2/Die Midlife-Crisis

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David

Schon seit einer Stunde sitze ich jetzt mit Papa und seiner Neuen im Restaurant. Marina hat uns ziemlich schnell wieder verlassen, weil das Nachbarmädchen, die heute Abend auf Jannes aufpasst, ziemlich aufgewühlt und halb den Tränen nahe angerufen hat, weil mein Sohn fiebrig ist und nicht mehr aufhört zu schreien. Natürlich habe ich es Marina überlassen nach Hause zu Jannes zu gehen, aber am liebsten hätte ich sie begleitet, damit wir uns gemeinsam um unseren Sohn kümmern können. Meine Frau hat aber darauf bestanden, dass ich bei Papa und Vanessa bleibe, wie sich die neue Freundin meines Vaters zum Anfang des Abendessens bei uns vorgestellt hat. Mit meinen Gedanken bin ich bei meinen beiden Lieblingsmenschen und höre Paps nur halbherzig zu, der schon seit Minuten versucht mich in ein Gespräch zu verwickeln. Die Situation ist wirklich seltsam für mich, was ich ihm gegenüber aber nie erwähnen würde. Am liebsten würde auch ich nach Hause gehen...

"Tschuldige, Paps", meine ich schließlich und versuche mich ihm zuliebe wirklich auf diesen Abend einzulassen. Mein Papa hat mir als Kind immer jeden Wunsch erfüllt und mich nie mutterlos fühlen lassen, wobei ich viele Nächte heimlich geweint habe, weil ich mir sehnlichst gewünscht habe, dass Mama zu uns zurück kommt. Das tat sie nur nie. Vor ein paar Jahren hat Papa mir dann erzählt, dass sie einen neuen Mann und zwei kleine Zwillingsmädchen hat. Seit diesem Tag habe ich akzeptiert, dass Mama meine Tränen nicht wert ist und Papa alles ist, was ich brauche. Aber diese Gedanken haben heute Abend keinen Platz und schnell verdränge ich sie wieder.

Während Papa irgendwas über das Kennenlernen mit Vanessa erzählt, schaue ich unauffällig zu ihr hinüber. Lange blonde Haare und blaue Augen. Irgendwie wie eine Barbie oder ein Zeitschriftenmodel. Obwohl sie nicht zu dünn ist und somit keinem Schönheitsideal nachzueifern scheint. Es passt soweit ich es beurteilen kann alles und sie hat dort weibliche Kurven, wo eine Frau diese haben sollte. Leider trägt sie meiner Meinung nach viel zu viel Make-Up in ihrem Gesicht, mal ganz abgesehen von dem grellpinken Lippenstift, den sie auf ihren Schlauchbootlippen aufgetragen hat. Mein Typ ist sie definitiv nicht, auch wenn ich nicht leugnen kann, dass sie eine super Figur hat und sehr hübsch ist. Ich wünsche mir nur, dass Papa in ihr das findet, was er seit Mama nicht mehr hatte. Ich bin mir mittlerweile mehr als sicher, dass Papa sich inmitten einer Midlife-Crisis befindet und Vanessa sein nächstes Opfer ist. Genau wie ihre beiden Vorgängerinnen ist sie nämlich sehr viel jünger als Papa und könnte mit ihren zarten fünfundzwanzig Jahren meine kleine Schwester sein. Hoffentlich kommen Papa und sie nicht auf die bescheuerte Idee zu heiraten. Ich bin nicht scharf darauf, dass meine Stiefmutter jünger ist als ich selbst und schon gar nicht auf mögliche Brüder oder Schwestern, die aus dieser Beziehung hervorgehen könnten...

Als ich etwas nach Mitternacht endlich zuhause ankomme, fühle ich mich gleich besser. Dieser Abend war sehr merkwürdig, aber auch anstrengend für mich. Ich muss mich erstmal von der Tatsache erholen, dass mein Vater anscheinend gerade seinen zweiten Frühling auslebt.

Marina und Jannes liegen dicht aneinandergeschmiegt in unserem Ehebett und mir geht das Herz auf. Meine kleine Familie bedeutet mir alles und alleine der Gedanke sie verlieren zu können macht mir Bauchschmerzen. Trotz Paps ganzer Liebe und Fürsorge nach Mamas Weggang hat mir in meinem Leben immer etwas gefehlt. Und Marinas Liebe hat mich wieder komplett gemacht. Von Jannes' Geburt ganz zu schweigen. Ich kann den Moment, als ich ihn das erste Mal in Marinas Armen gesehen habe auch heute noch nicht in Worte fassen. Ich war glücklich, wollte trotzdem heulen und gar nicht mehr damit aufhören und gleichzeitig bin ich vor Stolz fast geplatzt und habe tagelang jedem von seiner Geburt erzählt, auch wenn es nur der Kassierer im Supermarkt war. Schnell entledige ich mich meinen Klamotten und schlüpfe nur in Boxershort unter die Bettdecke. Marina wird durch meine Bewegungen wach, sie dreht sich mit dem Gesicht zu mir und schaut mir mit ihren braunen Augen direkt in meine Seele.

„Wie geht es dem Kleinen?", wispere ich.

„Er zahnt", murmelt sie erschöpft. „Eine gefühlte Ewigkeit hat er geschrien. Ich glaube es ist noch keine halbe Stunde her, seit er endlich eingeschlafen ist. Wie war der Abend noch?"

„Es war anstrengend", flüstere ich und streichele ihr sanft über die Wange. „Lass uns morgen darüber reden. Schlaf weiter, meine Süße. Ich liebe dich."

„Ich liebe dich, David." Vorsichtig dreht sie sich wieder, so dass ich meinen Bauch an ihren Rücken schmiegen kann. Ich hauche ihr einen Kuss ins Haar und strecke mich dann etwas, um meinen Jungen zu streicheln.

Selig schließe auch ich die Augen und warte bis der Schlaf mich einholt.

In Your ArmsWhere stories live. Discover now