16. Abschied - gehen mit Schmerz

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☀️

Fünfzehn Minuten Verspätung.

»Vielleicht solltest du dir beim nächsten Mal einen Wecker stellen, Uchiha Shisui. Ausgerechnet bei dieser Mission, wo es auf jede Minute ankommt, hättest du früher auftauchen müssen«, mahnt Fugaku dumpf und starr.

»Ich weiß. Eigentlich wäre ich pünktlich gewesen, aber mir kam etwas dazwischen«, entschuldigt sich Shisui unsicher.

Bei dem Mann fühlt er immer diese gewisse Distanz, die er ausstrahlt. Nichts Warmherziges oder Liebevolles.

»Okay. Ist egal. Hauptsache, du bringst die Schriftrolle erfolgreich nach Sunagakure.«

»Natürlich.« Shisui nickt und schnappt sich vorsichtig die Rolle Papier.

Und wegen einem Stück toter Baum muss ich sechs Tage weg?

Das Clan-Oberhaupt rümpft die Nase und seine Augen wirken mit einem Mal so kalt. Shisuis Herz gefriert bei dem Anblick und fragt sich, wie verbittert jemand sein kann.
Dann winkt er mit seiner linken Hand den Jungen aus dem Raum hinaus und sieht wieder stumm auf einen Stapel Blätter.

Mit einer sachten Handbewegung öffnet der Lockenkopf die Tür, ehe er sie wieder leise schließt.
Sein Blick gleitet zu der Schriftrolle, während er das große Polizeigebäude verlässt.

Seine Finger umklammern die Rolle stärker, sodass seine Knöchel schneeweiß hervortreten.

Was, wenn er es nicht rechtzeitig zurückschafft? Oder ihm auf dem Weg etwas passiert?

Keiner würde etwas mitbekommen, weil alle mit anderen Dingen beschäftigt sind.
Auch Itachi hätte andere Dinge zu tun, und wäre sicherlich nicht der erste, der erfahren würde, dass Shisui etwas passiert ist.

Würde ihm überhaupt jemand Bescheid sagen? Oder würde er es sogar von alleine spüren, weil sein Sonnenschein nicht an seiner Seite strahlt?

Shisui schüttelt abgelenkt seinen Kopf, ohne zu bemerken, dass seine Schritte langsamer und seine Gesichtszüge nachdenklicher werden.

Verdammt, er könnte draufgehen und alles sowie jeden damit enttäuschen.
Die Welt ist bitter, und die, in der sie leben, fühlt es sich manchmal sogar ein bisschen brutaler an.

Shinobis wirken oft nur wie abtrünnige und herzlose Killer. Aber sie besitzen auch ein Herz. Nur werden diese Herzen manchmal für die falschen Seiten genutzt. Wie im Krieg.

Aber wenn jeder denkt, er geht den richtigen Weg und dafür kämpft, kann man ihn doch nicht verurteilen, oder?

Wer entscheidet, dass etwas gut und das andere böse ist? Was ist richtig und was falsch?

»Sag mal, Shisui, wohin gehst du denn um diese Uhrzeit? Es ist doch noch total früh für eine Mission.« Eine bekannte Stimme reißt ihn aus seinen chaotischen Gedanken, die wieder viel zu tiefgründig und etwas unsanft sind.

»Tja, ich würde gerne sagen, dass ich einfach nur Fugakus Liebling bin, weshalb er so darauf bestand, dass ich auf diese Mission gehe, aber wir wissen alle, dass das eine Lüge wäre«, meint Shisui schmunzelnd.

»Wie lange bist du denn weg? Wir wollten doch noch mit Itachi fett saufen gehen, bevor er verheiratet wird. Erinnerst du dich?« Obito runzelt seine Stirn ein wenig, was eine kleine Falte zwischen seinen dunklen Augenbrauen formt.

»Ja«, nickt der Angesprochene knapp. »Es ist mir bewusst. Aber ich glaube, ihr müsst dies ohne mich tun. Ich muss nämlich nach Suna dieses Stück Dreck hinbringen.«

»Und die Hochzeit?«

Shisuis Herz bricht erneut ein kleines bisschen auseinander. Es bröckelt wie die Steine von einem Berg.

Knack.

»Ich werde zurückkommen. Das verspreche ich.«

»Wenn du meinst. Dann hoffen wir wohl mal, dass du es auch halten wirst.« Obito legt eine Hand auf Shisuis linke Schulter.

Er klopft ein paar Mal dieselbe Stelle, was Shisuis Herz ziehen lässt.
Scheiße, er wird nicht nur Itachi nicht sehen, sondern auch seine anderen Freunde. Und Mikoto. Die Frau, die für ihn so oft wie eine eigene Mutter ist.

Mikotos Kekse. Shisui stellt sich vor, wie er auf einer Sonnenliege liegt, von Itachi mit Trauben gefüttert wird und Mikoto mit einem Blech mit Cookies angelaufen kommt.

Er seufzt. »Ich schätze, mir bleibt keine andere Wahl, nicht wahr? Und vielleicht muss ich mir dann nicht das Elend, diese Hochzeit, anschauen.« Kurz schaut er in den blauen Himmel, an dem die Sonne lacht und nur ein paar helle, engelsgleiche Wolken schweben.

»Und Itachi?«, mischt sich nun letztendlich auch Kakashi ein. »Was ist mit ihm? Er zählt sicherlich auf dich und deine Unterstützung.«

Shisuis Magen zieht sich krampfhaft zusammen.
Ja, was wird aus ihm?

Wieso müssen Herzen auch immer so sehr leiden, wenn man solche enttäuschenden Entscheidungen trifft?

»Ich weiß. Aber ...«, der Lockenkopf bricht ab, »... es wird wehtun. Sehr wehtun. Wahrscheinlich werde ich an diesem Tag meine Beerdigung einwilligen und damit Fugakus größten Wunsch erfüllen.«

Obito und Kakashi reißen ihre Augen etwas auf, die dadurch mondgroß erscheinen.

»Sorry.« Shisuis fasst sich in den Nacken. »Ich werde kommen. Für ihn. Itachi hat das verdient. Mehr als jeder andere in meinem Leben.«

»Anscheinend nicht mehr so kraftlos, nicht wahr, du Kaulquappe?« Obito stupst ihn mit dem Ellenbogen an und zwinkert charmant.

»Oh doch. Und ein bisschen mehr. Doch du weißt, irgendwann ignoriert man alles. Sogar ein kaputtes Herz.«

»Schon scheiße, Kumpel.«

»Sehr hilfreich«, lacht Shisui und schüttelt den Kopf.

»Du weißt, das Angebot mit dem Saft steht noch.«

Kakashi sieht von seinem Buch direkt auf das Gesicht seines Freundes, der bloß mit den Schultern zuckt.

»Äh, nein danke. Passt schon. Alkohol und Schlaf tun's auch.« Shisui pustet sich eine seiner Locken aus dem Gesicht, ehe er zwischen Kakashi und Obito umher blickt. »Außerdem hast du einen Freund.«

»Ja, papperlapapp. Mein Saft kann auch nach Alkohol schmecken, wenn du genug Vorstellungskraft besitzt.«

Kakashi hebt seine Brauen und blickt Shisui fragend an.

»Keine Sorge. Ich kann dich nicht ersetzen«, beruhigt der Junge ihn lächelnd, weil er versteht, dass Kakashi verwirrt ist.

»Och Mann. Das wird total unlustig ohne dich, du Kaulquappe.«

Und zum ersten Mal sieht Shisui, dass auch in Obitos Blick etwas Trauriges und Sehnsüchtiges liegt.

»Ich werde zurückkommen, du Schockoschmierer.«

Obitos Augen werden schwer, weil er fühlt, dass es vielleicht das letzte Mal ist.
Vielleicht ihr Ende.

Er geht den letzten Schritt zu Shisui und umarmt ihn.

»Wehe nicht. Dann bringe ich dich um.«

Shisui legt auch seine Arme um den anderen Uchiha, der auch mit Herz denkt.

»Könnt ihr mir zwei Dinge versprechen?«, fragt Shisui und sieht zu Kakashi.

»Klar«, antworten beide zeitgleich, während Obito sich löst.

»Sollte ich dennoch nicht zurückkommen, passt auf Tachi auf. Er braucht Leute, die ihn lieben. Und zweitens: an seiner Hochzeit vertraue ich auf eure Unterstützung, wenn es drauf ankommt.«

Beide verstehen sofort, was der Lockenkopf meint, und nicken bedeutend.

Und da passiert es wieder.

Denn jeder Abschied enthält ein bisschen Schmerz.

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~L
1066 Wörter

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