16 - Erstaunen

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Sie schien sich etwas zu entspannen, als er sich wieder neben sie gesetzt hatte, und er konnte gerade noch sein Kopfschütteln unterdrücken. Sie war echt ein Rätsel. Das ihn, wie er zugeben musste, immer mehr interessierte.

Genau jetzt würde er gerne wissen, was in ihrem Kopf vorging, wenn sie ihn so anschaute, wie sie es tat und sich auf die Unterlippe biss. Dann schlossen sich ihre Augenlider für den Bruchteil einer Sekunde und ein Seufzen entschlüpfte ihrem Mund, ehe sie die Lider aufs Neue öffnete und den Blick auf die Stelle lenkte, wo die Katze spielte. Gespielt hatte. Der Platz vor der dichten Thujenhecke war leer.

„Warum bist du hierhergekommen?" Ihre Stimme klang leise und sie schaute weiterhin nach vorne, als sie fragte. Wollte sie das nun wissen, weil er besser in seiner Heimat geblieben wäre oder interessierte es sie? Eva beantwortete den Gedankengang, als ihr Gesicht sich zu ihm umwandte und er nur Erschöpfung darin lesen konnte.

Sofort krampfte sich seine Brust wieder zusammen und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Schon allein deswegen, weil sich Bilder in seinem Kopf festsetzten, an die er sich nicht erinnern wollte. Durch sein Räuspern hoffte er, auch diese Momente loszuwerden. Dennoch hörte er, wie zittrig sein Seufzen war. „Musste ich gehen, Eva. Hetten sie mich gesucht und wenn sie hetten mich gefunden ... dann wierde ich teilen Schicksal von meiner Familie..."

„Deiner Familie? Was ist mit ihr?" Ehrliches Interesse zeigte sich auf ihren Zügen und er schluckte trocken. Er hatte noch nie wirklich darüber gesprochen. Und allein der Gedanke, es zu tun, stellte ihm sämtliche Härchen am Körper auf. Automatisch rieb er sich über seine Arme und wandte den Blick zu Boden. Doch als er plötzlich kalte Finger durch den dünnen Stoff seines Hemdes spürte, flogen seine Augen wieder zurück zu Eva. Sie schaute ihn voll Mitgefühl an und das ließ seinen Atem noch mehr stocken.

Rüde schüttelte er die Hand ab und schluckte, als ihr Blick flackerte und sie ihn abwenden wollte. Er bekam kaum Luft, die Bilder in seinem Kopf wurden zu übermächtig. Gepaart mit Evas Gesichtsausdruck, der ihm verriet, dass er sie gerade verletzt hatte, war es ein Ding der Unmöglichkeit, Sauerstoff aufzunehmen, wenn sich seine Brust hob. „Eva..."

„Nein, schon ok. Du musst es mir nicht erzählen." Entgegen ihren Worten zeigte ihre Körpersprache nur zu deutlich, dass es eben nicht ok war. Resignierend schloss er die Augen und als er sie erneut öffnete, stierte Eva wieder auf einen Flecken Rasen vor sich.

„Hab ich gehört ihr Sterben." Während Evas Kopf nun zu ihm herumflog und er in ihre weitaufgerissenen Augen starrte, schluckte er gegen den Kloß an, der so beharrlich gegen seine Luftröhre drückte. Was wahrscheinlich der Grund war, dass seine Stimme so kratzig geklungen hatte. Damit habe ich ihre Frage beantwortet. Es gibt keine Notwendigkeit, mehr zu erzählen.

Doch plötzlich platzte der Knoten und Tränen sammelten sich in seinen Augen. „Miesste ich auch tot sein. Mein Bruder ... er hat gestoßen mich in das Versteck, als Menner kamen, um ... waren wir nicht ok. So wie wir gelebt haben. Aber hatten sie nicht Zeit, sich su verstecken selbst, weil waren sie schon da."

Jetzt überfielen ihn die Eindrücke dieser Nacht wie ein Rudel Wölfe. Die, die ihn noch immer in manchen Träumen marterten und ihn aus dem Schlaf rissen. Er hörte Evas Laut der Überraschung und schloss die Augen, um auszublenden, was sich in seinem Kopf abspielte. Als Nächstes spürte er, wie aufs Neue Kälte durch sein Hemd drang. Das half ihm, sich etwas zu erden.

Dennoch klang seine Stimme heiser, als er seine Finger auf Evas legte und sie mit verschwommenem Blick anschaute, ehe er das aussprach, was ihm am meisten auf der Seele brannte. „Letste Worte, was gesagt habe ich su meinem Bruder, war, dass er nicht so grob sein soll. Habe ich mir gerieben den Ellbogen, an dem gezogen hat er mich zu dem Versteck unter dem Teppich. Monatelang haben wir gebaut für den Ernstfall. Dann ging es su schnell."

Anlaufnehmen - Fliegenlernen - DurchstartenWhere stories live. Discover now