13 - Erschöpfung

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Erneut wanderte ihr Blick zu ihm, weil seiner sich wieder in ihre Haut brannte. Sie wusste nicht, wieso sie es zugelassen hatte. Warum sie nicht sofort den Körperkontakt unterbrochen hatte. Weshalb sie die Wärme von seinen Fingern so genossen hatte. Wie kam es dazu, dass sie sich betrogen gefühlt hatte, als er seine Hand zurückzog?

Wie durch war sie eigentlich? So kaputt, dass jede Muskelbewegung sie schmerzte. Trotzdem war es in ihrem Kopf so laut, dass sie sich ihre Handflächen auf ihre Ohren pressen wollte, um endlich Ruhe zu haben. Vielleicht konnte sie dann auch ignorieren, dass ihr Herz jetzt heftiger gegen ihre Rippen pochte. Jedes Mal, wenn seine Augen sich in ihre bohrten.

Sie verstand gar nicht, wieso. Immerhin redeten sie kaum miteinander, sondern arbeiteten schweigend nebeneinanderher. War es sein Gesicht, dass seine Besorgnis ausdrückte, obwohl sie sich im Grunde nicht kannten? Was wussten sie schon voneinander? Nichts. Okay, er hatte definitiv mehr von ihr erfahren als sie von ihm. Doch das, was sie wusste, sollte reichen, um sich nicht so zu fühlen.

Trotzdem fühlte sie sich eigentümlich wohl in seiner Nähe. Aber warum? Weil er ihre unausgesprochenen Grenzen respektierte? Sie wusste es nicht. Doch wenn sie ehrlich war, war sie auch zu müde, um sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Ihr Blick streifte durch den Raum und sie unterdrückte ein Seufzen. Selbst die notdürftige Kuschelecke konnte das Zimmer nicht wirklich aufwerten. Es verströmte keine Behaglichkeit.

„Das ist das schrecklichste Spielzimmer, das ich je gesehen habe." Schnell biss sie sich auf die Zunge und wich seinem Blick aus, der sie nun interessiert musterte. Dann runzelte er die Stirn und sah sich um. Dass er nicht verstand, was sie meinte, war ihm ins Gesicht geschrieben. Sie könnte es ihm erklären, doch das war nicht gut. Er war ein Nichts. Spielte keine Rolle. Doch sie wusste, dass sie sich etwas vormachte.

Automatisch lief ein Schauer durch sie und sie schlang ihre Arme um sich, während sich ihre Augen wieder auf die beiden Matratzen auf dem Boden fixierten. Die bunten Kissenhüllen, die Frau Lothar ausgesucht hatten, verhöhnten im Grunde die grauen Wände, die den Charme eines Bunkers hatten. Also zumindest das, was ich mir als solchen vorstelle.

„Ist dir kalt?" Sie drehte sich zu dem Typen um, der sowas wie ihr heimlicher Schatten war, sobald sie sich im Gebäude befand und zuckte mit den Schultern.

„Ich bin nur müde." Hastig biss sie sich erneut auf die Zunge und verbot sich, auf seinen Gesprächsversuch einzugehen. Sonst würde sie dem Chaos in ihrem Kopf nicht entkommen können, sondern sich nur immer weiter hineinstürzen.

„Kenne ich diese Art von Miede." Automatisch kniff sie die Augen zusammen und musterte ihn. Er hatte seine Antwort mehr geflüstert als an sie gerichtet und sein Blick war auf den abgenutzten dunkelgrauen Teppich gesenkt, ehe er aufs Neue zu ihr zuckte. Obwohl er die Gefühle auf seinem Gesicht hastig wieder verbarg, schluckte Eva.

„Woher?" Ihr Krächzen hing zwischen ihnen und sie bemerkte, wie er überrascht die Augen aufriss und sie anstarrte. Dann strich er sich über die Stirn und als er sie aufs Neue fixierte, war der Ausdruck verschwunden. Wieso sie das betroffen machte, wusste sie nicht. Dennoch war es so.

„Von der Flucht, Eva." Automatisch nickte sie und ließ sich auf einer der Matratzen nieder, weil sie das Gefühl hatte, sonst würden ihre Beine jeden Moment unter ihr nachgeben. Er hatte sich reflexartig zu ihr gedreht und trat langsam auf sie zu.

Als er auf den Platz neben ihr zeigte, nickte Eva. Er setzte sich und ihr fiel auf, dass er etwas Abstand zu ihr gelassen hatte. Er war nicht so nah, dass sie seine Körperwärme nicht wahrnehmen konnte, aber so weit weg, dass sich ihre Schultern nicht berührten.

Ich bin so müde. Vielleicht sollte ich wieder aufstehen. Zu sitzen lässt mich meine schweren Muskeln noch mehr spüren. Dennoch konnte sie sich nicht dazu aufraffen. Es fühlte sich zu gut an, wie seine Wärme auf sie abstrahlte und die Kälte in ihrem Innersten vertrieb, die sie auszufüllen schien. „Muss schwer sein, alles zu verlieren und zu flüchten."

Obwohl sie ihn nicht ansah, spürte sie seinen überraschten Blick, der sich in ihre Wange brannte. Der Teppich ist wirklich eklig. Ich will gar nicht wissen, was da alles drin klebt. „Nein, ist nicht einfach. Viel Angst vor Sukunft."

Sie wusste genau, was er meinte und schaute ihn automatisch an. In seinem Blick las sie Verständnis statt Mitleid und deswegen nickte sie nur. Danach wollte sie sich wieder abwenden, als er seufzte und ihre Augen an seinem Gesicht kleben blieben. Reflexartig runzelte sich ihre Stirn, als sie seine geschürzten Lippen wahrnahm. „Wollen wir legen uns zur Probe in neue Kuschelecke?"

Sie kniff die Augen zusammen und rückte sofort von ihm ab. „Ich lege mich nirgendwo mit dir hin. Bist du noch ganz dicht?! Ich sollte gar nicht mit dir reden."

„Schon klar. Bin ich Parasit, wo lebt von deutschen Staat." Sie schluckte trocken, weil er so unwillig aussah und sich sein Gesicht so verfinstert hatte. „Aber ob du glaubst, oder nicht: Were ich gern nicht von Staat abhengig, sondern einfach sicher."

Ein Zittern machte sich in ihr breit, genauso wie Bedauern. Woher das kam, wusste sie nicht. Noch während sie darüber nachdachte, sprang er auf die Beine und lenkte so ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. Sie bemerkte das Zittern seiner Hand, als er sich durchs Haar strich und vor ihr auf und ab lief. Das kann man nicht spielen. Nicht wirklich. Das ist echt.

„Ist nicht schien, zu wissen, dass jeden Tag es kann sein vorbei und du musst in Land suriek, wo sie bringen deine Familie um. Aber wie sollst du verstehen? Du sie-st nur Leute, die kommen und bekommen alles geschenkt. Doch so ist nicht, Eva! Bin ich nicht gern Parasit."

„Ich weiß. Entschuldige." Sie biss sich auf die Zunge. Er war mitten in der Bewegung erstarrt und stierte sie mit aufgerissenen Augen und offenstehendem Mund an. Hektisch schluckte sie gegen den Kloß an, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Doch sein Blick brannte wie Säure in ihrem Gesicht. Also schloss sie kurz die Lider, ehe sie ihn wieder ansehen konnte. „Du bist keiner von denen."

Ihre Worte schienen sich im Raum auszubreiten und den Sauerstoff zu verdrängen. Hatte sie das wirklich gerade gesagt? Auch er wirkte, als könne er nicht fassen, was er gehört hatte, denn er starrte sie weiterhin verdutzt an. Immer enger zog sich ihre Brust zusammen, als sich Josis wütendes Gesicht vor ihre Augen schob. Sie würde jeden Moment ersticken.

Plötzlich fing er sich und schaute sie mit schiefgelegtem Kopf an. „Was ist Problem, richtig? Verstehst du und weißt nicht, wie du sollst gehen um mit Sachen, was sagen alle dir, wenn deine Augen ersehlen etwas anderes."

Ein Frösteln durchlief sie und sie schlang automatisch ihre Arme um sich, während sie seinem Blick auswich. Sie musste das beenden. Schnell. Sie durfte ihrer Familie nicht untreu werden. Dennoch drängte sich ihr der Verdacht auf, dass es dafür längst zu spät war. Schon seit sie dieses Asylheim betreten hatte, hatte sie sie verraten. Mit jedem Wort, jeder Geste, jedem Nicken, wo ich den Kopf hätte schütteln sollen.

Dass er die Tatsachen so deutlich benannt hatte, brachte ihre Ohren zum Brennen und sie wandte den Blick ab. „So ähnlich. Macht die Sache auch nicht leichter."

Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken, als ihr bewusst wurde, wie müde und hilflos ihre Stimme geklungen hatte. Wie zittrig sie war. Sie sollte doch Stärke demonstrieren. Stattdessen wimmerte sie wie ein Baby herum. Sie seufzte und nahm im Augenwinkel wahr, dass er nickte und dann die Lippen schürzte, als müsse er seine nächsten Worte abwägen. Egal, was er zu sagen hatte, sie hatte keine Lust, weiter zu reden. „Kann ich mir vorstellen, dass ist schwer, deinen Augen su trauen, wenn mein Landsmann hat getötet deine Mutter, aber..."

„Stopp!" Augenblicklich war ihr Kopf hochgeruckt und sie funkelte ihn an. „Sprich nicht über sie."

„Eva, will ich sagen..."

Jetzt sprang sie auf die Beine und baute sich vor ihm auf, um ihn anzufunkeln. „Nein! Hörst du? Du sollst deinen verdammten dreckigen Mund halten! Denn du hast keine Ahnung. Du weißt nichts über meine Familie und schon gar nichts über meine Mutter! Also wage es nicht, auch nur ein Wort über sie zu verlieren!"

Ihr Mund war wie ausgedörrt und sie taxierte taxierte ihn drohend. Dass er nicht zurückwich, sondern ihren Blick nur still erwiderte, schickte noch weitere Wellen des Schmerzes durch sie. Das Prickeln ihrer Handflächen würde sie umbringen.

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Anlaufnehmen - Fliegenlernen - DurchstartenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt