1/Die ersten Schritte

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5 Monate zuvor

David

Mist! Schon wieder habe ich mich verrechnet. Ich seufze laut auf und kralle die Finger in meine Haare. Meine Augen huschen durch mein Arbeitszimmer, das nach Feierabend und an den Wochenenden auch als Hobbyzimmer genutzt wird. Wie gerne würde ich mich jetzt auf die beige Couch sinken lassen und die X- Box anschmeißen. Stattdessen sitze ich noch immer an ein paar sehr wichtigen Unterlagen für meinen Chef, der diese bis heute Abend erwartet. Im Moment allerdings ist meine Motivation gefühlt bei null. Ein Klopfen an der Zimmertüre lenkt mich für einen weiteren Moment ab. Meine Frau Marina steckt ihren Kopf zur Tür herein. Ich schaue sie lange an, betrachte die hellbraunen Haare, die heute von einer wilden Lockenmähne zu einer langen, glatten Friese gezähmt wurden. Ihre schwarze Brille mit den runden Gläsern, die sie nicht nur als Accessoire trägt, sondern schon seit sie ein Teenager ist, hat sie heute auch nicht auf und ich werde etwas unruhig. Hoffentlich habe ich bei dem ganzen Chaos nicht irgendetwas wichtiges vergessen. Marina gibt sich nur zu bestimmten Anlässen die Mühe ihre Locken zu bändigen. 

Oh nein... Hoffentlich ist es nicht der Hochzeitstag. Schon letztes Jahr habe ich ihn versäumt, was sie mir aber nicht wirklich übel genommen hat, weil wir frischgebackene Eltern waren und auch sie ganz anderes im Kopf hatte. Das hat sie zumindest behauptet, aber ich denke die ganze Wahrheit war das nicht. Künftig muss ich mich mehr anstrengen und das hier riecht nach Drama. Ich werfe einen schnellen Blick auf den Kalender.

Marina scheint meine Unruhe zu spüren.

"Heute ist weder unser Hochzeitstag, noch mein Geburtstag", lacht sie und kommt mir jetzt entgegen. Ich stehe von meinem Schreibtischstuhl auf, gehe um den Schreibtisch herum und nehme sie zur Begrüßung in den Arm.

"Gott sei Dank", murmele ich, während meine Nase in ihrem langen Haar liegt. Marina riecht heute wieder toll. „Also nicht falsch verstehen. Ich feiere den Tag unserer Hochzeit sehr gerne mit dir. Immerhin war das der schönste Tag in meinem Leben, dicht gefolgt von Jannes' Geburt natürlich." Ich drücke ihr einen Kuss auf die Lippen und lasse meine rechte Hand langsam ihren Rücken hinuntergleiten. Marina gibt einen leisen Seufzer von sich und ich verstärke meinen Handgriff um ihre Hüfte. "Du bist so sexy, Süße".

"Ich glaube ich habe Jannes gehört", sagt sie atemlos und löst ihre Lippen von meinen. Seit der Geburt unseres Sohnes ist dieser eine Satz aus ihrem Mund Fluch und Segen zugleich. Mit Baby ist es schwierig intim miteinander zu sein. Ein paar alte Schulfreunde die schon länger Papa sind, haben mir das vor Jannes' Geburt so oft eingebläut, es zumindest versucht. Wahrscheinlich meinten sie es damals als Warnung, aber ich habe ihnen sowieso nicht geglaubt und alles mit einem Schulterzucken und einer Handbewegung abgetan. Manche Dinge muss man einfach selbst erleben, um zu realisieren, dass es tatsächlich die bittere Wahrheit ist.

Ich würde so gerne viel mehr machen, als meine Frau nur zu küssen, aber ihr Einwand ist auch mir mehr als recht. Ich muss mich auf die Arbeit konzentrieren und das schaffe ich nicht mehr, wenn wir erst anfangen unsere Körper zu erkunden.

Tatsächlich ist es unser Kleiner, der nur einige Sekunden später ins Arbeitszimmer gelaufen kommt. Er hebt sich noch an der Hand meines Vaters, ist aber mittlerweile schon selbstsicherer geworden und läuft auch kleine Strecken schon ganz alleine. Marina und ich waren ziemlich unsicher, weil Jannes so gut wie nie gekrabbelt ist und gleich mit dem Laufen beginnen wollte. Auch hier ist er mit seinen fünfzehn Monaten ziemlich spät dran, aber Papa hat uns grünes Licht gegeben und erklärt, dass jedes Kind eben anders ist. Dafür hat unser Kleiner schon mit zarten vier Monaten seine ersten Zähnchen bekommen. Ich hoffe doch, dass Marina und ich bei unserem nächsten Baby, das wir uns beide unbedingt wünschen, etwas entspannter an alles herangehen...

Im Moment allerdings könnte ich vor Stolz platzen.

Jannes lässt Papas Hand los und läuft die letzten Schritte ganz alleine, ehe er sich gegen meine Beine lehnt, an meiner Jogginghose zieht und zu mir aufschaut.

„Dadda", sagt er und streckt die Arme in die Luft, ehe er leicht zu Wanken beginnt und sich wieder an meinem Bein festkrallt. Ich nehme meinen Sohn auf den Arm und er visiert sofort meine Brille, die ich immer während dem Arbeiten trage, an.

"Bald läuft Jannes uns allen davon", meint mein Vater. Ich gebe ihm einen Klaps auf die Schulter, um ihn zu begrüßen. Seine grauen Augen treffen meine blauen. Irgendwas liegt darin, ich kann es aber nicht deuten und wende mich wieder Marina zu. Ich überreiche ihr Jannes, gebe meinem Kleinen dann einen Kuss auf die Wange. Er zappelt wie wild mit beiden Füßen und quengelt ein bisschen, dass er wieder auf meinen Arm will. Ich fahre ihm sanft durch den hellblonden Schopf und sage: "Papa muss noch ein bisschen arbeiten."

"Mach aber nicht zu lange", mahnt mein Vater mich. „Heute Abend ist doch das Essen, an dem ich euch meine neue Freundin vorstellen will. Hoffentlich ziehst du dir dazu eine andere Hose an."

Wir brechen in schallendes Gelächter aus. Im Homeoffice habe ich immer ein Hemd an, spare mir aber die Anzugshose, weil niemand dieses kleine Detail durch den Computer sieht.

„Ich glaube das schaffe ich."

Innerlich seufze ich auf. Es ist schon die dritte Freundin in drei Jahren, die Papa Marina und mir vorstellen will.

Dazu muss ich allerdings sagen, dass mein Papa seit meinem neunten Lebensjahr keine andere Frau ins Haus brachte, nachdem Mama uns in einer Nacht und Nebel Aktion einfach verlassen hat. Ich glaube er hatte einfach mit der Trennung von Mama und der Tatsache zu kämpfen, dass er von jetzt auf nachher alleinerziehend war. Ich habe ihm nie geglaubt, als er die Ausrede ins Spiel gebracht hat, dass ich doch sowieso keine andere Frau als meine neue Mutter akzeptieren würde.

Das hätte ich wohl tatsächlich nie getan...

Jetzt wo ich selbst erwachsen bin und eine eigene Familie habe, scheint Papa wieder aufzublühen. Das einzige Problem an seinen Freundinnen ist, dass sie kaum älter sind als ich. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Frauen dasselbe Ziel vor Augen haben wie mein Vater. Ich wünsche ihm das Glück von ganzem Herzen, immerhin hat er so viele Jahre darauf verzichtet.

Hoffentlich ist sie endlich die Richtige!

In Your ArmsWhere stories live. Discover now