Kapitel 3

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Copperfield,
ich freue mich, dass du meinem Rat gefolgt bist und ich dir die Fahrt somit erträglicher machen konnte. Mein Tag wurde besser als ich deine Nachricht gelesen habe. Den halben Tag plagten mich Kopfschmerzen und das triste Wetter trug nicht zu meiner Stimmung bei. Ich arbeite viel, mein Chef gibt mir die Freiheiten, die ich brauche. Aber oft schlucke ich meinen Frust darüber, dass ich fast immer der Einzige bin der Überstunden macht einfach hinunter. So war es auch heute wieder. Aber was beschwere ich mich? Ich habe einen Job der Spaß macht und auch wenn es oft spät wird, bis ich endlich zuhause bin, erfüllt er mich. Ich kann allein für meinen Lebensunterhalt sorgen. Und das ist mir schon immer wichtig gewesen.

Die U-Bahn ist zum Glück nicht mehr so voll. Ich mag es nicht sonderlich zwischen den vielen Menschen zu stehen. Eingequetscht zwischen fremden Körpern. Wie du weißt, fahre ich nicht gerne mit dem Auto. Daher die U-Bahn. Und an manchen Tagen regen mich die Massen an Menschen einfach auf. Rücksichtslos und unfreundlich.

Aber im Moment möchte ich nicht mit dir tauschen. Eine Zugfahrt kann lang und anstrengend sein. Ich erinnere mich nur mit Schrecken an die Fahrten zu meinen Großeltern. Nicht weil ich die beiden nicht besuchen wollte. Nein, wegen der quälend langen Fahrt und den unbequemen Sitzen. Viele Menschen und laute Stimmen um mich herum. Das konnte ich schon als Kind nicht leiden. Aber die anschließenden Tage bei meinen Großeltern waren klasse. Sie waren immer herzlich und haben viel mit uns gelacht. Großvater ging jedes Mal mit mir in den kleinen Buchladen, der am Ende der Straße lag. Dort bekam ich im Alter von... ich glaube fünf Jahren, ein ganz besonderes Buch geschenkt. Ich denke, es würde auch dir gefallen.

Mein lieber Copp. Ich bin müde und habe Hunger. Der Kater macht es sich garantiert auf meinem Sofa bequem und erwartet mich sehnsüchtig. Aber weniger um meiner Willen. Vielmehr wartet er auf sein Futter. Und das bekommt dieser kleine faule Kater natürlich, sobald ich zuhause bin. Und ein Portion Streicheleinheiten.

Auch wenn du nicht weißt, ob der kleine Wolf sein Rudel findet, hoffe ich, dass du heute Nacht gut schlafen kannst. In den Armen eines geliebten Partners schläft es sich einfach am besten. Und es ist zudem auch schön warm. Also keine Sorge, auch wenn dich Kälte an deinem Zielort erwartet, hast du etwas, worauf du dich freuen kannst.
RobinHood

Grinsend stecke ich das Telefon in meine Manteltasche und beobachte unauffällig die Menschen. Genauso wie ich es meinem Fremden vorgeschlagen habe und eine plötzliche Traurigkeit legt sich über mich. Wenn ich in meine Wohnung komme, dann erwartet mich ein kleines schwarzes Fellknäuel. Ich lebe allein, bin seit Ewigkeiten Single und bisher auch glücklich damit gewesen. Was aber ist mit Copperfield?

In den letzten sechs Monaten haben wir über viele Dinge geschrieben. Es gab aber immer ein Thema, dass ich bewusst gemieden habe. Meine sexuelle Orientierung und meine schüchterne Art im realen Leben. Und damit auch mein Beziehungsstatus. Ebenso wie er. Es war von Anfang an eine stille Übereinkunft zwischen uns beiden, dass Dinge wie Namen und unser Wohnort bei uns bleiben.

Ein Bild schiebt sich in meine Gedanken. Es ist schwer für mich dieses zu vertreiben. Aus den schemenhaften Umrissen werden deutlich zwei Menschen. Sie stehen auf der Veranda eines weißen Vorstadthauses und zu ihren Füßen läuft schwanzwedelnd ein kleiner schwarzer Terrier. Die Frau hält ein Baby in ihren Armen und neben ihr ein schöner dunkelhaariger Mann. Es ist der Mann, welcher sich jeden Morgen unter der Dusche aus den Dampfschwaden bildet, und meine Leidenschaft erweckt.

Was, wenn Copperfield ein verheirateter heterosexueller Mann ist? Weiß seine Frau von mir? Was sagt er wer ich bin? Oder bin ich ein Geheimnis? Wer bin ich für Copperfield? Meine Gedanken machen sich gerade selbstständig und drehen sich in eine Richtung, die mir nicht gefällt. Ich mag das ungezwungene zwischen uns sehr. Bei ihm fühle ich mich gut. Sehr gut. Ich habe das Gefühl, ich kenne ihn seit Jahren. Dabei sind es gerade einmal sechs Monate. Meine offene Art ihm gegenüber fällt mir nicht schwer. Er ist der erste Mensch außerhalb meiner Familie, bei dem das so ist. Selbst Andrew gegenüber konnte ich das Schüchterne und Verlegene nicht ablegen.

Aber ich bin kein Deut besser. Niemand weiß von uns. Ich habe Copperfield nicht mit einer Silbe erwähnt. Nicht bei Julian, meinem besten Freund, noch bei Stacey meiner Schwester. Und auf die beiden kann ich immer zählen. Sie waren in der Zeit meines Outings und auch nach meinem desaströsen ersten Mal mit Andrew für mich da. Das erste Mal mit Andrew, mein erstes und einziges Mal Sex mit einem Mann. Danach habe ich mit Stacey geredet. Und an Julians Schulter geweint. Sie hat mir stumm zugehört, er hat mich beruhigt.

Ein schlechtes Gewissen überkommt mich, ein Hauch von Scham und Zweifel darüber, dass ich mit einem mir fremden Mann solch eine Beziehung pflege. Eine Beziehung die mir so wichtig geworden ist. Es überrascht mich, ich erkenne mich selbst nicht wieder.

Ein Mann setzt sich mir gegenüber. Ich spüre seine Blicke auf mir. Es ist mir unangenehm. Denn diese Blicke sprechen eine eindeutige Sprache. Die dicke Wolle meines Mantels verbirgt meinen Körper. Dennoch versuchen sich seine Augen einen Weg hindurchzufressen. Während er seine Tour über meinen Körper fortsetzt, knete ich nervös meine Hände. Seine Blicke bleiben auf meinen Händen liegen, ich beginne zu schwitzen und mein Kopf verfärbt sich verdächtig rot. Ich spüre die Hitze an meinen Wangen. Zu gerne möchte ich ihm sagen, dass ich mich dabei unwohl fühle, wenn er mich auf diese Art betrachtet. Aber kein Wort kommt über meine Lippen. In meinem Kopf allerdings, da werfe ich ihm alle Worte regelrecht vor die Füße.

Meine Haltestelle ist erreicht und ich war lange nicht so erleichtert wie in diesem Moment. Julian hat mich einmal gefragt, warum ich immer in solch eine Schockstarre verfalle, wenn ein anderer Mann sein Interesse an mir zeigt. Meine Antwort war klar und ich musste nicht darüber nachdenken. "Weil ich kein Stück Fleisch bin. Ich bin ein Mensch. Ich habe Gefühle und ein Herz. So möchte ich auch gesehen werden." Julian nickte, er verstand mich.

Und wie ich es bereits meinem Fremden prophezeit hatte, liegt mein schwarzer kleiner Kater auf dem Sofa und schaut mich an. Seine grünen Katzenaugen funkeln und sein Blick sagt mir alles. 'Wo warst du? Warum kommst du erst jetzt? Wo ist mein Futter?' Ich schmunzele und dann überfällt mich die Stille einer leeren Wohnung. Komisch, früher hat mich das nie gestört. Aber nun fühle ich mich schrecklich allein.

because love knows no boundariesWhere stories live. Discover now