Kapitel 15

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"Ashton hat Caleb geküsst", sagt Clara.
"Habe ich gar nicht", fahr ich dazwischen. Julian will gerade etwas sagen, aber stattdessen nimmt er sich erst mal seine Tasse und gießt sich Kaffee ein. Mit drei Stück Zucker. Ich verstehe nicht, wie ein normaler Mensch sowas trinken kann.
"Hast du plötzlich Atemnot bekommen?", fragt Clara. Völlig perplex starre ich sie mit offenem Mund an. Wovon redet sie?

Kichernd sieht sie mich mit ihren großen grünen Kulleraugen an. Ich glaube sie macht sich über mich lustig.
"Sei nicht sauer. Ich habe euch zwei gesehen. Er hatte seine Zunge in deinem Hals und seine Hände lagen eindeutig an nicht jugendfreien Stellen." In Gedanken versuche ich jeden einzelnen Moment abzurufen. Es fällt mir erstaunlich leicht. Ich erinnere mich an alles. Ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken. Ich lächele und dann höre ich Caleb Stimme. 'Ich bin etwas verwirrt. Es gibt da jemand anderen. Und ich musste plötzlich an ihn denken.'

Vorbei ist meine gute Laune und das Rührei ist kalt. Ich mag kein kaltes Rührei. Seufzend wische ich mir über das Gesicht und massiere meine Schläfen. Der Kopfschmerz möchte gerne wieder zurückkommen. Ich habe keine Lust auf diese Art von Besuch. Julian mustert mich eindringlich.
"Möchtest du darüber reden?", fragt er unsicher. Ich wäge das Für und Wider ab. Caleb ist sehr attraktiv, aber er hat mich enttäuscht. Clara kennt ihn von früher, ein Vorteil. Oder auch nicht.

"Er hat mich geküsst", sage ich leise und stochere mit der Gabel in meinem mittlerweile eiskalten Rührei herum. Wie kleine spitze Nadeln bohren sich die Blicke von Clara und Julian unter meine Haut. Ich weiß genau, was sie jetzt denken. Das ich einen mir völlig fremden Mann küsse und nicht panisch davonlaufe, ist so untypisch für mich.

Andrew bettelte förmlich um ein Date und erst nachdem wir bereits drei Wochen miteinander ausgingen, konnte ich meine Unsicherheit überwinden und ließ zu, dass er mich zum Abschied küsste. Das war auch der Beginn unserer Beziehung und der Anfang von einem desaströsen Abend, welcher mit vielen Tränen endete.

Für Julian muss das gerade eine surreale Vorstellung sein. Ich, sein bester Freund, der schüchternste Junge unter dieser Sonne, wird geküsst von einem Mann. Einem fremden Mann. Und lässt es zu. Ohne rot zu werden, ohne sich vor Aufregung übergeben zu müssen. Keine Panikattacke, keine Flucht. Denn diese Szenarien hat es in den letzten Jahren alle schon gegeben. Auch bei Andrew.

Bei meinem ersten Blowjob war ich so aufgeregt, dass ich mich prompt auf dem Klo übergab. Ich erinnere mich an ein sehr einfühlsames Gespräch zwischen Stacey und mir. Danach wurde es besser.
"Oh mein Gott. Er hat dich geküsst? Und du hast es zugelassen?", fragt Clara aufgeregt. Ihre Wangen leuchten in einem zarten rosa und die Augen funkeln freudig. Es fehlt noch eifriges in die Hände klatschen und auf und ab hüpfen. Dann ist das Teenie Klischee perfekt. Nur sind wir keine Teenager mehr und Clara nicht der Typ für ein solches Verhalten.

"Ja ich habe es zugelassen", sage ich. Julian schaut mich skeptisch an, schweigt aber.
"Wie war es? Komm schon erzähl es uns. Bitte."
"Es war gut", sage ich knapp. Julian hat noch immer kein Wort gesagt. Seine Augen mustern mich noch eindringlicher. Warum sagt er nichts? Das ist ebenso untypisch für ihn wie für mich das Rummachen mit einem Fremden.
"Es war ein Kuss. Und es war schön." Mehr sage ich nicht.

"Wann trefft ihr euch wieder?", fragt Clara und Julian verschränkt die Arme vor seiner Brust. Ich antworte nicht auf ihre Frage. Stattdessen liefere ich mir ein Blickduell mit meinem besten Freund.
"Was ist passiert Ashton? Was hat er getan?" Julian kennt mich lange und gut. Das etwas nicht stimmt, dass ich mir Gedanken um Caleb mache, ist ihm nicht entgangen.
"Es war nur ein Kuss. Was wollt ihr hören? Ich werde ihn nicht gleich vor den Altar ziehen", sage ich genervt und lasse lautstark das Besteck auf meinen Teller fallen. Nun merkt auch Clara, dass etwas nicht stimmt.

"Der letzte Mann, den du geküsst hast, das war Andrew. Nun erwiderst du den Kuss von Caleb und tust so, als wäre es nichts Besonderes. Normalerweise würdest du jetzt nervös um den Tresen laufen. Du hättest tausend Fragen und seine Telefonnummer. Du würdest dich fragen, was er an dir findet, ob er erwartet das du ihn anrufst. Du würdest dir Gedanken über ein Date machen und ob er Sex will. Du würdest hier an diesem Tresen sitzen, mit tränenüberströmten Gesicht und nach Luft haschend." Julian hat so recht mit dem, was er sagt.
"Aber nichts dergleichen machst du. Hast du seine Telefonnummer?" Ich schüttele meinen Kopf.
"Warum nicht?" Warum kann er es nicht einfach gut sein lassen?

"Ich wollte sie nicht", antworte ich flüsternd.
"Ich bring ihn um. Was hat er getan?" Julian ist wütend.
"Versprecht ihr das es unter uns bleibt?" Clara nickt, Julian schüttelt den Kopf. Er hat mich immer beschützt, mir den Rücken gestärkt.
"Er hat mich geküsst. Ich habe es erwidert. Das Gefühl was unglaublich. Er hat mich berührt. Am Bein und..." Verlegen senke ich den Kopf. Clara nimmt mich in den Arm, streichelt beruhigend über meinen Rücken.

"Du hast lange nicht mehr so entspannt in der Gegenwart eines anderen Mannes ausgesehen", sagt Clara. Ich atme tief durch und spüre nun auch die Hand von Julian auf meinem Arm.
"Er schob seine Hand unter mein Shirt..." Julians Griff verstärkt sich.
"Ich wollte es Julian. Wirklich." Ich blicke in die Augen meines Kindheitsfreundes.
"Ich wäre noch viel weiter gegangen. Das weiß ich jetzt. Aber er dachte an einen anderen Mann und beendete unseren Kuss und ... das andere." Meine letzten Worte sind nur geflüstert.

"Wow Ashton. Das ist das erste Mal." Clara gibt mir einen Kuss auf die Wange und umarmt mich dann fest. Ich würde ihnen gerne von Copperfield erzählen. Aber gerade fühle ich mich nicht stark genug.
"Das hat mich schwer getroffen", sage ich den beiden. Ich greife nach der Zeitung und schlage den Lokalteil auf. Das Thema ist für mich beendet und beide wissen das.

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