Zeit des Vergessens - 1

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Er war nicht sonderlich alt, als es passierte. Man könnte sagen, dass er gerade erst in seinen besten Jahren war.

Und es passierte an keinem besonderen Tag. Es war ein gewöhnlicher Mittwoch, ein gewöhnlicher, sonniger Tag, als er auf dem Weg zum Bäcker war, wie jeden Morgen, nachdem sie bei ihm übernachtet hatte.

Körnerbrötchen und ein paar helle, sowie zwei Croissants, die sie so liebte. Zusammen mit etwas Pflaumenmarmelade oder Frischkäse mit Kräutern darauf, um ihr ein Lächeln zu entlocken, das sein Herz so viel schneller schlagen ließ.

Das vertraute Klingeln, welches ertönte, wenn man die Ladentür öffnete, empfing ihn, so wie der liebliche Duft, nach Kaffeebohnen und Backwahren. Er grüßte Manuel, der hinter der Theke stand, seit so vielen Jahren, dass sie gute Freunde geworden waren.

"Das Übliche?"

"Das Übliche", bestätigte er.

Manuel schmunzelte, wusste, dass sie die Nacht bei ihm gewesen war und er freute sich für seinen Freund.

Seine Freude war aufrichtig, wenn auch nicht ganz ohne Eigennutzen, schließlich kam Noah genau aus diesem Grund in seine Bäckerei und kaufte seine Wahren.

Kundschaft stimmte ihn außerdem jedes Mal gut, und so summte er vor sich hin, während er Noahs Bestellung zusammensuchte.

"Das macht dann sechs Euro zwanzig." Er reichte eine prall gefüllte Papiertüte über den Tresen. Die Brötchen waren noch warm, denn er hatte sie eben erst aus dem Ofen geholt.

Die beiden verabschiedeten sich und Noah verließ den Laden, begleitet vom selben Klingeln, dass ihn wenige Minuten zuvor begrüßt hatte.

Sie wachte unterdessen auf und musste feststellen, dass er verschwunden war. Aber sie war keinesfalls traurig, wusste sie schließlich, um seine Gewohnheit. So konnte sie die Brötchen und die weichen Croissants beinah riechen.

Adriana krabbelte hinüber zu seinem Nachttisch und schaltete das Radio an. Außerdem griff sie sich das erstbeste Hemd, dass sie von ihm fand, streifte sich dieses über und hüpfte benebelt von Glücksgefühlen zu "Nur ein Wort"  durch seine Wohnung.

Unterdes überquerte er, nur wenige hundert Meter von der Wohnung entfernt, die Hauptstraße.

Und obwohl er hier war und sie dort, waren seine Gedanken dennoch bei ihr, ihren strahlend, schwarzen Haaren und den efeugrünen Augen, in denen er sich nur allzu gerne verlor.

So kam es, dass ihm das Blumengeschäft Rose for you auffiel und die Vorstellung, sie mit Blumen zu überraschen, gefiel.

Noah änderte also urplötzlich seine Richtung, womit er jedoch nicht, wie eigentlich gewünscht, seine Liebste Adriana überraschte, sondern die Autofahrerin Ena.

Diese war auf dem Weg zur Arbeit, fuhr diesen Weg jedoch zum ersten Mal und war deshalb fokussiert auf die Verkehrsschilder. Dabei übersah sie Noah, der ja auch eigentlich, wenige Minuten zuvor, noch in eine völlig andere Richtung unterwegs war.

Und trotz ihren flinken Füßen, die sie mit ganzer kraft auf Kupplung und Bremse drückte, traf sie ihn mit einer solchen Wucht und leider Gottes in einem ungünstigen Winkel, dass es sein Leben innerhalb weniger Sekunden beendete.

Es war wie in einem dieser Filme. Wie in Zeitlupe zog Ena die Handbremse, öffnete die Autotür, lief zu dem Fremden, der mitten auf der Hauptstraße lag, die Wangen noch rosig, als ob noch Leben in ihm wäre, in der Hand noch die lauwarmen Brötchen, die gegen den beißenden Geruch der Abgase ankäpften.

Adriana dagegen, tanzte immer noch fröhlich durch seine Wohnung, machte sein Bett, ohne zu ahnen, dass er dort nie wieder mit ihr liegen würde und deckte den Tisch, an welchem sie vergeblich auf ihn warten würde.

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Erwähntes Lied: "Nur ein Wort" von Wir sind Helden

SammelsuriumWhere stories live. Discover now