Kapitel 5

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Völlig irritiert, mit offenem Mund und geweiteten Augen blicke ich zu Stacey. Woher weiß sie von ihm? Habe ich ihn erwähnt? Nein. Das wüsste ich.
"Schätzchen? Ashton du bist etwas blass. Ist dir nicht gut?" Mum klingt besorgt. Kopfschüttelnd erwache ich aus meiner Starre.
"Er ist ein Freund", sage ich. Woher weiß sie von ihm?
"Von der Arbeit?", fragt Mum interessiert und ich schüttele nur den Kopf.
"Vom Bogenschießen", sage ich viel zu schnell und ohne meine Antwort zu überdenken. Fuck. Ich spüre den Blick von Dad auf mir. Mein Herz klopft heftig in meiner Brust. Warum sag ich ihnen nicht einfach die Wahrheit?

Die Antwort ist ganz einfach. Weil ich ihn nicht verlieren will. Ihn und unsere Blase. Dieses Unbeschwerte und Leichte. Ich habe Angst davor was meine Familie und Freunde davon halten, wenn ich ihnen sage, dass ich seit einem halben Jahr mit einem Fremden schreibe. Und ihm Details über mein Leben erzähle, die noch nicht mal mein bester Freund kennt.

"Du gehst wieder zum Bogenschießen?", fragt Dad und ich höre die Freude in seiner Stimme. Früher haben wir das gemeinsam gemacht. Aber Dad schafft es nicht mehr einen Bogen selbständig zu halten. Geschweige denn die Sehne genug zu dehnen. Daher hat er schweren Herzens damit aufgehört.
"Gelegentlich", sage ich und hoffe, dass mein wild schlagendes Herz nicht zu hören ist. Ich mag es nicht meine Eltern zu belügen und gerade fällt es mir sehr schwer.

"Das ist schön. Vielleicht kannst du Jonathan einmal mitnehmen", sagt er freudestrahlend. Nein. Ganz bestimmt nicht. Ich murmele vor mich hin und knete nervös meine Hände. Sie sind ganz schwitzig. Jonathan legt seine Hand auf meine Schulter und ich seufze.
"Sehr gerne. Nimmst du mich mit?", säuselt er. Ich ertrage das nicht mehr.

"Bitte nicht." Zu meinem Glück versteht er, was ich meine, und lässt mich sofort los. Erleichtert atme ich aus. Um gleich darauf scharf die Luft einzuziehen. Ich funkelte Stacey wütend an. Mein Nachrichtenton für Copperfield ertönte in diesem Moment. Stacey schaut hilfesuchend zu Elijah. Dieser grinst nur.
"Dein Problem Liebes." Ich bin sauer. Sehr sauer. Das hätte ich nicht erwartet. Nicht von Stacey.
"Es tut mir leid Ashton", sagt sie und schiebt mein Telefon über den Tisch. Die rote Lampe blinkt und ich sehe seinen Namen auf dem Display.

Dieser Name verursacht immer ein leichtes Herzstolpern und ist der Verursacher für das Grinsen auf meinem Gesicht. Zwei Nachrichten. Stacey muss mein Telefon im Bad gefunden haben. Und sie hat eine seiner Nachrichten gesehen. Ich bin enttäuscht. Sehr sogar. Auch wenn es mir schwer fällt meine Eltern zu enttäuschen, werde ich jetzt gehen.
"Danke für das Essen Mum", sage ich und drücke sie einmal fest. Dann gehe ich zu Dad und auch ihn umarme ich. Elijah bekommt eine Ghettofaust und Jonathan ein gemurmeltes 'Auf Wiedersehen'.

"Bye Stacey." Irgendwann werde ich mit ihr reden. Aber nicht jetzt. Dad begleitet mich zur Tür. Mit einem Blick der mehr ist als eine bloße Entschuldigung sieht er mich an.
"Sei nicht böse auf deine Schwester", sagt er und ich nicke nur leicht.
"Magst du ihn?" Wieder nicke ich. Ja ich mag ihn.
"Sehr schön. Dann könnt ihr euch mal allein treffen. Ohne deine nervige Familie."
Ich bin verwirrt. Wovon redet er?
"Ich gebe ihm deine Nummer okay?" Jetzt dämmert es mir.
"Nein Dad. Ich meinte nicht Jonathan. Er ist nett. Aber nicht mein Typ. Sorry Dad. Ich geh jetzt. Ich habe dich lieb."

"Oh", sagt Dad und ich sehe die Erkenntnis in seinen Augen aufblitzen. Ich will gerade gehen als er mich zurückhält.
"Lernen wir ihn kennen?", fragt er zögerlich und ich atme einmal tief durch.
"Vielleicht", antworte ich verlegen, gebe Dad einen Kuss auf die Wange und verschwinde in die Dunkelheit und Kälte der Nacht.

Ich verlasse mein Elternhaus und bin froh über den kurzen Fußweg zur nächsten U-Bahn-Station. Es ist kalt, die Luft riecht nach Schnee. Ich schaue in den Himmel, er ist dunkel, schwarz, bedrohlich. Aber kein Schnee, kaum Sterne und eine leichte Brise. Die Kälte klärt meine Gedanken. Ich nehme mir einen Augenblick um die Nachrichten von Copperfield zu lesen.

Hallo mein Hübscher. Ich habe gesehen das du online bist. Aber du hast mir nicht geantwortet. Ist alles in Ordnung zwischen uns?
Copperfield

Ja es ist alles in Ordnung zwischen uns.

RobinHood, wie heißt dein Kater?

Der Chat war geöffnet. Stacey hat also seine erste Nachricht gelesen. Ich sehe das auch er gerade online ist. Aber er schreibt mir nicht. Wartet er darauf das ich ihm schreibe? Vermutlich. Denn er hat mir immerhin eine Frage gestellt. Schnellen Schrittes gehe ich in die U-Bahn. Ich warte auf den Zug und vertreibe mir die Zeit des Wartens mit Schreiben.

Hallo Copperfield.
Church. Mein Kater heißt Church. Und nein, ich habe ihn nicht auf den Stufen einer Kirche gefunden. Er hatte diesen Namen bereits als ich ihn aus dem Tierheim holte. Mir gefällt der Name.

Ich hätte dich gerne dabei beobachtet, wie du sabbernd in diesem Taxi schläfst. Mein Weckdienst wäre sicherlich sanfter ausgefallen. Aber die Vorstellung ist schon niedlich. Das muss dir nicht peinlich sein. Mein bester Freund sagte einmal, dass er nie wieder ein Zelt mit mir teilt. Angeblich schnarche ich. Das kann ich nicht bestätigen. Ich schnarche nicht. Das wüsste ich.

Ich habe eine Überraschung für dich. Warte kurz. Ich hoffe es gefällt dir.
RobinHood

Schnell verschicke ich die Nachricht und sehe das er sie gelesen hat. Ich ziehe das Buch aus meinem Rucksack und mache ein Foto von dem Cover. Der Wolf ist gut zu erkennen und auch die goldenen Augen. Ich hoffe sehr, dass er sich darüber freut. Hitze steigt in meinem Körper auf als ich auf Senden drücke. Es dauert nicht lange und ich erhalte meine Antwort.

Copperfield
Oh mein Gott. Wirklich? Ist es das, was ich denke?

RobinHood
Ja. Das ist es. Ich denke es ist das Buch von der Dame aus dem Zug.

Copperfield
Wie endet es? Zeigst du es mir? Ich werde mir das Buch kaufen. Ganz klar. Aber ich kann nicht mehr länger warten. Wie endet es. Bitte. Zeig es mir. Schickst du mir ein Foto?

Er ist so aufgeregt und freut sich sehr. Ich kenne seine Stimme nicht. Aber schon oft habe ich mir vorgestellt, wie sie klingt. Ist es ein tiefer Bass, voll und männlich? Sonor, klangvoll und weich? Schrill oder nasal? Ich hoffe nicht. Glockenklar und hell? Dunkel, erdig, tief und Schauer auslösend? Ich hoffe es.

Die U-Bahn fährt ein, ich mache schnell ein Foto von der letzten Seite und schicke es an meinen Fremden. Erschöpft lasse ich mich in den Sitz fallen und schließe meine Augen. Nur kurz, nur einen Augenblick. Mein Kopf fällt in den Nacken und ich zucke erschrocken zusammen. Wie peinlich. Bin ich eingeschlafen? Habe ich geschnarcht? Oder gesabbert? Die ältere Dame, welche mir gegenübersitzt, lächelt freundlich. Mein Kopf wird rot, die Wangen glühen. Aber ich lächele freundlich zurück, bevor ich meinen Blick aus dem Fenster richte.

Eine weitere Nachricht von Copperfield kündigt sich an. "Diese Jugend. Nur mit dem Bildschirm beschäftigt", höre ich die Dame sagen und ihr Kichern schallt durch den Wagon. Es klingt warm und nicht anklagend. Eher amüsiert. Wenn sie wüsste. Ich lese jeden Morgen die Zeitung und habe eine riesige bis zum Bersten gefüllte Bücherwand in meinem Wohnzimmer stehen.

Mein lieber RobinHood.
Du rettest mir den Tag. Das ist ein wahrlich schönes Ende. Endlich kann ich wieder ruhiger schlafen. Auch wenn das Bett so allein kalt und leer ist.
Copperfield
P.S. Du hast schöne Hände. Ich wüsste gerne, ob deine Haut so weich ist wie sie aussieht. Und ob die Blässe vom grellen Licht des Kamerablitzes kommt oder zu dir gehört.

Oh mein Gott. Mir entweicht sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Meine Hände? Wie kommt er auf meine Hände? Ich schaue mir das Bild an und schlucke schwer. Die letzte Seite des Buches ist zu sehen. Und meine linke Hand. Fuck. Und ganz offensichtlich flirtet er mit mir.

because love knows no boundariesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt