🎭 XVII. Niccoló

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Normalerweise zog Niccoló um diese Uhrzeit bereits in die Gassen seines Hauses, doch heute zog ihn irgendetwas zum zweiten Mal dieses Abends in sein Kindheitsviertel. Also dirigierte er seine Gondel durch die Lagunen, die still und unheimlich vor ihm dalagen. Es war eine neblige Nacht, und er war sich sicher, dass es in ein paar Stunden schon wieder regnen würde. Es regnete momentan ungewohnt viel, und das sogar für Venedig.

Als er an seinem Ziel ankam, meinte er schon von weitem zu erkennen, was ihn hierher gezogen hatte: dennoch war er unsicher, ob er es im Dunkeln richtig erkennen konnte, oder ob die Schatten ihm einen Streich spielten.
Aber je näher er an der Platzmitte ankam, desto besser konnte er erkennen, dass dort jemand saß.
Und nicht nur irgendjemand.
Augenblicklich schlug sein Herz etwas schneller.
Er taute seine Gondel neben der Brücke fest, an der der junge Mann saß, und sprang leichtfüßig auf das Kopfsteinpflaster. Fiero schien ihm gar nicht zu bemerken, als er auf ihn zukam. Er blieb vor ihm stehen und klopfte mit seinem Ruder auf den Stein.
Ruckartig setzte Fiero sich auf und schaute sich verwirrt um, bis er Niccoló direkt vor sich entdeckte. „Ah, Niccoló", rief der Junge und rappelte sich ungelenk auf.
Niccoló musste lächeln und fasste nach seinem Arm, damit er nicht umfiel.
„Ich... habe auf dich gewartet", meinte Fiero atemlos. Interessiert legte Niccoló den Kopf schief.
„Ah, entschuldige... hier." Hastig kramte Fiero einen Notizblock aus der Tasche seines Umhangs und reichte ihn ihm. Niccoló nickte ihm dankend zu und klemmte sich das Ruder unter den Arm, um auf das Papier zu kritzeln.
Ist dem so? Womit habe ich denn die Ehre, so spät in Deiner Gesellschaft zu sein?
Fiero las über Kopf mit und rieb sich verlegen den Nacken. „Nun... schwer zu sagen. Nachts gehe ich eben deutlich lieber raus als tagsüber."
Niccoló lachte heiser. Das war sicher nicht das, was der Kleine sagen wollte, aber er ignorierte es einfach mal.
Darf ich dich entführen?
Fiero blinzelte erst den Block, dann ihn überfordert an. „Wohin denn?"
Unter der Maske lächelte Niccoló verschmitzt.
Vertrau mir einfach. Ich zeige dir einen schönen Ort. Es ist nicht weit, keine Sorge.
Fiero's Antwort ließ einen Augenblick auf sich warten, dann nickte er fest. „Gerne, nimm mich mit."

Niccoló strahlte bereits und griff nach Fiero's Handgelenk, um ihn mit sich zu ziehen. Zusammen überquerten sie den Platz, und Niccoló führte ihn durch eine kleine, etwas schief liegende Querstraße, wo sie in einem anderen Teil des Viertels landeten. Hier steuerte er auf ein dunkles, hoch gebautes Haus zu, lief mit Fiero durch einen Torbogen und blieb vor einer uralten Holztür stehen.
„Was ist das hier?", fragte Fiero ehrfürchtig, beinahe beunruhigt.
Niccoló drehte sich zu ihm um, beugte sich ein Stück vor, um ihm in die Augen zu schauen. Reglos erwiderte Fiero seinen Blick.
Niccoló zückte erneut das Notizbuch und schrieb Vertraust Du mir?
Und ohne zu zögern nickte Fiero.
Man könnte sich wahrlich Sorgen um seine fehlende Furcht machen, wenn man bedachte, dass sie sich kaum kannten.
Er richtete sich wieder auf und fischte einen dicken Schlüsselbund aus den Tiefen seiner Jackentasche. Manchmal war es wirklich von Vorteil, das schwere Ding überall hin mitzunehmen. Mit dem passenden Schlüssel öffnete er die Tür, welche zu einem Turm führte, und hielt Fiero eine Hand hin.
Der Junge sah sich kurz links und rechts um, dann griff er nach seiner Hand und umfasste sie fest. Sie war kalt, wärmte sich sofort an Niccoló's rauer Haut. Er drückte sie einmal versichernd, und zog ihn weiter, jedoch nicht ohne die Tür fest zu schließen.
Das Haus stand schon länger leer, früher war es eine Abtei gewesen. Da war Niccoló noch nicht geboren gewesen, aber als Kind hatte er hier immer mit Freunden verstecken gespielt oder so getan, als seien sie Ritter, die ihre Burg verteidigten.
Er schlug direkt den Weg zur alten Steintreppe ein, welche hinauf aufs Dach führte. Bei jedem Schritt klackerte sein Ruder mit, das er gerne wie einen Gehstock nutzte. Neben ihm schaute sich Fiero staunend um; das war nicht verwunderlich, denn überall hingen noch alte verstaubte Gemälde, die Decken waren mit Stuck verziert, und an den Treppenabsätzen lagen Mosaikmuster im Boden. Es war mal ein wahrlich schönes Gebäude gewesen.
In der letzten Etage angekommen blieb Fiero plötzlich stehen, und sie gingen beinahe zusammen zu Boden. Niccoló fing sich aber schnell und hielt Fiero fest. Fragend blickte er zu ihm hinunter.
„Entschuldige", murmelte Fiero verlegen und schaute zurück zu dem Gemälde, das er wohl entdeckt hatte. Ohne ihren Griff zu lösen, ging er darauf zu und wischte über die verstaubte Leinwand. Niccoló musste lächeln. Es zeigte einen Mann, der ein Bild malte, auf dem ein Mann ein Bild malte. Es war ziemlich groß und zeigte daher sehr viele Details.
„Weißt du, wer das gemalt hat?", hauchte Fiero.
Niccoló zuckte ahnungslos die Schultern. Er ließ ihn nun doch los, um etwas aufzuschreiben. Ich weiß es nicht. Das Bild muss älter sein als ich. Ich weiß nur, dass der Maler ein ähnliches Bild gemalt habe, auf welchem das Gesicht des Mannes zu sehen sein soll. Gefällt es dir denn?
Fiero nickte schnell. „Es ist sehr kreativ. Auf solch eine Idee würde ich nie kommen. Aber vielleicht sollte ich so etwas mal versuchen."
Niccoló lächelte. Das musst du mir dann unbedingt zeigen.
„Sì... warum sind wir denn nun hier, Niccoló?"
Eine Gänsehaut zog sich über die Arme des Gondoliere. Er ließ sein Ruder neben dem Bild stehen und griff wieder nach Fiero's Hand. Sie liefen durch den dunklen Korridor, welcher immer weiter in Mondlicht getaucht wurde, bis Niccoló an einem kleinen Treppchen angelangte und eine Tür öffnete, welche aufs freie Dach führte.

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