4 - Verärgerung

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Überrascht sah er Eva ins Gesicht, die gerührt wirkte, obwohl sich ihre Stirn erneut gerunzelt hatte. Demnach hatte sie ein warmherziges Wesen, das sie unter ihrer kühlen Oberfläche zu verstecken versuchte. Faszinierend. Aber nicht das Thema, Rasin.

„Ok, ich bringe das weg. Hier sind wir fertig, mehr ist nicht zu sehen. Du kannst in den Gemeinschaftsraum gehen, wo trinkt Frau Lothar jeden Morgen ihren Kaffee mit den Bewohnern. Dort sammelt sie, was zu tun ist. Ich komme auch gleich." Er fing ihr Nicken auf und angelte nach dem Müllbeutel, auf den er zuvor gedeutet hatte. Doch er erstarrte, als sich die Tür neben ihm öffnete und der Mann heraustrat, den er von allen am wenigsten sehen wollte. Reiß dich zusammen, Rasin.

Doch als er der Mann den Müllbeutel in seiner Hand sah, wurde sein Lächeln noch breiter. „Ist das dein Miell, Kalim?"

Sein Gesicht verfinsterte sich, als Kalims Grinsen breiter wurde und er schulterzuckend zustimmte, ehe seine Augen zu Eva flirrten und aufleuchteten. Sofort trat er auf das Mädchen zu, ohne sich darum zu kümmern, dass sie zurückzuckte und er merkte, wie er die Hände automatisch ballte. Seine Fäuste kribbelten, als Kalim die Finger nach Evas Zopf ausstreckte. „Hallo, schenes Medchen. Schene Haare. Bin Kalim. Du?"

Er wollte etwas sagen, vor allem, weil Evas Blick zu ihm huschte und er Panik in ihrem Gesicht erkannte. Doch zu seiner Überraschung straffte sie die Schultern, richtete sich auf und stierte Kalim an. „Eva. Wie die Frau von Hitler. Fass mich nicht an, du Wilder."

Er spürte, wie ihm die Gesichtszüge entglitten und er das Mädchen vor sich anstarrte. Das hatte sie nicht wirklich gesagt, oder? Doch sie schaute Kalim mit einer Mischung aus Stolz und Verunsicherung ins Gesicht. Hatte sich ihre Brust etwas vorgewölbt? Echt? Ja, tatsächlich. Ein Schauer überlief ihn unwillkürlich. Er hatte nicht viel Ahnung von deutscher Geschichte, doch die kannte er. Er hätte nicht gedacht, dass ihre Abneigung so weit ging.

„Ist schade, wenn fasst man schene Medchen nicht." Jetzt schien Evas Angst die Oberhand zu gewinnen, denn er bemerkte, wie sich ihr Körper anspannte. Nicht um anzugreifen. Sie wurde starr und schluckte hektisch, obwohl sie versuchte, Kalims Blick standzuhalten. Der wieder die Hand ausstreckte und Evas Zopf zwischen seine Finger nahm, um die bestimmt seidige Strähne hindurchgleiten zu lassen. Er sah, wie Eva erschauerte und trat reflexartig einen Schritt vor.

„Kalim! Hast du gehört Eva! Lass sie in Ruhe!" Er legte alle Schärfe in seine Stimme, die er aufbieten konnte. Noch hallten Evas Worte zu sehr durch seinen Kopf, dennoch war es Unrecht, sich über ihren Willen hinwegzusetzen. Seine Fäuste kribbelten, als Kalim sich zu ihm wandte und ihn angrinste.

„Du weißt, dass Frauen Allahs Geschenk an seine rechten Krieger sind. Da, um zu dienen. In jeder Hinsicht. Und ich wüsste, was ich mit diesem Täubchen machen würde. Tu nicht so, als wäre dir nicht danach, dieses kämpferische Wesen zu zähmen, indem du ihre Schenkel..." Die arabischen Worte seines Gegenübers brannten wie Erbrochenes auf seiner Zunge, obwohl er sie nicht geäußert hatte. Er packte Kalim am Kragen seines Shirts und zerrte ihn von Eva weg, die sichtlich zitterte und kalkweiß geworden war. Ob sie das lüsterne Blitzen in Kalims Augen bemerkt hatte?

„Kommt sie nicht für dich. Kommt sie für Helfen hier. Lass sie in Ruhe." Seine Stimme überschlug sich vor Wut, obwohl er seine Antwort nur gezischt hatte. Wegen solcher Männer wie Kalim fürchteten sich die Deutschen vor ihnen und begegneten ihnen mit Misstrauen. Kalim konnte keine Wertschätzung dafür aufbringen, dass sie hier aufgenommen worden waren. Er sah auf die Deutschen herab, was Rasin genauso zuwider war, wie das kühle Lächeln auf Kalims Gesicht, das in ihm den Wunsch weckte, seine Faust darin zu versenken.

Ein Blick auf Evas Gesicht, bewog ihn, doch ins Arabische zu wechseln. „Du bist widerwärtig, Kalim. Lass das Mädchen in Ruhe, hörst du? Sie ist nicht zu deinem Privatvergnügen da, sondern um hier zu helfen. Wenn du sie anfasst, dann..."

Anlaufnehmen - Fliegenlernen - DurchstartenWhere stories live. Discover now