Kapitel 22

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"Hallo Ashton. Schön dich zu sehen", begrüßt mich Elijah mit einem Handschlag.
"Hallo Elijah", antworte ich und setze mich an den Tresen.
"Ist alles okay?", fragt er und ich höre Besorgnis in seiner Stimmlage.
"Ja", antworte ich knapp und er zieht eine Augenbraue nach oben. Natürlich ist nicht alles in Ordnung und Elijah spürt das. Er hat eine ausgezeichnete Menschenkenntnis und kennt mich seit vielen Jahren. "Möchtest du darüber reden?", fragt er. Ich frage mich wie er wohl reagiert wenn ich ihm erzähle, dass ich mit einen fremden Mann Video Sex hatte. Und ihn danach enttäuscht und verletzt zurückließ. Ich schüttele den Kopf und schaue auf meine Hände. Sie liegen ineinander verschränkt auf dem Tresen, meine helle Haut hebt sich vom dunklen Holz ab und ich denke an Caleb. Wie sich seine Hand, in die meine schmiegte, sich unsere Finger verschränkten und es sich so unfassbar gut angefühlt hat.

Zwei Arme umschlingen mich von hinten, ein zierlicher warmer Körper presst sich gegen meinen Rücken. "Hallo mein Großer", sagt Clara fröhlich und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Ich drehe mich und lächele ihr zu. Sie strahlt über das ganze Gesicht und ihre Augen leuchten in einem warmen grün. Ich hoffe, dass dieses Leuchten auch noch in ein paar Monaten da ist und nicht durch ein mattes grau von Schlafmangel überdeckt wird.
"Wie geht es dir?", frage ich und tippe leicht gegen ihren Bauch. Sie kichert und zeigt mir ein kleines schwarz-weißes Bild. Tränen sammeln sich in meinen Augen, ich kann es noch immer nicht glauben. Viele Jahre des Hoffen und Bangen, Tränen und zerschlagene Träume liegen hinter meinen beiden Freunden. Ich war die ganze Zeit an ihrer Seite. Genauso wie Julian es immer für mich war.

"Julian schuldet mir ein Besuch im Kino. Mit Popcorn und Cola in der Jumbovariante", sage ich lachend und Clara schüttelt nur den Kopf.
"Ihr seid unmöglich."
"Aber du liebst uns trotzdem", erwidere ich und blicke sie ernst an. "Es bleibt doch dabei, oder?" Sie nimmt mich in den Arm und kurz drücken wir uns fest.
"Du bist der beste Onkel, den sich Krümel wünschen kann", flüstert sie in mein Ohr. Damals, am Tag ihrer Hochzeit, versprachen Clara und Julian mir, dass ich Pate ihres ersten Kindes werde. Da ich selbst keine leiblichen Kinder haben werde, bedeutete mir das unglaublich viel.

"Hast du mit Caleb gesprochen?", fragt Clara plötzlich und ich muss mich kurz sammeln. Caleb? Wie kommt sie jetzt ausgerechnet auf Caleb? Nach dem unerwarteten Treffen auf der Straße habe ich ihn nicht wieder gesehen. Das ist jetzt zwei Wochen her. Genauso lange wie ich nichts mehr von Copperfield gehört habe. Ein letztes Mal habe ich versucht mich zu erklären. Aber auch diesmal blieb das Display meines Telefons schwarz und die rote Lampe blinkte nicht. Noch immer denke ich jeden Tag an ihn und male mir aus, wie es sein könnte, wenn wir uns treffen. Und jedes Mal sehe ich das gleiche Bild vor mir. Ich den Tränen nahe, wenn Copperfield mich enttäuscht stehen lässt, weil ich so anders bin als in unseren Nachrichten.

Diesen Gedanken ertrage ich nur schwer. Die Enttäuschung in seinem Gesicht zu sehen und das Wissen, dass ich es versaut habe. Und dann Caleb der mir einfach nicht mehr aus dem Kopf geht. Oft frage ich mich, ob meine Augen mich betrogen haben. War es vielleicht nur der Schnee auf der Scheibe, welcher seine Augen glänzen ließ. Oder eine Schneeflocke, die sich in seinen dunklen Haaren verfangen hatte und in der Hitze des Busses schmolz. Und somit als Träne über seine Wangen floss. Ich weiß es nicht, aber die Vorstellung von Caleb der weint gefällt mir nicht. Viele Stunden habe ich die Fragen in meinem Kopf gewendet, aber zu einer Lösung kam es nicht.

"Ashton? Hörst du mir zu?" Wieder einmal war ich so tief in meinen Gedanken, dass ich nicht bemerkte, wie Clara mit mir sprach. "Entschuldige. Ich war gerade nicht da", sage ich und lächele schief.
"Wo warst du denn?", fragt sie ernst. Und in ihren Augen erkenne ich, dass sie es weiß. Sie weiß von Copperfield und auch von Caleb.
"Hat Julian es dir erzählt?"
"Sei ihm nicht böse. Ich habe es fast aus ihm rausgeprügelt." Ich bin Julian nicht böse. Clara ist klein, aber sie kann sich ganz gut zur Wehr setzen. Mit ihr möchte man sich nicht anlegen. Schon gar nicht im Moment.

"Du weißt das wir dich lieben. Und wir sind für dich da. Egal wie du dich entscheidest." Sie streicht mir durch die Haare und ich schnaube.
"Wenn das so einfach wäre. Es fällt mir halt nicht so leicht wie euch", gebe ich etwas schärfer wieder als es sein sollte.
"Hör auf dein Herz. Du wirst es merken, wenn der Richtige vor dir steht", flüstert sie in mein Ohr und geht.

Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter, sie ist warm und Hitze breitet sich in meinem Körper aus. Ein Gefühl von Vertrautheit stellt sich ein. Ich schließe meine Augen und höre eine Stimme, tief und männlich, traurig und leise.
"Hallo Ashton." Seine Hand rutscht von meiner Schulter, gleitet über den Arm hinab zu meiner Hand. Mir läuft es kalt den Rücken runter und das Herz schlägt schnell in meiner Brust. Ich habe das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Diese Berührung hinterlässt ein Kribbeln. Ich fühle die Spur seiner Hand auf meinem Arm und dann seine Finger auf meinem Handrücken. Er streichelt über meine Haut, sie ist kalt aber in meinem Inneren beginnt das Blut zu kochen. Ich öffne meine Augen und schlucke schwer. Ich kann nicht mehr atmen und mir wird unsagbar heiß. Ein Sturm von Gefühlen rauscht durch meinen Kopf und ich kann nicht mehr klar denken.

Vor mir steht Caleb, mit traurigem Blick und doch sieht er so wunderschön aus.

because love knows no boundariesWhere stories live. Discover now