aus der Gruppe. Zwei der Krieger waren bereits zu Orféfs gegangen, einer von ihnen noch weiter bis zum Leichenhaufen. Ich stapfte über den abgebrannten Boden bis hin zum Ende der Siedlung, wobei ich bei Orféfs einen kurzen Halt einlegte. Die schwarzen Zeichnungen auf seinen Armen zitterten, als ich sie zur Ablenkung musterte.

Die letzte KriegerinWhere stories live. Discover now