🔥XX. Fiero

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Obgleich Fiero tagsüber immer müder und müder wurde, verbrachte er des nachts immer mehr Zeit mit Niccoló. Denn Onkel Marshall und Archibald schienen genauso gut wie er zu wissen, dass sie nicht verraten konnten, woher sie denn wussten, dass Fiero sich des nachts hinausschlich. Dafür bedachten sie ihn zu jeder Gelegenheit mit Todesblicken, doch Ramona hatte es sich zur Aufgabe gemacht, an Fiero zu kleben wie eine Klette, um den beiden Grimassen zu schneiden, wann immer sonst keiner schaute.
Sie war zwar noch immer nicht ganz gesund, doch der Arzt erlaubte ihr, sich wieder ein paar Stunden am Tag die Zeit zu vertreiben. Die Zeit, die sie eigentlich im Bett verbringen sollte, blieb sie aber ebenfalls bei Fiero, schlief sogar in seinem Zimmer. Fiero ließ all das nur über sich ergehen, weil er wusste, dass sie eine ausgezeichnete Deckung war.

Wie immer lief er in der Dunkelheit durch die Straßen und lief die Brücke hinauf, an der er sich immer mit Niccoló traf. Der Gondoliere hatte ihm gesagt, dass er heute früher da sein würde, und schon bald sah er die mittlerweile so bekannte Gondel über die fast schwarze Lagune schweben.
Automatisch lächelte er in sich hinein und winkte ihm.
Niccoló deutete eine Verbeugung an und hielt sich mit einer Hand an einer Hauswand fest. Nachdem er sich kurz umgeschaut hatte, rief er leise: „Willst du da oben Wurzeln schlagen oder endlich zu mir kommen?"
Fiero lachte herzlich und setzte sich eilig in Bewegung. Es freute ihn, dass er Niccoló's Stimme nun öfter hörte, denn sie klang wie Musik in seinen Ohren. Aufgeregt lief er auf ihn zu, während Niccoló seine Gondel antaute.
„Ich hab dir etwas mitgebracht", verkündete er atemlos, als er bei ihm ankam, und blickte in glitzernde, dunkle Augen.
Fragend legte Niccoló den Kopf schief.
„Schließ die Augen", bat Fiero und griff nach seiner Hand, sobald er tat wie geheißen. Dann legte er das kleine Päckchen, das er sicher in seiner Tasche verstaut hatte, in Niccoló's Hand.
„Mach sie auf."
Niccoló blinzelte erst ihn, dann das Präsent an. Ein leises, freudiges Lachen war hinter seiner Maske zu hören, und er öffnete das Packpapier. Aufgeregt knetete Fiero seine Hände– er hoffte sehnlichst, dass es im gefallen würde, denn er hatte einige Stunden daran gearbeitet. Es war ein kleines, selbstgebundenes Notizbuch, damit Niccoló ein eigenes hatte. Außerdem hatte er einen neuen Stift besorgt.
„Oh, Fiero", hauchte Niccoló kaum hörbar und griff gerührt nach seinem Arm.
„Sieh dir die erste Seite an", sagte Fiero leise und war froh, dass er eine Maske trug, sonst hätte Niccoló noch seine glühend heißen Wangen gesehen. Der Gondoliere nickte, schlug das Büchlein auf, und schnappte gleich darauf nach Luft.
Fiero meinte, ihn kaum hörbar mio caro wispern zu hören, doch er konnte sich nicht sicher sein. „Und, was denkst du?"
Niccoló blickte ihn an, und zog ihn überraschenderweise in eine feste Umarmung. Aufgeregt erwiderte Fiero sie.
Als sie sich wieder voneinander lösten, schrieb Niccoló eifrig etwas auf die zweite Seite und zeigte sie ihm. Es sieht wundervoll aus, Fiero. Ich danke dir.
Fiero grinste breit, stolz darauf, dass Niccoló die Zeichnung von ihm gefiel. Es war die erste gewesen, die Fiero verfasst hatte, er hatte sie fein säuberlich ins Buch gebunden, damit Niccoló sie haben konnte, denn selbst hatte er schließlich genug davon. Obwohl, genug würde er wahrscheinlich nie haben können.
Ich habe auch eine Überraschung für dich, schreib Niccoló sogleich, wirkte dabei genauso aufgeregt wie er. Wenn du gestattest, würde ich dich wieder entführen.
Fiero kicherte und nickte. Irgendwie hatte sich Niccoló wohl angewöhnt, das immer zu sagen, wenn er ihn durch Venedig führte.
Gemeinsam stiegen sie in die Gondel, und Fiero machte es sich mit einer Decke gemütlich, um in der kalten Nachtluft nicht zu frieren. Niccoló führte ihn währenddessen durch die Seitenstraßen, bis er merkte, dass sie sich dem Marktplatz näherten. Neugierig blickte er zu dem Gondoliere hoch, der seinen Blick wohl bemerkte und ihm kaum sichtbar zuzwinkerte.
Fiero wartete ab, bis Niccoló sein Gefährt angetaut hatte und ihm die Hand reichte, um ihn auf die Beine zu ziehen.
„Was machen wir hier?", fragte Fiero gedämpft.
Niccoló beugte sich zu ihm runter, flüsterte ihm ins Ohr, sodass er erschauerte. „Das wirst du gleich sehen. Folge mir."

Die beiden wanderten über den Marktplatz, hielten sich im Schatten der Häuser, bis sie weiter hinten knapp vor einem Torbogen zum stehen kamen. Die Fackeln an den Häuserwänden waren gelöscht, doch die Sterne hingen direkt über ihnen, spendeten genug Licht, dass sie die Augen des jeweils anderen gut erkennen konnten. In Niccoló's fast schwarzen Augen glitzerte es verheißungsvoll.
Plötzlich hörte man weiter weg ein leises Geigenspiel. Fiero blickte auf, doch es war keiner in der Nähe.
Niccoló legte eine Hand an sein Kinn, drehte sein Gesicht wieder zu ihm. Dann ergriff er seine Hand und verbeugte sich tief vor ihm. „Würdet Ihr mit mir Tanzen, Signore Fiero?"
Fiero klappte beinahe die Kinnlade herunter. „Ja", kam es aus seinem Mund, bevor er weiter drüber nachdenken kann. Er konnte sich vorstellen, dass Niccoló schmunzelte, so spitzbübisch, wie seine Augen glänzten. Der Mann führte seine Hand an die Lippen seiner Maske, und Fiero lief ein Schauer über den Rücken.
Er hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, was sie da überhaupt mitten in der Nacht auf offener Straße taten, dafür erschien es ihm viel zu sehr wie ein Traum; Niccoló begann einfach, mit ihm zu tanzen, eine Hand an seiner Hüfte, und Fiero folgte ihm wie in Trance mit der Hand auf seiner Schulter. Im Gegensatz zu den ganzen Tanzstunden, die er im Hause Medici bereits genommen hatte, fiel es ihm überhaupt nicht schwer, Niccoló's Schritten zu folgen und mit ihm über das Kopfsteinpflaster zu wirbeln. Der Wind spielte mit ihren Haaren, die Schatten gesellten sich zu ihnen zu einem geheimen Tanz, und die Musik in der Ferne verstärkte das magische Gefühl dieser Nacht.
„Niccoló, wo hast du so gut tanzen gelernt?", fragte Fiero atemlos.
Der Gondoliere wirbelte ihn einmal um die Achse, fing ihn auf und beugte sich tief über ihn, dass dem Prinzen das Herz gegen die Rippen klopfte. Er zwinkerte. „Ein Geheimnis, mein Lieber."
Nun lief Fiero definitiv unter der Maske rot an.
Das Geigenspiel schien langsam an seinen Höhepunkt zu kommen, und die Tanzenden atmeten schwerer. Fiero wurde herumgewirbelt, dann zog Niccoló ihn rasch wieder an sich, und er stand so dicht an ihn gedrängt, dass kein Blatt Papier mehr zwischen sie gepasst hätte.
Niccoló beugte sich vor, lehnte die Stirn an die seine.
Langsam kamen sie zum stehen, Fiero's Herz schlug ihm bis zum Hals. Ohne zu überlegen reckte er das Kinn, dass sich die Münder ihrer Masken berührten wie zu einem Kuss.

Nichts war mehr zu hören außer ihrer aufgeregten Atemzüge, das Geigenspiel hatte geendet. Fiero blickte in die Augenlöcher Niccoló's Maske, und der Mann hatte die Lider niedergeschlagen.
„Niccoló..."
Niccoló musterte ihn, richtete sich auf und sah sich kurz um, bevor er Fiero an der Hand weiterzog. Der Prinz stolperte ihm hinterher, in eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern, wo kein Licht mehr eindrang. Niccoló drängte ihn an die Wand, nahm ihm die Maske ab, und im nächsten Moment spürte Fiero, wie sich weiche Lippen auf die seine pressten.

Der Prinz riss die Augen auf. Es fühlte sich an, als würde ein Feuerwerk in ihm losbrechen, und sein Herz schlug einen Purzelbaum nach dem anderen. Er konnte nicht umhin, die Augen zu schließen und den Kuss zu erwidern, Niccoló's heißen Atem auf seiner Haut zu spüren, und legte die Hände auf seine Brust, die sich hektisch unter seinen Atemzügen hob und senkte.
Irgendwo, weit in der Ferne, schallte ein Lachen zu ihnen. Fiero riss es zurück in die Wirklichkeit, und mit einem Mal kamen all seine Erinnerungen wieder hoch. Panisch packte er Niccoló an den Schultern und schubste ihn nicht gerade sanft von sich.
Mit einem Keuchen stolperte der Gondoliere zurück, wich gerade so einem schmalen Lichtschein aus, dass sein Gesicht noch immer verborgen blieb, doch Fiero wusste, dass er ihn anstarrte.
„Oh nein", stieß er hervor, und er konnte nicht verhindern, dass sich seine Augen mit Tränen füllten. Vorsichtig streckte er eine Hand nach Niccoló aus. „Verzeih mir, ich–"
Niccoló drückte ihm einfach seine Maske wieder in die Hand. Als er wieder an ihn trat, trug er auch seine wieder, und das Glänzen in seinen schien verschwunden. „Lass uns gehen."
Ehe Fiero antworten konnte, marschierte Niccoló auch schon voran. Gehetzt blickte Fiero ihm hinterher, setzte seine Maske auf Indien folgte ihm im Laufschritt.
„Niccoló, warte doch", zischte er gedämpft, doch der Gondoliere reagierte nicht. Mit geübten, doch zackigen Griffen machte er seine Gondel los und schnappte sich sein Ruder.
„Es tut mir leid", versuchte Fiero es noch einmal.
Niccoló ließ die Schultern hängen und seufzte. „Entschuldige dich nicht. Ich bringe dich jetzt nach Hause."
Verzweifelt starrte Fiero ihn an. Seine Gedanken und sein Herz rasten um die Wette. Er würde es sicher nicht schaffen, mit ihm in die Gondel zu steigen und die ganze Fahrt über Niccoló's Schweigen ausgesetzt zu sein, vor allem, wenn er auch noch auf ihn wütend sein mochte.
Er biss sich auf die Lippe und schüttelte hektisch den Kopf. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und rannte los.

Die Prinzen von VenedigDove le storie prendono vita. Scoprilo ora