Das schwere Herz

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David

Seit gestern Nacht ist Marina nicht mehr zu Hause aufgetaucht, zwar hatte ich gehofft, dass sie heute Morgen wieder zurück kommt, aber das ist sie nicht. Papa hat mich heute Morgen ziemlich früh angerufen, wirklich geschlafen habe ich diese Nacht wieder nicht, also war mir das egal. Es hat mir einen Stich im Herzen versetzt, als er mir erzählt hat, dass Marina, Vanessa und ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt hat, weil sie Jannes abholen wollte. Natürlich wollte Papa alles wissen, was letzte Nacht passiert ist, aber ich konnte es ihm noch nicht erzählen und habe ihn auf den Nachmittag vertröstet.

Schnell schlinge ich etwas Müsli in mich hinein, dann mache ich mich im rasenden Tempo im Badezimmer fertig, ignoriere die Tatsache, dass meine Haare zu allen Seiten abstehen und ich dunkle Ringe unter meinen erschöpften Augen habe. Hektisch renne ich die Treppe in den Eingangsflur hinunter und greife nach dem Autoschlüssel, der in einer kleinen Schale auf der Kommode im Flur liegt.

Gerade habe ich nur ein einziges Ziel-

Als das Auto nach einer gut zwanzigminütigen Fahrt vor dem Haus meiner Schwiegereltern zum Stehen kommt, bleibe ich noch eine Minute im Auto sitzen und hole tief Luft. Ich weiß, dass Marina und Jannes hier sind. Und ich hoffe so sehr, dass ich Marina dazu bewegen kann, wieder mit nach Hause zu kommen. Nervös drücke ich auf die Klingel und warte ab. Selina, Marinas Mutter öffnet mir die Tür. Ich hatte noch nie ein sonderlich gutes Verhältnis zu meiner Schwiegermutter und das beruht auf Gegenseitigkeit. Sie trägt wie eh und je ihre langen, braunen Haare zu einem strengen Dutt gebunden, das spitzige Gesicht mündet in einem langen Hals, fast so wie bei Tante Petunia aus Harry Potter.

" Marina will nicht mit dir reden, David", säuselt Selina gleich los. Ich hatte nicht mal die Chance etwas zu sagen, wie immer kommt sie mir zuvor und ich sehe ein triumphierendes Glänzen in ihren braunen Augen, die denen von Marina zum Verwechseln ähnlich sehen.

„Hat sie das selbst entschieden?", presse ich so freundlich, wie ich es kann, heraus.

Ich verbessere mich. Ich komme nicht nur sehr schlecht mit meiner Schwiegermutter aus, ich verabscheue sie schon fast. Eigentlich ziemlich fies von mir, aber diese Frau ist ja keinen Deut besser.

„Natürlich hat sie das selbst entschieden..", meint Selina jetzt ungeduldiger. Zur Bestätigung beginnt sie leicht mit ihren Füßen zu scharren, als wolle sie mich, wie den Dreck unter ihren Füßen, wegkicken. „ Ich möchte, dass du jetzt gehst, David".

Ich gebe mich geschlagen. Gegen Selina habe ich sowieso keine Chance. Ich weiß, dass Selina seit Jahren hofft, dass ich Marina verlasse, am liebsten wäre es dieser Frau gewesen, wenn ich ihre Tochter niemals geheiratet hätte und ihr nie ein Kind geschenkt hätte. Für Selina bin ich nur der Junge, der ohne Mutter aufgewachsen ist und somit keine richtige Erziehung abbekommen habe. Schnaubend haut Selina die Haustüre vor meiner Nase zu und ich bleibe für einen Moment stehen, ehe ich mit wackligen Beinen zurück zum Auto laufe. Ich brauche jetzt dringend jemanden, mit dem ich reden kann, sonst platze ich bald-

Ich habe zwar einen besten Kumpel, der wohnt aber seit wir mit dem Abi fertig sind ein paar hundert Kilometer von hier entfernt, also erhoffe ich den Beistand von Papa. Klar ist dieser zuhause, zwar bin ich früher dran als geplant, aber Papa arbeitet nur noch zwei Tage in der Woche und ist somit fast immer zuhause, außer er ist mit Vanessa unterwegs und das ist in letzter Zeit häufiger der Fall. Ich bin froh, als er mich an der Haustüre empfängt, aber irgendwie ist er ziemlich neben der Spur. Komisch, eigentlich ist Papa immer total relaxt, irgendwas scheint ihm heute über die Leber gelaufen zu sein. Hoffentlich hat es nichts mit Vanessa zu tun-

Als Papa mich stillschweigend in sein geräumiges Wohnzimmer geführt hat, traue ich kaum meinen Augen. Jemand sitzt auf dem großen, beigefarbenen Sofa, das mittig im Wohnzimmer seinen Platz hat. Es ist definitiv nicht Vanessa. Vorsichtig wage ich mich ein paar Schritte näher in die Richtung dieser Person, ich muss wissen, ob ich meinen Augen trauen kann oder nicht. Erst sehe ich blonde, strähnige Haare, die zu einem simplen Pferdeschwanz gebunden wurden, dann eine eher krumme Nase, die wässrigen, blaugrauen Augen und schließlich die schmalen Lippen, die die Person sich immer wieder mit der Zunge befeuchtet, weil sie furchtbar trocken sind.

„Mama?", kommt es mir schließlich unsicher über die Lippen. Sie hat sich in all den Jahren, seit sie Papa und mich verlassen hat, kaum verändert. Ein wenig älter ist sie geworden, aber das Alter macht vor keinem Halt. Was macht sie hier, frage ich mich im Stillen und versuche Blickkontakt zu Papa aufzunehmen. Er bemerkt mich nicht. Er tut wahnsinnig beschäftigt, kramt immer wieder in irgendeiner Schublade vom Wohnzimmerschrank herum, als würde er etwas suchen.

„David", meint Mama. Ich erschaudere für einen kurzen Moment, weil ich ihre Stimme so lange nicht mehr gehört habe und sie trotzdem noch immer die gleiche, vertraute Stimme ist, derer ich als Kind immer so gerne zugehört habe. Gerade fühle ich so viel, mein Herz ist so verdammt schwer. Warum muss Mama gerade jetzt auftauchen? Ich will das hier gerade nicht, ich will einfach nur, dass Papa mich hält, so wie er es immer getan hat, wenn es mir schlecht ging.

„Was willst du von uns?", presse ich hervor. Ich halte es keine Sekunde länger mehr aus mit ihr in einem Raum zu sein, nach allem was sie uns angetan hat. Sie soll wieder verschwinden. Das kann sie schließlich am besten.

„Die Zwillingsmädchen wollen ihren großen Bruder kennenlernen". Ihre Stimme ist jetzt leise und nicht mehr warm, nein sie ist monoton und klingt schon fast gleichgültig. Oder bilde ich mir das nur ein?

Papa kramt noch immer in den Schubladen herum, für einen Moment hält er inne und ich könnte schwören, dass ich Tränen in seinem Gesicht sehe. Mein Herz läuft über, wie ein volles Fass, dem trotzdem weiter Wasser zugegossen wird. Ich schreie meine Mutter an, keine Ahnung welche Wörter dabei meinen Mund verlassen. Ihr Gesicht wird kreidebleich, irgendwie tut es mir leid, aber irgendwie fühle ich gerade auch gar nichts mehr. Sie hat es nicht verdient, dass ich wegen ihr weine, warum stolpern dann die Tränen über meine Wangen?

Warum kommt Mama gerade jetzt? Warum kommt sie überhaupt? Ich flüchte in Papas Küche, krame in der Schublade, in der er immer eine oder zwei Flaschen Wein lagert, schnappe mir eine davon und stürme aus dem Haus. Ich komme nicht weit, da prallt mein Körper gegen einen anderen und wir stürzen beide zu Boden. Ich murmele ein schnelles „Sorry" zu der anderen Person, will gerade weitergehen, als ich Vanessas vertraute Stimme höre.

„Ich denke wir sollten ein bisschen feiern gehen, David. Ich kenne da eine richtig gute Bar".

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