19/Ganz bestimmte Erinnerungen

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David

Die Nacht war wieder sehr unruhig. Obwohl ich sogar eine halbe Schlaftablette genommen habe, um mich endlich wieder etwas auszuschlafen, bin ich ständig aufgewacht. Jedes noch so kleine Geräusch, das entweder von draußen kam oder von den Elektronikgeräten im Haus, haben mich aufgeschreckt. Außerdem war ich mit meinen Gedanken ständig bei Marina und Jannes. Ich habe meinen kleinen Jungen eine Ewigkeit nicht gesehen und das zerreißt mir beinahe das Herz.

Als der Wecker klingelt, bin ich gerade dabei ein Video von meinem Sohn anzuschauen. Jannes spielt im Sand und brabbelt dabei ständig vor sich hin. Am schönsten ist sein Kinderlachen, das noch frei von Kummer und Sorgen ist. Es ist das reinste und unschuldigste, das ich je gehört habe und am liebsten würde ich es den ganzen Tag lauschen.

Die Sehnsucht nach meinem kleinen Jungen und meiner Frau steigt ins Unermessliche. Dieses Haus ist nichts ohne die beiden. Ich erinnere mich an den Tag, als Marina und ich es uns angeschaut haben. Ihr Babybauch war zwar noch nicht sichtbar, sie aber damals schon mit Jannes schwanger. Es muss für sie furchtbar stressig gewesen sein, als der Umzug stattgefunden hat. Aber ihre Augen haben gestrahlt, als wir das erste Mal in unserem eigenen Heim zu Abend gegessen haben. Jedes erste Mal in unserem eigenen Reich war etwas ganz Besonderes.

Ich muss ihr unbedingt wieder neue Erinnerungen schaffen. Damit sie nicht ständig an die Fehlgeburt erinnert wird.

Und auch für mich...

Ich schüttele mich, um die Gedanken zu vertreiben. Es geht Schritt für Schritt. Bisher habe ich nicht einmal die leiseste Ahnung ob Marina überhaupt noch einmal nach Hause kommen wird...

Nach dem Homeoffice steht mir das Gespräch mit Mama bevor, das ich noch gestern Abend mit ihr ausgemacht habe. Eigentlich ist mir gerade alles zu viel und ich würde es am liebsten sausen lassen, aber Papa schien es sehr wichtig. Trotzdem habe ich irgendwie ein komisches Gefühl, wenn ich nur daran denke.

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„Schön hast du es hier, David", sagt Mama am Nachmittag, als sie vor dem Wohnzimmerschrank steht und das Bild von Jannes und mir betrachtet, das an seinem ersten Geburtstag von Papa aufgenommen wurde. Mein Kleiner strahlt förmlich in die Kamera und ich glaube, dass auch ich ziemlich glücklich darauf aussehe.

„Danke", sage ich leise.

„David...", beginnt meine Mutter, unterbricht sich aber wieder. Wie verloren steht sie in meinem Wohnzimmer.

„Setz dich doch, Mama", schlage ich vor und deute auf die Couch. „Magst du etwas trinken? Ein Wasser? Etwas Saft oder doch lieber ein Bier?"

„Wenn dann nur Wasser", meint sie und lächelt mich an.

Ich glaube ich brauche ein Bier!

Es war mir klar, dass es nicht einfach werden wird, aber dieser Graben zwischen meiner Mutter und mir scheint noch tiefer, als der zu meiner Frau.

„Papa meinte, dass ich unbedingt mit dir sprechen soll." Ich stelle Mama eine Flasche Wasser und ein Glas auf den Wohnzimmertisch und setze mich dann ihr gegenüber auf den Sessel. "Ich will das natürlich auch. Ich weiß nur nicht..."

„Es tut mir leid, dass es in deinem Leben im Moment drunter und drüber zu gehen scheint", unterbricht sie mich und nimmt dann einen großen Schluck Wasser. „Ich habe mir wohl den denkbar ungünstigsten Moment ausgesucht, um wieder in dein Leben zu treten...David, ich... Ich weiß einfach nicht, wie ich anfangen soll." Hilflos starrt sie mich an. Vielleicht wünscht sie sich, dass ich die Partei ergreife, aber gerade ist mein Kopf einfach nur leer.

In Your Arms (Band 1)Où les histoires vivent. Découvrez maintenant