Die Rote Dame - 2

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Es war Gewohnheit. Jeden Tag nach der Arbeit, um genau Punkt zwei, stand er vor der Tür des Cafes.

Jeden Tag war er der Erste, welcher durch die Tür Schritt. Immer das Gleiche. Eine Gewohnheit eben.

Erst nach ihm, strömten die anderen Gäste hinein. Erst nach ihm wurden sie bedient. Er war der Erste. Immer.

Es war Mittwoch halb zwei, als er seinen Computer herunter fuhr, um danach das Büro zu verlassen.

Draußen tauschte er seine Brille gegen die Sonnenbrille aus. Die Sonne stand hoch und ließ die Menschen schwitzen. Auch er war davon nicht ausgenommen, weshalb er versuchte möglichst nur mit dem Schatten zu gehen und so wechselte er mehrere Male die Straßenseite. Einen weiteren Sonnenbrand konnte er nämlich auch nicht vertragen. Davon hatte er diesen Sommer bereits genug

Den, welchen er sich vor etwa zwei Wochen geholt hatte, war gerade erst abgeheilt und seine Haut war wieder bleich geworden, statt in einem knalligen rot zu leuchten.

Er beschleunigte seinen Schritt auf die letzten Meter, da er heute durch das Versteckspiel mit der Sonne etwas Zeit vertrödelt hatte, jedoch trotzdem pünktlich am Cafe sein wollte. Er bog in die Straße ab, an welcher das Cafe lag. Es war eine Minute vor um, er würde es also rechtzeitig schaffen.

Die Kirchenglocken schlugen und er erreichte die Tür des Cafes. Doch er war nicht der Erste.

Er erkannte sie am roten Mantel. Wie sehr sie wohl schwitzen musste, wenn er es in kurzer Hose und Hemd schon kaum aushielt.

Aber als er ihr Gesicht erblickte, deutete nichts darauf hin, dass es dreißig Grad waren und sie einen Wintermantel trug.

Er trat etwas näher, bedacht darauf einen höflichen Abstand zu ihr zu wahren, damit sie sich nicht bedrängt fühlte.

Zu seiner Überraschung nickte sie ihm zur Begrüßung zu, bevor sie sich wieder der Tür zu wendete.

Schnell drehte auch er sich vorsichtshalber weg, damit sie nicht seine erröteten Wangen sehen konnte, die dieses Mal nicht auf die Sonnenstrahlen zurückzuführen waren.

Sie war wunderschön, da gab es nichts zu leugnen.

Selma, die neuste Bedienung des Cafes, öffnete, wie es üblich war, etwa fünf Minuten nach zwei. Er überschritt die Türschwelle als Zweiter.

Zum ersten Mal seit den fünf Jahren, die er nun schon hier her kam, war er nicht der Erste. Zum ersten Mal gab es jemanden, der vor ihm bedient wurde.

Es war sie - die Frau im roten Wintermantel, welche ihm heute zuvor kam und damit seine Gewohnheit unterbrach.

SammelsuriumWhere stories live. Discover now