2 - Neugier

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Er sah, wie die blauen Augen des Mädchens einen verunsicherten Ausdruck annahmen, ehe sie zu ihm huschten und sich ihr Kinn trotzig vorschob. Was er nicht verstand. Er kramte in seinem Gedächtnis, ob sie sich schon mal begegnet waren und vertiefte sich in seine Betrachtungen. Sie hatte langes blondes Haar, das sie zu einem Zopf gebunden hatte. Das gab den Blick auf einen länglichen Hals und leicht abstehende Ohren frei, was ihre feinen Gesichtszüge nur interessanter machte.

Unbekannt, aber reizvoll, urteilte er und musterte sie weiter. Sie war wenig weiblich und schlank. Was sie noch betonte, indem sie weite Jeans und ein enges Oberteil mit langen Ärmeln trug. Ihre Hände hatte sie jetzt in die Hosentaschen gesteckt und sie wich seinem forschenden Blick aus. Obwohl er immer wieder zu mir wandert. Wieso ist darin Angst gepaart mit Abscheu?

Automatisch unterdrückte er sein Schulterzucken und biss sich auf die Zunge, um ein Seufzen zu ersticken. Er hatte eine Aufgabe von Frau Lothar bekommen und der würde er nachkommen. Egal, wie störrisch dieses Mädchen wirkte. „Ok, zeige ich dir das Heim. Hier das Büro von Frau Lothar, denkst du dir bestimmt. Diese Tier für Kleiderkammer. Hat auf am Montag, Mittwoch und Freitag, die ersten beide Tage vormittags, letzter Tag nachmittags. Kommt dann Freiwilliger und hilft Frau Lothar."

Er bemerkte, wie Eva ein leichtes Nicken andeutete und ihre Augen mit einem Hauch von Interesse aufleuchteten. „Daneben ist eine klein Kieche für Bewohner, für Bewohner, die kommen neu. Wenn sie in Nacht gebracht werden, schlafen sie die erst Nacht in diesen Raum, bevor sie bekommen Simmer, damit sie steren nicht andere. Da ist auch kleine Dusche und Toilett für Neue. Ist meistens hier alles abgeschlossen. Wenn kommen Neue, Frau Lothar kommt zum Aufnehmen. Ach ja, ist neben Kleiderkammer noch Lager mit Decke, Kissen, Bettwesch, Handtiecher, Notration von Seif, Zahnbierst und Pasta. In klein, weil haben sie meistens nichts. Außer Klamotten, die sie anhaben. Gibt für Baby auch Nahrung, Windel und Tücher. Alles, was netig."

Ihr Kinn war weiterhin trotzig vorgeschoben und ihre Miene war weiter verschlossen, doch sie nickte erneut. Er bemerkte, wie sie die Wandfarbe musterte und erinnerte sich, dass es Zeit wurde, dass er strich. Aber noch fehlte ihm die Farbe dazu. Jetzt blieb ihr Blick an den Fliesen hängen, die wirklich nicht mehr als sauber zu bezeichnen waren. Ihm fiel das nicht so auf. Diesem Mädchen schon, das sah er deutlich an ihrer verkniffenen Mimik. Vielleicht konnte er die anderen überreden, hier mal zu putzen? Das war schließlich ihre Aufgabe und nicht die der Freiwilligen.

„Ist alles hier. Gehen wir ein Stock heher. Da leben die Familien. Oft Mamas mit Kindern. Papas kommen oft nicht mit nach Deutschland. Meistens, weil sind tot, manchmal, weil war su teuer. Schlepper wollen viel Geld für Bringen über Meer." Er ging an ihr vorbei und nahm den sachten Minze-Geruch ihres Haares wahr, während er sich wunderte, dass sie erneut vor ihm zurückwich. Dennoch setzte sie sich in Bewegung und folgte ihm die Treppe hinauf.

„Wie alt bist du?" Er bemerkte den misstrauischen Ausdruck im Augenwinkel, der sich sofort auf ihrem Gesicht bildete und zwang sich, seine Augen auf die Stufen vor sich zu richten. Das Brennen zwischen seinen Schultern ignorierte er, das ihr Blick dort bewirkte. Ein Schauer rieselte seinen Rücken hinunter, während sich Bilder in seinem Kopf einnisteten, die er rasch verscheuchte. Ablehnung war ihm nicht fremd.

„Wüsste nicht, wieso das etwas zur Sache tut." Betont gleichmütig anhand ihres harschen Tons zuckte er mit den Schultern und stieg scheinbar ungerührt weiter die Stufen hinauf.

„Nichs. Wollte ich machen Small-Talk, wie gehert sich. Miessen wir nicht." Er erreichte den Treppenabsatz und wartete, bis Eva neben ihm stand. Fasziniert beobachtete er, wie ihre Mimik von Unmut zu leichtem Interesse wechselte. „Hier ist Teil, wo spielt Leben. Seig ich dir, wenn trinken wir Kaffee. Hier findet man das Spielzimmer für Kinder, den Fernsehraum, die groß Kieche und der Gemeinschaftsraum. Manchmal kocht jeder für sich, oft kochen paar zusammen. Einmal ist ein Gemeinschaftsessen in der Woche. Ist immer alles freiwillig. Muss keiner. Aber wenn kommen alle, freut sich Frau Lothar. Sterkt die Gemeinschaft."

„Das heißt, ICH wollte Small-Talk machen. Das Subjekt muss vor das Prädikat."

Er runzelte die Stirn und zuckte fast amüsiert mit den Schultern, nachdem er sich gefasst hatte. „Ok, danke für den Hinweis. Lern ich noch. Deutsch ist eine schwer Sprach, wenn man denkt Arabisch. Viele Dings. Werter und Regeln, die kennt man nicht. Dauert ein bisschen. In Gemeinschaftsraum haben wir Unterricht. Um lernen besser zu sprechen. Wir lesen, schreiben und ieben."

Er wusste nicht wieso, aber es war ihm wirklich wichtig, dass sie verstand. Sie musste einfach begreifen, dass er nicht so schlecht war, wie sie offenbar annahm. „Falls sind Deutsche da, reden die meisten so. Um zu ieben. Niemand will schlechtes Gefiehl wecken. Frau Lothar sagt, wenn reden wir hiesig Sprache, fellt es uns auch leichter immer mehr."

Eva wirkte, als würde sie das Gesagte nicht glauben können und wich seinem Blick erneut aus. Sofort begannen seine Hände zu zittern und er unterdrückte den Impuls, seine Finger auf ihren Arm zu legen. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie das nicht wollte.

„Frau Lothar ist eine gute Leitung von Heim. Seit sie ist da, ist alles besser. Vorher war nicht so gut. Gab oft Erger zwischen Bewohner. Jetzt sterkt sie die Gemeinschaft. Am Vormittag lernen die Erwachsenen, die mechten. Am Nachmittag helfen wir den Kinder mit Aufgaben und dann hilft auch Frau Lothar. Sie sagt, ist wichtig für Schule und das stimmt."

Ihm fiel auf, dass Evas Blick augenblicklich zu ihm zurückgeflogen war, nachdem er die Kinder erwähnt hatte, und konnte sich nicht erklären, wieso er sich darüber freute. Er nahm jedoch das leichte Interesse wahr, das in ihren Augen aufglomm. „Es war schwer ohne Wissen über die Wierter. Deswegen helfen wir alle, um es leichtermachen den Kinder. Haben genug schwere Seiten erlebt."

Wieder leuchtete ihm eine Mischung aus Neugier und Misstrauen aus ihrem Gesicht entgegen und das rührte ihn auf eigentümliche Art und Weise. Darum beeilte er sich, den Raum zu verlassen. Das Brennen an seinem Rücken verriet ihm, dass Eva ihm wieder folgte. „Ok. Da hinten sind die Simmer von den Familien mit großen Bedern und neben dran sind Toiletten für Menner und Frauen. Willst du sehen ein Zimmer, wo wir wohnen?" Er drehte sich beiläufig um und erhaschte noch ihr Kopfnicken, also wandte er sich erneut Richtung Treppenhaus. Eva trottete wieder schweigend neben ihm her und er merkte, dass er immer neugieriger auf dieses Mädchen wurde. „Du nicht redest viel."

„Du dafür umso mehr. Und komplett falsch. Gerade so, dass ich erfassen kann, was du da schwafelst..." Jetzt zuckte er doch zusammen. Offenbar waren seine Bemühungen nicht ausreichend, verständlich zu sprechen.

Sofort wurde er nervös und genauso schnell versuchte er, die Aufregung abzuschütteln. „Verzeihun. Wollt erkleren ich nur alles. Aber wenn ist besser, bin ich still. Für die Fehler entschuldig ich mich."

„Das heißt, ICH wollte nur alles erklären. Das Subjekt kommt vor das Prädikat. Wie ich vorher schon gesagt habe." Seine Augenbrauen ruckten hoch, als er merkte, dass ihr Ton nun etwas sanfter geworden war. Automatisch hielt er inne und musste sich zusammenreißen, Eva nicht anzustarren. Wie hübsch ihre Stimme klingt, wenn darin keine Abneigung zu hören ist.

„Ok, danke. Geb ich mir Mieh, es richtig zu machen. Bei Allah, schon wieder falsch. Ich bemieh mich, es richtig zu machen." Jetzt blitzte für einen Sekundenbruchteil Belustigung in Evas blauen Augen auf und er registrierte, wie ihm der Atem stockte. Wahnsinn, wie sich ihre gerunzelte Stirn sofort geglättet hat.

Da sich ihr Gesicht aber gleich wieder verfinsterte und sie von einem Bein aufs andere stieg, als würde sie sich unbehaglich fühlen, riss er sich gewaltsam aus seiner Betrachtung dieses irritierenden Mädchens los. Stattdessen stapfte er die restlichen Stufen hinauf. Obwohl er sich sicherheitshalber nicht mehr umwandte, wusste er, dass sie ihm folgte.

Auch hier waren die Wände rissig und grün gestrichen. Zwei Gänge führten wie in der Etage darunter vom Treppenhaus weg und hier waren die Fliesen ebenfalls nicht mehr als sauber zu bezeichnen. Wieso fiel ihm das sonst nicht auf? Ihr fiel es auf. Er sah es in ihrem Gesicht, als sie neben ihm stehenblieb. Eine Strähne ihres Haares hatte sich aus dem straffen Zopf gestohlen. Dieses Mädchen war interessant. Mehr als es sollte. Doch sie würde ihm Rätsel aufgeben, so viel war ihm jetzt schon klar.

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Anlaufnehmen - Fliegenlernen - DurchstartenHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin