Kapitel 4

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Es ist Freitagabend und ich bin genervt. Ich bin im Haus meiner Eltern. Diese Tatsache an sich ist nicht schlimm. Meine Schwester ist hier und auch ihr Freund. Meine Eltern und ein mir unbekannter Mann betreten gerade das Esszimmer. Er steuert direkt auf mich zu und zieht mich in eine Umarmung.
"Hallo ich bin Jonathan. Du bist Ashton, oder?" Ich nicke und werde schlagartig rot. Fuck wer ist das? Warum umarmt er mich so stürmisch und woher kennt er meinen Namen?

"Schön. Ihr habt euch schon bekannt gemacht", sagt mein Vater freudestrahlend und mein Kopf wird immer röter.
"Ich bin der neue Kollege deines Vaters", sagt dieser Kerl grinsend und schaut mir tief in die Augen. Ich senke meinen Blick und begrüße ihn leise. Meine Stimme ist kaum zu hören und ich fühle mich etwas unwohl. Er kann seinen Blick nicht von mir nehmen. Ich mag es nicht gemustert zu werden.

"Dad?", frag ich leise. "Können wir kurz reden?" Mein Vater nickt und ich schiebe mich an diesem Jonathan vorbei. Dabei berührt meine Hand, die seine und ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Ich habe eine Ahnung, warum Dad einen Kollegen zum Essen mitbringt.
"Was ist denn los Ashton?", fragt Dad leise als wir in der Küche stehen und ich verlegen meine Hände knete.
"Warum hast du einen Kollegen mitgebracht? Das machst du sonst nie? Mum hat mich zum Essen eingeladen, weil wir uns länger nicht gesehen haben."

Die Worte verlassen schnell meinen Mund und ich sehe, dass Dad versucht mir zu folgen.
"Er ist neu. Er ist nett. Er ist schwul", sagt er und präsentiert mir sein unschuldiges Lächeln. Ich hebe eine Augenbraue und Dad schmunzelt.
"Hat er sich so vorgestellt? Hallo, ich bin der Neue und schwul?", frage ich und Dad berührt sanft meinen Unterarm.
"Ach komm Ashton. Es ist an der Zeit das du dich mal wieder verliebst", erwidert er und es fällt mir schwer ihm böse zu sein. Er meint es nur gut. Genauso wie Stacey und meine Mum.

Kopfschüttelnd verlasse ich die Küche und gehe ins Bad. Ich kann ihn ja verstehen. Meine Familie macht sich Sorgen. Sie haben die Befürchtung, dass ich mit meinem Kater für immer allein bleibe. Ich blicke in den Spiegel und versuche mich kurz zu sammeln. Bei dem Gedanken daran, einen ganzen Abend mit diesem Mann zu verbringen, wird mir schlagartig heiß. Er ist nicht mein Typ. Sicher ist er nett. Aber er hat rote Haare und grüne Augen. Ich bevorzuge schwarze Haare und braune Augen. Nur wissen das meine Eltern nicht.

Andrew war blond. Deswegen schleppte Stacey zum Anfang immer blonde Männer für mich an. Bis ich ihr sagte, dass sie nicht in mein Schema passen. Nach der gescheiterten Beziehung mit Andrew stellte ich fest, dass mein Fokus auf einen anderen Typ Mann liegt. Mein Telefon vibriert und am Nachrichtenton erkenne ich wer mir geschrieben hat. Copperfield. Auf meine letzte Nachricht hatte er nicht mehr geantwortet. Ich fragte mich den restlichen Abend warum. Und als heute im Laufe des Tages noch immer keine Antwort kam, fiel meine Laune immer weiter in den Keller.

Copperfield
Es tut mir so so so leid. So leid. Mein lieber RobinHood. Es kam in unserer gemeinsamen Zeit nicht ein einziges Mal vor, dass ich verspätet auf eine Nachricht von dir geantwortet habe. Nachdem ich endlich ein Taxi bekam und durch den Regen nach Hause fuhr, schlief ich bereits nach ein paar Minuten ein. Der Taxifahrer weckte mich etwas unsanft. Das er sah, wie ich auf meinen Mantel sabberte, war mir doch sehr unangenehm. Nein das ist das falsche Wort. Es war peinlich. So peinlich.

In meiner Wohnung begrüßte mich eine Pinguinfamilie. Die Heizung ist ausgefallen und die Eiszapfen an der Decke passen nicht zu meinem bevorzugten Einrichtungsstil. Daher bin ich zu einer guten Freundin gefahren und todmüde auf ihrem Sofa zusammengebrochen. Dreimal darfst du raten, wie ich heute Morgen aufwachte. Hast du sabbernd gesagt? Damit liegst du genau richtig. Wieder peinlich.

Und weil es an Peinlichkeiten noch nicht reicht, hier meine letzte Entschuldigungsbegründung. Ich komme gerade erst aus dem Nachbesprechungsmeeting zwecks Chicago. Ich hoffe, du hältst mich nicht für allzu bekloppt und denkst es ist alles eine billige Ausrede. Ich könnte jetzt sagen, frag meinen Freund. Er kann bestätigen, dass ich nicht zuhause geschlafen habe. Da es aber aktuell keinen Partner an meiner Seite gibt, musst du mir wohl oder übel blind vertrauen. Ich habe noch nicht einmal einen Kater, den du fragen könntest. Dafür bin ich zu oft unterwegs. Er würde elendig verhungern oder bei meiner Nachbarin wohnen. Die Gute ist bereits über achtzig, da möchte ich sie nicht mit einem Fellknäuel belasten. Aber ich liebe Katzen.

Grinsend lege ich mein Telefon auf die kleine Ablage neben dem Spiegel. Er hat Freund geschrieben. Nicht Freundin. Er lebt allein. Er ist anscheinend Single. Meine Laune hebt sich. So wie immer, wenn ich eine Nachricht von ihm erhalte. Ich verlasse das Bad und laufe prompt in meine Schwester hinein.
"Nicht so stürmisch großer Bruder", sagt Stacey lachend.
"Selber", antworte ich. Stacey bohrt ihren Finger in meine Brust. Was ist passiert?

"Jonathan ist echt nett." Ich verdrehe die Augen und sie schlägt mir leicht auf den Unterarm.
"Au. Spinnst du?", schimpfe ich. Sie mag es nicht, wenn ich die Augen verdrehe und ich nicht, wenn sie mich deswegen immer haut.
"Versuch es wenigstens", sagt sie eindringlich.
"Stacey. Er ist nicht mein Typ. Ziemlich sicher ist er nett. Aber Stacey, ich möchte niemanden kennen lernen."

Mit diesen Worten drücke ich Stacey leicht zur Seite und sie verschwindet im Bad. Das Essen verläuft wie erwartet. Alle reden und lachen miteinander, nur ich nicht. Meine Antworten sind knapp und leise. Jonathan sitzt neben mir und manches Mal berührt sein Knie, das meine. Eine Flucht ist nicht möglich, da ich schon ans Ende vom Tisch gerutscht bin. Weiter geht es nicht. Jedes Mal nimmt mein Kopf diese schöne leuchtend rote Farbe an, wenn er etwas von mir wissen will.

Meine Gedanken sind auch gar nicht bei Jonathan oder diesem Familienessen. Sie sind bei Copperfield und dem Buch vom kleinen Wolf mit den goldenen Augen. Ich habe es bereits aus dem großen Bücherregal, welches im Wohnzimmer steht, geholt und in meinem Rucksack verstaut. Natürlich habe ich ein paar Seiten gelesen und dabei an meine Großeltern gedacht. Ich hoffe er freut sich über diese Überraschung.

Tief in Gedanken und mit einem Lächeln auf dem Gesicht bekomme ich nicht mit, dass die Gespräche verstummt sind. Erst als ich meinen Namen höre und eine Hand auf meiner spüre blicke ich auf. Alle Anwesenden schauen mich erwartungsvoll an. Jonathan streicht über meinen Handrücken und ich ziehe panisch meine Hand zur Seite. Ich möchte nicht, dass er mich berührt. Er ist ein Fremder. Ich kenne ihn nicht.

"Ashton Schätzchen, wo warst du mit deinen Gedanken? Stacey hat dich etwas gefragt?" Mum legt ihre Hand an meine Wange und lächelt liebevoll. Ihre Hände sind immer warm und weich und verströmen einen leichten Geruch nach Lavendel. Diese Geste beruhigte mich als Kind immer.
"Was ist denn Stacey?", frage ich leise und fange an zu schwitzen. Auf ihre nächsten Worte bin ich nicht vorbereitet und sie treffen mich wie ein Blitz, der in den Boden einschlägt. Heftig und laut.
"Wer ist Copperfield?"

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