Der eine Fehler!

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Marina

Ich liege auf dem Schlafsofa in meinem alten Zimmer. Mama und Papa haben mein altes Zimmer fast so gelassen, wie es früher gewesen war, nur mein altes Bett haben sie gegen ein deutlich bequemeres Schlafsofa ausgetauscht. Normalerweise haben Schlafsofas ja den Ruf, dass sie eher unbequem sind, aber bei diesem trifft das definitiv nicht zu.

Jannes liegt in dem Reisebett, in dem schon meine Nichte Kristina geschlafen hat, als sie noch ein Kleinkind war. Mein Bruder Samuel, ist neunundzwanzig Jahre alt, somit vier Jahre älter als ich und wurde mit dreiundzwanzig ungeplant Vater. Natürlich hat Mama sofort darauf bestanden, dass er Alina, Kristinas Mutter heiraten soll. Nur zu blöd, dass die Ehe der beiden nur zwei Jahre gehalten hat. Kristina wächst zwar bei ihrer Mutter auf, aber Samu hat trotzdem das Recht seine Tochter zu besuchen.

Mama ist speziell. Sie war schon immer darauf aus, dass aus Samu und mir mal was anständiges wird. Unsere ganze Kindheit bestand aus Lernen, soweit ich mich zumindest erinnern kann. Ich habe irgendwann dem Druck nicht mehr standgehalten und bin vom Gymnasium auf die Realschule gewechselt. Ich glaube Mama war etwas enttäuscht, aber Papa hat sich für mich eingesetzt und Mama klar gemacht, dass man auch mit einem Realschulabschluss etwas im Leben erreichen kann.

Ich weiß genau, dass Mama David nicht ausstehen kann, er passt nicht in ihre perfekte Welt. Der Junge, der ohne Mutter großgeworden ist, so nennt sie ihn immer. Dabei ist David viel besser erzogen und trägt viel mehr Werte in sich, als manch andere ach so tolle Schnösel, die mit ihrem perfekten Leben prahlen, aber sonst nichts vorzuweisen haben.

Das Mama sich sowieso nur was vormacht und ihre Kinder auch nicht perfekt geworden sind, zeigt sich laut ihr, leider immer wieder an Samu. Er bekommt seit der Scheidung mit Alina immer wieder die Enttäuschung von Mama ab. Dabei ist Samu großartig, so wie er ist. Er war Jahrgangsbester beim Abitur, hat sich später mit einer Ausbildung in einer Kanzlei einen Namen gemacht und ist gerade dabei über einen Fernkurs zu studieren, damit er in ferner Zukunft seine eigene Kanzlei aufmachen kann. Aber all das sieht Mama nicht, sie sieht nur den einen Fehler den er gemacht hat, als er vor sieben Jahren das Kondom vergessen hat-

Und mich behandelt Mama wie eine Göttin, dabei bin ich alles andere als perfekt. Ich hasse es, dass sie mich so in den Mittelpunkt stellt. Ich bin ihrer Tochter und ich liebe sie, ich liebe sie wirklich sehr, aber sie ist eine wirklich anstrengende Person. Papa dagegen ist der Ruhepol, der die Familie zusammenhält.

Ich schiele zu Jannes. Wie sehr ich ihn liebe, wie sehr ich seinen Papa liebe. Selbst jetzt vermisse ich David schrecklich, ich wünsche mich einfach nur in seine warmen Arme, will seine warmen Lippen auf meinem Hals spüren, sein fröhliches Lachen, wenn er mit Jannes spielt- 

Mir entfährt ein Schluchzer, schnell unterdrücke ich ihn, weil ich nicht will, dass Jannes wieder wach wird. Der Kleine hat den ganzen Nachmittag nach seinem Papa gefragt und war furchtbar nörgelig. Ich kann es ihm nicht verübeln. Mir geht es ja auch nicht anders. Ich habe David furchtbar weh getan, tief im Inneren weiß ich genau, dass er das Baby genauso verloren hat wie ich. Er fühlt den selben Schmerz in seinem Herzen und ich bin so egoistisch und ignoriere seine Gefühle, nein ich streue noch zusätzlich Salz in seine offenen Wunden. Die Tränen rinnen mir über das Gesicht und ich schluchze leise in mein Kissen. Alles in mir schreit nach David, ich will einfach nach Hause, aber ich kann nicht unser Badezimmer betreten, ohne an den Verlust meines Babys zu denken, ich kann nicht ins Schlafzimmer, weil dort der Schmerz genauso verankert ist. Mein ganzes Haus ist voller Erinnerung an den Schmerz in meinem Herzen. Ich brauche einfach den Abstand, um ein wenig Luft zu holen, um die Erinnerung für ein paar Minuten verdrängen zu können- Leider gelingt mir das noch nicht sonderlich gut.

Trotzdem raffe ich mich zu einem ersten Schritt auf und wähle mit meinem Handy Davids Nummer. Nervös kaue ich auf meinem Fingernagel herum, während ich darauf warte, dass er abhebt, aber außer dem Tut-Tut Signal passiert nichts , ehe schließlich die Mailbox antwortet. Vielleicht schläft er ja auch schon, denke ich im Stillen, also tippe ich ihm eine WhatsApp.

„David,

Ich weiß, wie sehr ich dir wehgetan habe...

Auch von deinem missglückten Besuch heute Morgen mich zu sehen.. Du kennst meine Mama ja..

Aber ich will nicht über Mama reden..

Ich kann noch nicht nach Hause zurück, ich hoffe du kannst das verstehen...

Aber ich muss dir sagen, dass ich es in den nächsten Tagen immer wieder versuchen werde..

Ich will, dass du Jannes wieder sehen kannst, er frägt ständig nach dir..

Und ich will, dass wir über alles reden..

Ich werde es zumindest versuchen..

Bitte glaube mir, dass ich es versuchen werde."

In Your ArmsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt