🔥XIX. Fiero

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Obgleich Fiero todmüde war und ihm die Muskeln von dem Training schmerzten, schleppte er sich mal wieder des nachts durch die Straßen, und fand sich alsbald in Niccoló's altem Viertel wieder. Dieses Mal trug er allerdings ein Messer bei sich; nur zur Sicherheit. Aric ihm hatte nach dem Training mit sehr ernster Miene eingebläut, nicht mehr unbewaffnet aus dem Haus zu gehen, zur Not sollte er auch mit einem Messer unter dem Kissen schlafen. Aric hatte unglaublich besorgt ausgesehen, und auch Ramona gesagt, sie solle sich zurückhalten, bevor sie ebenfalls in Schwierigkeiten geraten könnte. Überraschenderweise hatte das Mädchen ihre frechen Sprüche zurückgehalten und bloß genickt.

Nun stand der Prinz auf der Brücke, an der er Niccoló zuletzt getroffen hatte. Er hoffte, dass es den Gondoliere erneut zu solch später Stunde hierherbringen würde.
Lange Zeit stand er sich die Beine taub und starrte aufs Wasser hinaus. Er wurde immer müder und es fiel ihm immer schwerer, die Augen aufzuhalten.
Das Wasser unter ihm begann, Wellen zu schlagen. Fiero gähnte und blinzelte gegen die Dunkelheit an. Dann tauchte unter der Brücke plötzlich eine Gondel auf, und ein Gondoliere mit grinsender Maske schaute zu ihm hinauf.
„Niccoló?", wisperte er, und beinahe erschien es ihm, als würde die Maske noch breiter grinsen. Der Gondoliere verbeugte sich tief.
Nun grinste auch Fiero. „Soll ich zu dir kommen?"
Niccoló nickte eifrig und winkte ihn zu sich. Eilig löste Fiero den Griff von dem Geländer und lief hinunter, plötzlich voller Energie. Er konnte sich kaum zurückhalten, seine Freude über ihr Wiedersehen zu zeigen, denn nach dem anstrengenden Gespräch mit seinem Ritter war er mehr oder weniger den ganzen Tag lang niedergeschlagen gewesen.

Der Gondoliere reichte ihm die Hand, welche Fiero bereitwillig ergriff. Er stieg zu ihm in die Gondel, blieb vor ihm stehen. Einen Augenblick lang starrten sie sich bloß stumm an, bis Fiero hastig seinen Notizblock heraus kramte. „Niccoló, wie geht es dir?"
Niccoló legte den Kopf schief, reichte ihm sein Ruder zum festhalten und nahm den Block entgegen. Mir geht es gut, aber wie geht's dir? Du siehst so müde aus.
Fiero seufzte. „Es ist eine lange Geschichte."
Willst du mir davon erzählen?
„Ja... aber nicht hier", antwortete Fiero zögerlich.
Niccoló schien zu überlegen, nickte schließlich und schrieb: darf ich dich erneut entführen?
Verlegen rieb sich Fiero den Nacken, stimmte aber zu.
Sobald er saß und Niccoló zu rudern begann, nahm er ein zweites Büchlein aus seiner Tasche und zeichnete; schließlich hatte er das schönste Bild direkt vor sich.
Wie immer dirigierte Niccoló seine Gondel durch die weniger belebten Teile der Wasserstadt. Immer wieder trafen sich ihre Blicke, immer wieder musste Fiero unter das Maske lächeln.
Er konnte es einfach nicht glauben, wie sehr er sich über die bloße Anwesenheit dieses Mannes freute.

Als Niccoló endlich anhielt, waren sie schon eine ganze Weile gefahren, und Fiero kam gar nicht damit hinterher, all die schönen Villen auf ihrem Weg zu bestaunen; gleichzeitig bekam er aber auch die Armenviertel zu Gesicht, was ihm zeigte, dass Venedig wahrlich kein Paradies war, sondern bloß eine Stadt auf Wasser.
Der Gondoliere hielt ihm eine Hand hin, und er ergriff sie. Niccoló zog ihn auf die Füße und auf den Gehsteig, wo er ihn durch einen Torbogen zog, welcher schließlich in einem Atrium endete. In der Mitte stand das Wasser, es war beinahe windstill.
„Wohnt hier denn keiner?", fragte Fiero gedämpft.
Niccoló schüttelte den Kopf. Er zog den Block wieder hervor, den er eingesteckt hatte. Die Gebäude stehen leer; man munkelt, es spuke hier. Aber ich glaube nicht daran.
Fiero hob die Brauen und setzte endlich seine Maske ab. „Ich auch nicht. Es gibt schlimmeres als Geister."
Niccoló legte den Kopf schief, schien ihn zu mustern. Du wolltest mir noch etwas erzählen, schrieb er, komm hier lang.
Er zog ihn etwas weiter, unter den Vorsprung eines der Häuser, wo eine Bank stand und ließ sich darauf nieder. Fiero nahm neben ihm Platz und zog die Beine an die Brust. Und da er Niccoló's Blick um ihm spürte, murmelte er: „Ich glaube, ich habe etwas dummes getan." Er stockte, starrte auf seine Finger. „Ich habe einem der anderen Ritter von... dem Vorfall erzählt. Und dass ich eine Vermutung habe, wer es war. Er macht sich Sorgen um mich. Aber uns sind die Hände gebunden, wir können nichts tun. Ich weiß, das klingt verwirrend, aber bitte frag mich nicht, warum. Es ist sehr wichtig." Seine Stimme wurde immer leiser, bis er befürchtete, dass Niccoló ihn nicht mehr verstehen konnte. Er blickte auf zu ihm, versuchte, seine Augen im Dunkeln zu erkennen und darin zu lesen, doch er konnte in ihnen nichts ausmachen.
Du befindest dich also in Gefahr und kannst nichts dagegen tun? Wer könnte dir etwas antun, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden?
Fiero biss sich auf die Lippe und starrte hilflos auf die geschwungenen Buchstaben in Niccoló's Hand. Er schüttelte den Kopf, was sollte er schon sagen? Dass seine eigene Familie versuchte, ihn umzubringen, dass er ein Prinz war, nur um sich damit gesellschaftlich über ihn zu stellen? Er wollte all das nicht, er wollte einfach nur ein ganz gewöhnlicher Mann sein.
„Ich kann es dir nicht erklären. Es tut mir leid", wisperte er.
Niccoló umfasste sein Kinn, dass er ihm in die Augen schauen konnte, und fesselte ihn mit seinem Blick. Es schien, als wolle er sagen entschuldige dich nicht. Ich verstehe dich.
Seufzend fasste Fiero nach seiner Hand, lehnte sich vor. Niccoló kam ihm entgegen und legte fest die Arme um ihn.
Fiero begann zu zittern. Es machte ihm Angst, ihm so nahe zu sein; es könnte tödlich für sie beide enden, gesehen zu werden. Und doch sehnte er sich nach dieser simplen Umarmung und fühlte sich darin so geborgen wie schon lange nicht mehr. Er konnte nicht umhin, das Gesicht an Niccoló's Schulter zu vergraben und sich an ihn zu klammern.
„Fiero", fast schon klang es wie ein Fiebertraum, als Niccoló leise Italienisch sprach, „ich wünschte, ich könnte dir die Angst nehmen. Bitte sag es mir, wenn ich etwas für dich tun kann."
Über Fiero's Haut zog sich eine Gänsehaut. „Ich danke dir..."
Lange Zeit verblieben sie so, Arm in Arm, und Fiero wurde immer müder. Niccoló schien dies zu bemerken, als er schon zum dritten Mal gähnte, lehnte sich etwas zurück und zog ihn dicht an sich. Wie selbstverständlich schmiegte Fiero sich an ihn, legte eine Hand auf seine Brust und tastete nach seinem Herzschlag. Er spürte Niccoló's Blick auf ihm liegen, doch er schloss die Augen, denn er befürchtete, in Tränen auszubrechen, wenn er ihn erwiderte.
„Niccoló", murmelte er müde, „wenn ich könnte, dürfte ich einfach bei dir bleiben und nicht mehr zurückkehren?"
Es dauerte, bis Niccoló reagierte. Schließlich hob er die Hand, streichelte zart mit den Fingern über seine Wange, dass seine Haut begann zu kribbeln. „Natürlich."

Niccoló schreckte vom Läuten der Kirchenglocke hoch. Am Himmel ging bereits die Sonne auf. Neben ihm, mit dem Kopf auf seiner Schulter, schlief Fiero noch immer. Behutsam schüttelte er ihn. „Fiero, aufwachen. Du musst gehen", wisperte er, lauter konnte er nicht reden. Doch es schien zu reichen, denn Fiero blinzelte ihn müde an. „Wie?"
„Du musst heim", zischte Niccoló eindringlich. Nun war er wach, Fiero richtete sich kerzengerade auf. „Oh nein, wie spät ist es?"
„Sechs Uhr. Komm, ich bringe dich nach Hause."
Der Junge nickte, ließ sich wieder mit ihn ziehen.
Sie beeilten sich, in die Gondel zu steigen, und ebenfalls müde, aber routiniert machte Niccoló sie los und begann zu rudern.
Sie versanken in Schweigen, während sie durch die langsam erwachende Wasserstadt zogen. Niccoló ruderte in kräftigen Armbewegungen, um sicherzugehen, dass er Fiero rechtzeitig nach Hause bringen konnte. Er musste einen weiten Bogen fahren, um möglichst in den Seitenstraßen zu bleiben, doch Fiero's Sicherheit war es ihm wert.
Als er endlich hinter der Villa Medici anlegte, hakte er sein Ruder ein und setzte sich erschöpft neben Fiero.

Die Gondel lag im Schatten der Häuser, wo sie nicht gesehen werden konnten. Er sah Fiero genau an, die schöne Maske, die er des nachts immer trug, um unerkannt zu bleiben.
„Danke fürs heimbringen", sagte Fiero gedämpft, und er nickte langsam. Sein Herz machte Sprünge, wenn er die Augen dieses Jungen so ansah, und wusste, dass sie an seinen klebten. Ohne weiter darüber nachzudenken umfasste er Fiero's Gesicht und lehnte die Stirn an die seine, schloss die Augen.
Fiero seufzte kaum hörbar, legte erneut die Hand an sein Herz.
Irgendwo in der Nähe schlugen Fensterläden auf, und der Krach ließ sie erschrocken auseinander fahren.
Fiero räusperte sich, murmelte eine rasche Verabschiedung und stand wacklig auf.
Niccoló beeilte sich, ihm auf den Gehsteig zu helfen und drückte noch einmal seine Hand, bevor er ihn zurück zum Haus der Medicis laufen sah.
Nachdenklich schaute Niccoló ihm nach, auch als er schon lange verschwunden war.
Irgendwie wünschte er sich, dass Fiero gekonnt hätte. Dann wäre er einfach bei ihm geblieben.

Die Prinzen von VenedigDove le storie prendono vita. Scoprilo ora