15 - Verunsicherung

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Ihr lief eine Gänsehaut den Rücken hinunter, so gefährlich wirkte er, wie er den Typen vor ihr taxierte. Automatisch schluckte sie trocken, weil sie spürte, wie ihre Hände feucht wurden und ihr Herz Salti schlug. Plötzlich wurde die Panik in ihr still und sie presste ihre Rechte auf ihre Brust, um ihren Herzschlag irgendwie zu beruhigen. Doch es schien andere Pläne zu haben, denn es raste weiterhin, als würde sie sprinten.

Ihre Augen schossen zu dem Halbaffen vor ihr, der seinen Blick erwiderte und irgendwas zu ihm sagte, was sie nicht verstehen konnte. Offenbar war es nicht sehr nett. Denn Rasin ballte die Fäuste so fest, dass sich die Knöchel heller von seiner goldenen Haut abhoben. Jetzt ging ein Ruck durch ihren Körper und ihr stockte der Atem. Goldene Haut? Rasin? Scheiße, ich habe ihn benannt.

Sie spürte, wie ihre Schultern einsanken und ihre Hand von ihrem Oberkörper fiel, als sie begriff, was es bedeutete. Krampfhaft versuchte sie, wieder Sauerstoff in ihre Lunge zu pressen. Doch ihr Brustkorb wollte sich nicht heben. Er schien genauso erstarrt zu sein, wie ihre Beine, die ihrem Befehl nicht gehorchten, zu flüchten.

Ihre Kehle war so ausgedörrt, dass sie das Gefühl hatte, ihre Zunge würde am Gaumen kleben bleiben. Blicklos starrte sie auf die Fliesen, die den Eingangsbereich bedeckten. Wie von fern nahm sie das laute Kauderwelsch wahr, doch sie schenkte ihm keine Beachtung. Sie hatte ihn benannt.

Immer wieder hallten diese Worte durch ihren Kopf und jedes Mal schluckte sie trocken. Abrupt schienen sich ihre Beine an ihre Aufgabe zu erinnern, denn sie machte einen Schritt vorwärts. Luft. Sie brauchte Luft. Deswegen war sie hierher gelaufen. Weil sie ins Freie wollte. Doch ihre Knie schienen aus Pudding zu sein, während es sich anfühlte, als würden ihre Füße in eine Art Morast stecken. Dennoch zwang sie sich, die Arme auszustrecken und die Glastür aufzustoßen, zu der sie sich umgedreht hatte.

Sie war nicht sie selbst. So müde, wie sie war. Ihre Beine lenkten ihren Schritt zu der Grünfläche, die das Asylheim umschloss. Früher musste hier eine schöne Gartenanlage gewesen sein, doch davon sah man heute nichts mehr. Überhaupt schien sie den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen. Es war nur eine Unachtsamkeit. So muss es sein. Alles andere wäre Verrat.

Sie hob den Blick, als ihre Knie an etwas Hartes stießen, und runzelte die Stirn, als sie feststellte, dass sie zu einer Bank gelaufen war. Die hatte sich wohl zwischen die Ständer mit den Wäscheleinen und dem ansonsten brachliegenden Grün verirrt. Sie ließ sich darauf fallen und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Es war nur der Situation geschuldet gewesen. Sicherlich. Sonst wäre es nicht vertretbar.

Plötzlich berührte sie etwas an der Schulter und Eva schrie auf, während sie auf die Beine sprang und herumwirbelte. Dunkle Augen starrten sie erschrocken an und sie brauchte einen Moment, ehe sich ihr Herzschlag wieder auf ein erträgliches Maß einpendelte. Er hatte die Hände erhoben und sie schluckte hektisch gegen den Kloß in ihrem Hals an, der sich abrupt darin bildete. „Musst du mich so erschrecken?!"

Sie beobachtete, wie er langsam seine Hände wieder sinken ließ und mit dem Kopf schüttelte. Doch seine Augen brannten sich weiterhin in ihre und sie schluckte gegen den Knoten Gefühle an, die sich sofort erneut in ihrem Hals sammelten. Ehe er sich lösen konnte, drehte sie sich um, sank zurück auf die Bank und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sie kam nicht mit dem Chaos klar, das in ihr tobte.

Noch bevor es die Erschütterung tat, verriet ihr sein würziger Meeresgeruch, dass er sich neben sie setzte und sie unterdrückte ein Seufzen. Sie wollte nicht reden. Stattdessen wurde der Wunsch übermächtig, sich in ihr Bett zu legen und die Decke über den Kopf zu ziehen. Vielleicht hatte sich alles geregelt, wenn sie wieder aufwachte. Bestimmt. Träum weiter, Eva.

Jetzt seufzte sie doch und zog die Hände vom Gesicht, um auf das satte Grün zu sehen, das sich noch zeigte. Bald würde die Farbe verblassen, je näher der Winter kam. Und wenn der Frühling kam, war dieses Stück Rasen weiterhin trostlos. Wie dein Leben, Eva. Das wird sich auch nicht ändern. Es wird immer ein Hoffen und Bangen sein. Hoffen, dass sie Joseph nicht dranbekommen. Bangen wie es weitergeht.

Augenblicklich krampfte sich ihr Herz noch weiter zusammen. Sie sollte das nicht so sehen. Wenn sie Josi abführten, dann deswegen, weil er einen Dienst für die Gesellschaft getan hatte. Trotzdem wurde ihr bei dem Gedanken, dass er nicht mehr in ihrer Nähe sein könnte, die Kehle erneut eng und ein Zittern breitete sich in ihr aus.

Das Beben verstärkte sich, als sie den Kopf wandte und bemerkte, dass er einfach neben ihr saß und auf die Rasenfläche sah. Als würde er wissen, dass sie nicht reden wollte. Und trotzdem waren da so viele Worte, die sich in ihr stauten. Die aber niemand verstehen würde, Eva. Keiner versteht deine komischen Anwandlungen aus der letzten Zeit. Du kapierst dich selbst nicht, wie sollte es jemand anderes?

Sie wollte gerade wieder den Blick abwenden, als ein kurzes, bellendes Lachen neben ihr erklang und automatisch flog ihr Gesicht zurück zu seinem. Seine Augen leuchteten amüsiert und seine sonst ernsten Lippen hatten sich zu einem Grinsen verzogen. Ein Grübchen hatte sich tief in seine Wange gegraben und sie schluckte reflexartig, weil ihr das auffiel. Wieder drang dieser Laut aus seinem Mund und sie runzelte die Stirn, ehe sie seinem Blick folgte.

Ihre Augen wurden rund, als sie die Katze entdeckte, die sich tief ins Gras duckte, ehe sie Anlauf nahm und hochsprang, um den Falter zu erhaschen, der vor ihr flatterte. Jedes Mal, wenn die Fellnase ihn verfehlte, machte sie einen unwilligen Buckel, ehe sie sich hastig wieder in den Rasen drückte. „Gibt sie nicht auf. Aber ist er zu schnell. Ist kleiner Schmetterling sterker als Katse."

Ein Schauer rieselte ihr Rückgrat hinunter, weil seine tiefe Stimme warm und fröhlich klang, und sie schaute ihn erneut an. „Das sieht nur so aus. Letztlich ist die Katze zu beharrlich und wird ihn ersticken und fressen."

Jetzt huschte Betroffenheit auf sein Gesicht, während er es ihr zuwandte. Jäh wurde ihr die Kehle noch enger, als sich ihre Blicke trafen und ihr auffiel, dass seine Mundwinkel nun herunterhingen und seine Augen den warmen Glanz verloren hatten. „So siehst du die Welt? Kleiner Schmetterling hat keine Chance?"

Automatisch zuckte sie mit den Schultern und wollte den Kopf abwenden. Doch sie konnte nicht. Irgendwas in seinem Blick hielt sie fest. „Schon. Die Katze wird nichts unversucht lassen, um ihn zu erwischen. Er könnte sich genauso gut fügen, als seine Energie dafür zu verschwenden, seinem unausweichlichen Schicksal zu entrinnen."

Sie hatte nicht gedacht, dass die Betroffenheit in seinem Blick sich noch vertiefen könnte, doch seine Augen wurden einen Tacken matter, ehe er nickte und den Blickkontakt unterbrach. Sie hatte keine Ahnung, warum sie sich deswegen betrogen fühlte. Aber das verlor auch an Bedeutung, als er seufzte. „Were besser, wenn alle Schmetterlinge sich ergeben, oder? Dann in Deutschland weren keine Parasiten wie ich."

Ihre Gesichtszüge entglitten ihr, als er aufstand und Anstalten machte, zu gehen. „Das hab ich nicht gemeint!"

Sie sah, wie er mitten in der Bewegung erstarrte und sich dann langsam zu ihr umdrehte und sie mit hochgezogenen Brauen musterte. Schnell wich sie seinem Blick aus und schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an. „Ich weiß nicht, was ich damit sagen wollte. Aber das nicht."

Als sie das Gesicht wieder zu seinem hob, bemerkte sie, dass er die Lippen geschürzt hatte und sie weiter anstarrte. Wie sollte sie ihm denn erklären, dass sie sich manchmal fühlte wie dieser Schmetterling? Jeden Tag ein bisschen mehr.

Sie wusste, was geplant war. Doch wenn sie daran dachte, wurde ihre Brust so eng, dass sie nicht mehr atmen konnte. Diesen Grund hatte sie wohlweislich verschwiegen, als sie zugegeben hatte, warum sie die Schaufensterscheibe eingeworfen hatte. Das würde ohnehin niemand verstehen. Aber sie wusste auch, dass sie sich fügen musste. Sie hatte keine Wahl. Vielleicht doch.

Sein Seufzen riss sie aus ihren Gedanken und zu ihrer Überraschung schien der Druck auf ihrer Brust etwas nachzulassen, als er sich wieder neben sie setzte. Das war verrückt. Und falsch.

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Anlaufnehmen - Fliegenlernen - DurchstartenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora